Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.LITTERATUR. rectificirt ward, beweist zum Beispiel die Behandlung des schlie-ssenden s, das bis gegen den Ausgang dieser Epoche nach Ge- fallen bald consonantische, bald vocalische Geltung gehabt hatte, von den neumodischen Poeten aber durchgängig wie im Grie- chischen als consonantischer Auslaut behandelt ward. Diese Sprachregulirung ist die eigentliche Domäne des römischen Klas- sicismus; in der verschiedensten Weise und eben darum nur um so bedeutsamer wird bei den Koryphäen desselben, bei Cicero, Caesar, sogar in den Gedichten Catulls die Regel eingeschärft und der Verstoss dagegen abgetrumpft; wogegen die ältere Generation sich über diese auf dem sprachlichen ebenso wie auf dem poli- tischen Gebiet rücksichtslos durchgreifende Revolution mit be- greiflicher Empfindlichkeit äussert.* Indem aber der neue Klas- sicismus, das heisst das regulirte und mit dem mustergültigen Griechisch so weit möglich ins Gleiche gesetzte mustergültige Latein, hervorgehend aus der bewussten Reaction gegen den in die höhere Gesellschaft und selbst in die Litteratur sich eindrän- genden Vulgarismus, sich litterarisch fixirte und schematisch for- mulirte, war die Sprache selbst zwar noch nicht erstarrt und von der Regel beherrscht, aber doch begriffen im Erstarren und der Regel sich bewusst geworden. Es versteht sich von selbst, dass der Vulgarismus das Feld nicht räumte; wir finden ihn nicht bloss naiv in den Werken untergeordneter nur zufällig unter die Schriftsteller verschlagener Individuen, wie in dem Bericht über Caesars zweiten spanischen Krieg, sondern wir werden ihm auch in der eigentlichen Litteratur, im Mimus, im Halbroman, in den ästhetischen Schriften Varros mehr oder weniger ausgeprägt be- gegnen; und charakteristisch ist es, dass er eben in den am mei- sten volksthümlichen Gebieten der Litteratur sich behauptet und dass wahrhaft conservative Männer wie Varro ihn in Schutz neh- men. Der Klassicismus ruht auf dem Tode der italischen Sprache wie die Monarchie auf dem Untergang der italischen Nation; es war vollkommen consequent, dass die Männer, in denen die Re- publik noch lebendig war, auch der lebenden Sprache fortfuhren ihr Recht zu geben und ihrer relativen Lebendigkeit und Volks- thümlichkeit zu Liebe ihre ästhetischen Mängel ertrugen. So gehen denn die sprachlichen Meinungen und Richtungen dieser Epoche überall hin aus einander: neben der altfränkischen Poesie des Lucretius erscheint die durchaus moderne des Catullus, ne- * So sagt Varro (de r. r. 1, 2): ab aeditimo, ut dicere didicimus a pa-
tribus nostris, ut corrigimur ab recentibus urbanis, ab aedituo. LITTERATUR. rectificirt ward, beweist zum Beispiel die Behandlung des schlie-ſsenden s, das bis gegen den Ausgang dieser Epoche nach Ge- fallen bald consonantische, bald vocalische Geltung gehabt hatte, von den neumodischen Poeten aber durchgängig wie im Grie- chischen als consonantischer Auslaut behandelt ward. Diese Sprachregulirung ist die eigentliche Domäne des römischen Klas- sicismus; in der verschiedensten Weise und eben darum nur um so bedeutsamer wird bei den Koryphäen desselben, bei Cicero, Caesar, sogar in den Gedichten Catulls die Regel eingeschärft und der Verstoſs dagegen abgetrumpft; wogegen die ältere Generation sich über diese auf dem sprachlichen ebenso wie auf dem poli- tischen Gebiet rücksichtslos durchgreifende Revolution mit be- greiflicher Empfindlichkeit äuſsert.