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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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LITTERATUR.
elende Uebersetzung des Sophokles zu lesen als das Original'.
Wenn also die moderne der demokratischen Monarchie verwandte
litterarische Richtung selbst unter den rechtgläubigen Enniusbe-
wunderern stille Bekenner genug zählte, so fehlte es auch schon
nicht an dreisteren Urtheilern, die mit der einheimischen Littera-
tur ebenso unsäuberlich umgingen wie mit der senatorischen Po-
litik. Man nahm nicht bloss die strenge Kritik der scipionischen
Epoche wieder auf und liess den Terenz nur gelten, um Ennius
und mehr noch die Ennianisten zu verdammen, sondern die jün-
gere und verwegenere Welt ging weit darüber hinaus und wagte
es schon, wenn auch nur noch in ketzerischer Auflehnung gegen
den orthodoxen Litteraturglauben, den Plautus einen rohen Spass-
macher, den Lucilius einen schlechten Verseschmied zu heissen.
Statt auf die einheimische lehnt sich diese moderne Richtung
vielmehr auf die neuere griechische Litteratur oder den soge-
nannten Alexandrinismus. -- Es kann nicht umgangen werden
von diesem merkwürdigen Wintergarten hellenischer Sprache
und Kunst hier wenigstens so viel zu sagen, als für das Verständ-
niss der römischen Litteratur dieser und der späteren Epochen
erforderlich ist. Die alexandrinische Litteratur ruht auf dem
Untergang des reinen hellenischen Idioms, das seit der Zeit
Alexanders des Grossen im Leben ersetzt ward durch einen dürf-
tigen zunächst aus der Berührung des makedonischen Dialekts
mit vielfachen griechischen und barbarischen Stämmen hervor-
gegangenen Jargon; oder genauer gesagt, die alexandrinische
Litteratur ist hervorgegangen aus dem Ruin der hellenischen Na-
tion überhaupt, die um die alexandrinische Weltmonarchie und
das Reich des Hellenismus zu begründen in ihrer volksthümlichen
Individualität untergehen musste und unterging. Hätte Alexan-
ders Weltreich Bestand gehabt, so würde an die Stelle der ehe-
maligen nationalen und volksthümlichen eine hellenisch sich nen-
nende, aber wesentlich denationalisirte und gewissermassen von
oben herab ins Leben gerufene Weltlitteratur getreten sein. Allein
zu einem hellenistischen Weltreich kam es auf die Dauer nicht;
mit dem Staate Alexanders gingen auch die Anfänge einer ihm
entsprechenden Litteratur zu Grunde. Die griechische Nation aber
gehörte darum nicht weniger mit allem was sie gehabt, mit ihrer
Volksthümlichkeit, ihrer Sprache, ihrer Kunst, der Vergangenheit
an. Nur in einem engen Kreis nicht von Gebildeten, die es als
solche nicht mehr gab, sondern von Gelehrten wurde die grie-
chische Litteratur noch als todte gepflegt, ihr reicher Nachlass
in wehmüthiger Freude oder trockener Grübelei inventarisirt und

