Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT. die Gelegenheit, Aegypten, Kypros und Bithynien auf friedlichemWege zu erwerben, schien nicht eben sehr willkommen sich ihnen darzubieten. Zwar als König Nikomedes III. Philopator von Bithynien im J. 679 starb und als der letzte seines Stam- mes -- denn sein mit der Nysa erzeugter Sohn war oder hiess unächt -- sein Reich im Testament den Römern vermachte, nahmen sie diese mit der römischen Provinz grenzende Land- schaft in Besitz. Allein die auf gleiche Weise möglich gewordene weit wichtigere Erwerbung von Aegypten und Kypros unter- blieb. Hier war der von Sulla nach dem Tode des Ptolemaeos Soter II. Lathyros eingesetzte Sohn König Alexanders I. Alexan- dros II. wenige Tage nach seiner Thronbesteigung bei einem Auf- lauf in der Hauptstadt getödtet worden (673) und mit ihm die legitime Descendenz des Ptolemaeos Lagos Sohns zu Ende gegan- gen; und auch er hatte in seinem Testament* zum Erben die römische Gemeinde eingesetzt. Die Echtheit dieses Documents ward zwar bestritten; allein diese erkannte der Senat an, indem er auf Grund desselben die in Tyros für Rechnung des verstorbe- nen Königs niedergelegten Summen erhob. Nichtsdestoweniger gestattete er zwei notorisch illegitimen Söhnen des Königs Lathy- ros, dem einen, Ptolemaeos XI., der neue Dionysos oder der Flö- tenbläser genannt, Aegypten, dem andern, Ptolemaeos dem Ky- prier, Kypros thatsächlich in Besitz zu nehmen; sie wurden vom Senat nicht ausdrücklich anerkannt, aber doch auch keine be- stimmte Forderung auf Herausgabe der Reiche an sie gerichtet. Abgesehen davon, dass die einflussreichen Coteriehäupter von * Die streitige Frage, ob dies angebliche oder wirkliche Testament von
Alexander I. (+ 666) oder Alexander II. (+ 673) herrühre, wird gewöhn- lich für die erste Alternative entschieden. Allein die Gründe sind unzu- länglich; denn Cicero (de l. agr. 1, 4, 12. 15, 38. 16, 41) sagt nicht, dass Aegypten im J. 666, sondern dass es in oder nach diesem Jahr an Rom ge- fallen sei; und wenn man daraus, dass Alexander I. im Ausland, Alexan- der II. in Alexandrien umkam, gefolgert hat, dass die in Tyros lagernden Schätze dem ersteren gehört haben werden, so ist übersehen, dass Alexan- der II. neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Aegypten getödtet ward (Le- tronne inscr. de l'Egypte 2, 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in Tyros sein konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, dass der zweite Alex- ander der letzte ächte Sprössling der Lagiden war, da bei den ähnlichen Erwerbungen von Asia, Kyrene und Bithynien Rom stets von dem letzten Spross der berechtigten Herrscherfamilie eingesetzt worden ist. Ein un- bedingtes Recht über das Reich wie über Privatgut zu testiren scheint auch dem alten Staatsrecht fremd gewesen zu sein. -- Ob das Testament ächt oder falsch war, ist nicht auszumachen und auch ziemlich gleichgültig; be- sondere Gründe eine Fälschung anzunehmen liegen nicht vor. DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT. die Gelegenheit, Aegypten, Kypros und Bithynien auf friedlichemWege zu erwerben, schien nicht eben sehr willkommen sich ihnen darzubieten. Zwar als König Nikomedes III. Philopator von Bithynien im J. 679 starb und als der letzte seines Stam- mes — denn sein mit der Nysa erzeugter Sohn war oder hieſs unächt — sein Reich im Testament den Römern vermachte, nahmen sie diese mit der römischen Provinz grenzende Land- schaft in Besitz. Allein die auf gleiche Weise möglich gewordene weit wichtigere Erwerbung von Aegypten und Kypros unter- blieb. Hier war der von Sulla nach dem Tode des Ptolemaeos Soter II. Lathyros eingesetzte Sohn König Alexanders I. Alexan- dros II. wenige Tage nach seiner Thronbesteigung bei einem Auf- lauf in der Hauptstadt getödtet worden (673) und mit ihm die legitime Descendenz des Ptolemaeos Lagos Sohns zu Ende gegan- gen; und auch er hatte in seinem Testament* zum Erben die römische Gemeinde eingesetzt. Die Echtheit dieses Documents ward zwar bestritten; allein diese erkannte der Senat an, indem er auf Grund desselben die in Tyros für Rechnung des verstorbe- nen Königs niedergelegten Summen erhob. Nichtsdestoweniger gestattete er zwei notorisch illegitimen Söhnen des Königs Lathy- ros, dem einen, Ptolemaeos XI., der neue Dionysos oder der Flö- tenbläser genannt, Aegypten, dem andern, Ptolemaeos dem Ky- prier, Kypros thatsächlich in Besitz zu nehmen; sie wurden vom Senat nicht ausdrücklich anerkannt, aber doch auch keine be- stimmte Forderung auf Herausgabe der Reiche an sie gerichtet. Abgesehen davon, daſs die einfluſsreichen Coteriehäupter von * Die streitige Frage, ob dies angebliche oder wirkliche Testament von