* Indem aber der neue Klas- sicismus, das heiſst das regulirte und mit dem mustergültigen Griechisch so weit möglich ins Gleiche gesetzte mustergültige Latein, hervorgehend aus der bewuſsten Reaction gegen den in die höhere Gesellschaft und selbst in die Litteratur sich eindrän- genden Vulgarismus, sich litterarisch fixirte und schematisch for- mulirte, war die Sprache selbst zwar noch nicht erstarrt und von der Regel beherrscht, aber doch begriffen im Erstarren und der Regel sich bewuſst geworden. Es versteht sich von selbst, daſs der Vulgarismus das Feld nicht räumte; wir finden ihn nicht bloſs naiv in den Werken untergeordneter nur zufällig unter die Schriftsteller verschlagener Individuen, wie in dem Bericht über Caesars zweiten spanischen Krieg, sondern wir werden ihm auch in der eigentlichen Litteratur, im Mimus, im Halbroman, in den ästhetischen Schriften Varros mehr oder weniger ausgeprägt be- gegnen; und charakteristisch ist es, daſs er eben in den am mei- sten volksthümlichen Gebieten der Litteratur sich behauptet und daſs wahrhaft conservative Männer wie Varro ihn in Schutz neh- men. Der Klassicismus ruht auf dem Tode der italischen Sprache wie die Monarchie auf dem Untergang der italischen Nation; es war vollkommen consequent, daſs die Männer, in denen die Re- publik noch lebendig war, auch der lebenden Sprache fortfuhren ihr Recht zu geben und ihrer relativen Lebendigkeit und Volks- thümlichkeit zu Liebe ihre ästhetischen Mängel ertrugen. So gehen denn die sprachlichen Meinungen und Richtungen dieser Epoche überall hin aus einander: neben der altfränkischen Poesie des Lucretius erscheint die durchaus moderne des Catullus, ne- * So sagt Varro (de r. r. 1, 2): ab aeditimo, ut dicere didicimus a pa-
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LITTERATUR.
rectificirt ward, beweist zum Beispiel die Behandlung des schlie-
ſsenden s, das bis gegen den Ausgang dieser Epoche nach Ge-
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von den neumodischen Poeten aber durchgängig wie im Grie-
chischen als consonantischer Auslaut behandelt ward. Diese
Sprachregulirung ist die eigentliche Domäne des römischen Klas-
sicismus; in der verschiedensten Weise und eben darum nur um
so bedeutsamer wird bei den Koryphäen desselben, bei Cicero,
Caesar, sogar in den Gedichten Catulls die Regel eingeschärft und
der Verstoſs dagegen abgetrumpft; wogegen die ältere Generation
sich über diese auf dem sprachlichen ebenso wie auf dem poli-
tischen Gebiet rücksichtslos durchgreifende Revolution mit be-
greiflicher Empfindlichkeit äuſsert. * Indem aber der neue Klas-
sicismus, das heiſst das regulirte und mit dem mustergültigen
Griechisch so weit möglich ins Gleiche gesetzte mustergültige
Latein, hervorgehend aus der bewuſsten Reaction gegen den in
die höhere Gesellschaft und selbst in die Litteratur sich eindrän-
genden Vulgarismus, sich litterarisch fixirte und schematisch for-
mulirte, war die Sprache selbst zwar noch nicht erstarrt und von
der Regel beherrscht, aber doch begriffen im Erstarren und der
Regel sich bewuſst geworden. Es versteht sich von selbst, daſs
der Vulgarismus das Feld nicht räumte; wir finden ihn nicht
bloſs naiv in den Werken untergeordneter nur zufällig unter die
Schriftsteller verschlagener Individuen, wie in dem Bericht über
Caesars zweiten spanischen Krieg, sondern wir werden ihm auch
in der eigentlichen Litteratur, im Mimus, im Halbroman, in den
ästhetischen Schriften Varros mehr oder weniger ausgeprägt be-
gegnen; und charakteristisch ist es, daſs er eben in den am mei-
sten volksthümlichen Gebieten der Litteratur sich behauptet und
daſs wahrhaft conservative Männer wie Varro ihn in Schutz neh-
men. Der Klassicismus ruht auf dem Tode der italischen Sprache
wie die Monarchie auf dem Untergang der italischen Nation; es
war vollkommen consequent, daſs die Männer, in denen die Re-
publik noch lebendig war, auch der lebenden Sprache fortfuhren
ihr Recht zu geben und ihrer relativen Lebendigkeit und Volks-
thümlichkeit zu Liebe ihre ästhetischen Mängel ertrugen. So
gehen denn die sprachlichen Meinungen und Richtungen dieser
Epoche überall hin aus einander: neben der altfränkischen Poesie
des Lucretius erscheint die durchaus moderne des Catullus, ne-
* So sagt Varro (de r. r. 1, 2): ab aeditimo, ut dicere didicimus a pa-
tribus nostris, ut corrigimur ab recentibus urbanis, ab aedituo.
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