LITTERATUR.
elende Uebersetzung des Sophokles zu lesen als das Original'.
Wenn also die moderne der demokratischen Monarchie verwandte
litterarische Richtung selbst unter den rechtgläubigen Enniusbe-
wunderern stille Bekenner genug zählte, so fehlte es auch schon
nicht an dreisteren Urtheilern, die mit der einheimischen Littera-
tur ebenso unsäuberlich umgingen wie mit der senatorischen Po-
litik. Man nahm nicht bloſs die strenge Kritik der scipionischen
Epoche wieder auf und lieſs den Terenz nur gelten, um Ennius
und mehr noch die Ennianisten zu verdammen, sondern die jün-
gere und verwegenere Welt ging weit darüber hinaus und wagte
es schon, wenn auch nur noch in ketzerischer Auflehnung gegen
den orthodoxen Litteraturglauben, den Plautus einen rohen Spaſs-
macher, den Lucilius einen schlechten Verseschmied zu heiſsen.
Statt auf die einheimische lehnt sich diese moderne Richtung
vielmehr auf die neuere griechische Litteratur oder den soge-
nannten Alexandrinismus. — Es kann nicht umgangen werden
von diesem merkwürdigen Wintergarten hellenischer Sprache
und Kunst hier wenigstens so viel zu sagen, als für das Verständ-
niſs der römischen Litteratur dieser und der späteren Epochen
erforderlich ist. Die alexandrinische Litteratur ruht auf dem
Untergang des reinen hellenischen Idioms, das seit der Zeit
Alexanders des Groſsen im Leben ersetzt ward durch einen dürf-
tigen zunächst aus der Berührung des makedonischen Dialekts
mit vielfachen griechischen und barbarischen Stämmen hervor-
gegangenen Jargon; oder genauer gesagt, die alexandrinische
Litteratur ist hervorgegangen aus dem Ruin der hellenischen Na-
tion überhaupt, die um die alexandrinische Weltmonarchie und
das Reich des Hellenismus zu begründen in ihrer volksthümlichen
Individualität untergehen muſste und unterging. Hätte Alexan-
ders Weltreich Bestand gehabt, so würde an die Stelle der ehe-
maligen nationalen und volksthümlichen eine hellenisch sich nen-
nende, aber wesentlich denationalisirte und gewissermaſsen von
oben herab ins Leben gerufene Weltlitteratur getreten sein. Allein
zu einem hellenistischen Weltreich kam es auf die Dauer nicht;
mit dem Staate Alexanders gingen auch die Anfänge einer ihm
entsprechenden Litteratur zu Grunde. Die griechische Nation aber
gehörte darum nicht weniger mit allem was sie gehabt, mit ihrer
Volksthümlichkeit, ihrer Sprache, ihrer Kunst, der Vergangenheit
an. Nur in einem engen Kreis nicht von Gebildeten, die es als
solche nicht mehr gab, sondern von Gelehrten wurde die grie-
chische Litteratur noch als todte gepflegt, ihr reicher Nachlaſs
in wehmüthiger Freude oder trockener Grübelei inventarisirt und

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[541/0551] LITTERATUR. elende Uebersetzung des Sophokles zu lesen als das Original'. Wenn also die moderne der demokratischen Monarchie verwandte litterarische Richtung selbst unter den rechtgläubigen Enniusbe- wunderern stille Bekenner genug zählte, so fehlte es auch schon nicht an dreisteren Urtheilern, die mit der einheimischen Littera- tur ebenso unsäuberlich umgingen wie mit der senatorischen Po- litik. Man nahm nicht bloſs die strenge Kritik der scipionischen Epoche wieder auf und lieſs den Terenz nur gelten, um Ennius und mehr noch die Ennianisten zu verdammen, sondern die jün- gere und verwegenere Welt ging weit darüber hinaus und wagte es schon, wenn auch nur noch in ketzerischer Auflehnung gegen den orthodoxen Litteraturglauben, den Plautus einen rohen Spaſs- macher, den Lucilius einen schlechten Verseschmied zu heiſsen. Statt auf die einheimische lehnt sich diese moderne Richtung vielmehr auf die neuere griechische Litteratur oder den soge- nannten Alexandrinismus. — Es kann nicht umgangen werden von diesem merkwürdigen Wintergarten hellenischer Sprache und Kunst hier wenigstens so viel zu sagen, als für das Verständ- niſs der römischen Litteratur dieser und der späteren Epochen erforderlich ist. Die alexandrinische Litteratur ruht auf dem Untergang des reinen hellenischen Idioms, das seit der Zeit Alexanders des Groſsen im Leben ersetzt ward durch einen dürf- tigen zunächst aus der Berührung des makedonischen Dialekts mit vielfachen griechischen und barbarischen Stämmen hervor- gegangenen Jargon; oder genauer gesagt, die alexandrinische Litteratur ist hervorgegangen aus dem Ruin der hellenischen Na- tion überhaupt, die um die alexandrinische Weltmonarchie und das Reich des Hellenismus zu begründen in ihrer volksthümlichen Individualität untergehen muſste und unterging. Hätte Alexan- ders Weltreich Bestand gehabt, so würde an die Stelle der ehe- maligen nationalen und volksthümlichen eine hellenisch sich nen- nende, aber wesentlich denationalisirte und gewissermaſsen von oben herab ins Leben gerufene Weltlitteratur getreten sein. Allein zu einem hellenistischen Weltreich kam es auf die Dauer nicht; mit dem Staate Alexanders gingen auch die Anfänge einer ihm entsprechenden Litteratur zu Grunde. Die griechische Nation aber gehörte darum nicht weniger mit allem was sie gehabt, mit ihrer Volksthümlichkeit, ihrer Sprache, ihrer Kunst, der Vergangenheit an. Nur in einem engen Kreis nicht von Gebildeten, die es als solche nicht mehr gab, sondern von Gelehrten wurde die grie- chische Litteratur noch als todte gepflegt, ihr reicher Nachlaſs in wehmüthiger Freude oder trockener Grübelei inventarisirt und

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/551>, abgerufen am 24.11.2024.