Alexander I. († 666) oder Alexander II. († 673) herrühre, wird gewöhn- lich für die erste Alternative entschieden. Allein die Gründe sind unzu- länglich; denn Cicero (de l. agr. 1, 4, 12. 15, 38. 16, 41) sagt nicht, daſs Aegypten im J. 666, sondern daſs es in oder nach diesem Jahr an Rom ge- fallen sei; und wenn man daraus, daſs Alexander I. im Ausland, Alexan- der II. in Alexandrien umkam, gefolgert hat, daſs die in Tyros lagernden Schätze dem ersteren gehört haben werden, so ist übersehen, daſs Alexan- der II. neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Aegypten getödtet ward (Le- tronne inscr. de l'Egypte 2, 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in Tyros sein konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, daſs der zweite Alex- ander der letzte ächte Spröſsling der Lagiden war, da bei den ähnlichen Erwerbungen von Asia, Kyrene und Bithynien Rom stets von dem letzten Sproſs der berechtigten Herrscherfamilie eingesetzt worden ist. Ein un- bedingtes Recht über das Reich wie über Privatgut zu testiren scheint auch dem alten Staatsrecht fremd gewesen zu sein. — Ob das Testament ächt oder falsch war, ist nicht auszumachen und auch ziemlich gleichgültig; be- sondere Gründe eine Fälschung anzunehmen liegen nicht vor. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0055" n="45"/><fw place="top" type="header">DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.</fw><lb/> die Gelegenheit, Aegypten, Kypros und Bithynien auf friedlichem<lb/> Wege zu erwerben, schien nicht eben sehr willkommen sich<lb/> ihnen darzubieten. Zwar als König Nikomedes III. Philopator<lb/> von Bithynien im J. 679 starb <choice><sic>nud</sic><corr>und</corr></choice> als der letzte seines Stam-<lb/> mes — denn sein mit der Nysa erzeugter Sohn war oder hieſs<lb/> unächt — sein Reich im Testament den Römern vermachte,<lb/> nahmen sie diese mit der römischen Provinz grenzende Land-<lb/> schaft in Besitz. Allein die auf gleiche Weise möglich gewordene<lb/> weit wichtigere Erwerbung von Aegypten und Kypros unter-<lb/> blieb. Hier war der von Sulla nach dem Tode des Ptolemaeos<lb/> Soter II. Lathyros eingesetzte Sohn König Alexanders I. Alexan-<lb/> dros II. wenige Tage nach seiner Thronbesteigung bei einem Auf-<lb/> lauf in der Hauptstadt getödtet worden (673) und mit ihm die<lb/> legitime Descendenz des Ptolemaeos Lagos Sohns zu Ende gegan-<lb/> gen; und auch er hatte in seinem Testament<note place="foot" n="*">Die streitige Frage, ob dies angebliche oder wirkliche Testament von<lb/> Alexander I. († 666) oder Alexander II. († 673) herrühre, wird gewöhn-<lb/> lich für die erste Alternative entschieden. Allein die Gründe sind unzu-<lb/> länglich; denn Cicero (<hi rendition="#i">de l. agr.</hi> 1, 4, 12. 15, 38. 16, 41) sagt nicht, daſs<lb/> Aegypten im J. 666, sondern daſs es in oder nach diesem Jahr an Rom ge-<lb/> fallen sei; und wenn man daraus, daſs Alexander I. im Ausland, Alexan-<lb/> der II. in Alexandrien umkam, gefolgert hat, daſs die in Tyros lagernden<lb/> Schätze dem ersteren gehört haben werden, so ist übersehen, daſs Alexan-<lb/> der II. neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Aegypten getödtet ward (Le-<lb/> tronne <hi rendition="#i">inscr. de l'Egypte </hi> 2, 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in Tyros<lb/> sein konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, daſs der zweite Alex-<lb/> ander der letzte ächte Spröſsling der Lagiden war, da bei den ähnlichen<lb/> Erwerbungen von Asia, Kyrene und Bithynien Rom stets von dem letzten<lb/> Sproſs der berechtigten Herrscherfamilie eingesetzt worden ist. Ein un-<lb/> bedingtes Recht über das Reich wie über Privatgut zu testiren scheint auch<lb/> dem alten Staatsrecht fremd gewesen zu sein. — Ob das Testament ächt<lb/> oder falsch war, ist nicht auszumachen und auch ziemlich gleichgültig; be-<lb/> sondere Gründe eine Fälschung anzunehmen liegen nicht vor.</note> zum Erben die<lb/> römische Gemeinde eingesetzt. Die Echtheit dieses Documents<lb/> ward zwar bestritten; allein diese erkannte der Senat an, indem<lb/> er auf Grund desselben die in Tyros für Rechnung des verstorbe-<lb/> nen Königs niedergelegten Summen erhob. Nichtsdestoweniger<lb/> gestattete er zwei notorisch illegitimen Söhnen des Königs Lathy-<lb/> ros, dem einen, Ptolemaeos XI., der neue Dionysos oder der Flö-<lb/> tenbläser genannt, Aegypten, dem andern, Ptolemaeos dem Ky-<lb/> prier, Kypros thatsächlich in Besitz zu nehmen; sie wurden vom<lb/> Senat nicht ausdrücklich anerkannt, aber doch auch keine be-<lb/> stimmte Forderung auf Herausgabe der Reiche an sie gerichtet.<lb/> Abgesehen davon, daſs die einfluſsreichen Coteriehäupter von<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [45/0055]
DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
die Gelegenheit, Aegypten, Kypros und Bithynien auf friedlichem
Wege zu erwerben, schien nicht eben sehr willkommen sich
ihnen darzubieten. Zwar als König Nikomedes III. Philopator
von Bithynien im J. 679 starb und als der letzte seines Stam-
mes — denn sein mit der Nysa erzeugter Sohn war oder hieſs
unächt — sein Reich im Testament den Römern vermachte,
nahmen sie diese mit der römischen Provinz grenzende Land-
schaft in Besitz. Allein die auf gleiche Weise möglich gewordene
weit wichtigere Erwerbung von Aegypten und Kypros unter-
blieb. Hier war der von Sulla nach dem Tode des Ptolemaeos
Soter II. Lathyros eingesetzte Sohn König Alexanders I. Alexan-
dros II. wenige Tage nach seiner Thronbesteigung bei einem Auf-
lauf in der Hauptstadt getödtet worden (673) und mit ihm die
legitime Descendenz des Ptolemaeos Lagos Sohns zu Ende gegan-
gen; und auch er hatte in seinem Testament * zum Erben die
römische Gemeinde eingesetzt. Die Echtheit dieses Documents
ward zwar bestritten; allein diese erkannte der Senat an, indem
er auf Grund desselben die in Tyros für Rechnung des verstorbe-
nen Königs niedergelegten Summen erhob. Nichtsdestoweniger
gestattete er zwei notorisch illegitimen Söhnen des Königs Lathy-
ros, dem einen, Ptolemaeos XI., der neue Dionysos oder der Flö-
tenbläser genannt, Aegypten, dem andern, Ptolemaeos dem Ky-
prier, Kypros thatsächlich in Besitz zu nehmen; sie wurden vom
Senat nicht ausdrücklich anerkannt, aber doch auch keine be-
stimmte Forderung auf Herausgabe der Reiche an sie gerichtet.
Abgesehen davon, daſs die einfluſsreichen Coteriehäupter von
* Die streitige Frage, ob dies angebliche oder wirkliche Testament von
Alexander I. († 666) oder Alexander II. († 673) herrühre, wird gewöhn-
lich für die erste Alternative entschieden. Allein die Gründe sind unzu-
länglich; denn Cicero (de l. agr. 1, 4, 12. 15, 38. 16, 41) sagt nicht, daſs
Aegypten im J. 666, sondern daſs es in oder nach diesem Jahr an Rom ge-
fallen sei; und wenn man daraus, daſs Alexander I. im Ausland, Alexan-
der II. in Alexandrien umkam, gefolgert hat, daſs die in Tyros lagernden
Schätze dem ersteren gehört haben werden, so ist übersehen, daſs Alexan-
der II. neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Aegypten getödtet ward (Le-
tronne inscr. de l'Egypte 2, 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in Tyros
sein konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, daſs der zweite Alex-
ander der letzte ächte Spröſsling der Lagiden war, da bei den ähnlichen
Erwerbungen von Asia, Kyrene und Bithynien Rom stets von dem letzten
Sproſs der berechtigten Herrscherfamilie eingesetzt worden ist. Ein un-
bedingtes Recht über das Reich wie über Privatgut zu testiren scheint auch
dem alten Staatsrecht fremd gewesen zu sein. — Ob das Testament ächt
oder falsch war, ist nicht auszumachen und auch ziemlich gleichgültig; be-
sondere Gründe eine Fälschung anzunehmen liegen nicht vor.
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