Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL II. zurücklassen würden, sich zusammensiedeln in der neuen Resi-denz, einer von jenen mehr die Nichtigkeit der Völker als die Grösse der Herrscher verkündigenden Riesenstädten, wie sie in den Euphratlandschaften bei jedem Wechsel des Oberkönigthums auf das Machtwort des neuen Grosssultans aus der Erde springen. Die neue ,Tigranesstadt', Tigranokerta, in der südlichsten Land- schaft Armeniens unweit der mesopotamischen Grenze gelegen*, ward eine Stadt wie Ninive und Babylon, mit Mauern von funfzig Ellen Höhe und den zum Sultanismus nun einmal mit gehörigen Palast- Garten- und Parkanlagen. Auch sonst verleugnete der neue Grosskönig sich nicht; wie überhaupt in der ewigen Kind- heit des Ostens die kindlichen Vorstellungen von den Königen mit wirklichen Kronen auf dem Haupte den Völkern niemals ausge- gangen sind, so erschien auch Tigranes, wo er öffentlich sich zeigte, in Pracht und Tracht eines Nachfolgers des Dareios und Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb weissen halb pur- purnen Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern, dem ho- hen Turban und der königlichen Stirnbinde; wo er ging und stand, von vier ,Königen' in Sclavenart begleitet und bedient.-- Bescheidener trat König Mithradates auf. Er enthielt sich in Kleinasien der Uebergriffe und begnügte sich, was kein Tractat ihm verbot, seine Herrschaft am schwarzen Meere fester zu be- gründen und die Landschaften, die das bosporanische jetzt un- ter seiner Oberhoheit von seinem Sohn Machares beherrschte Königreich von dem pontischen trennten, allmählich in bestimm- tere Abhängigkeit zu bringen. Zugleich wandte er alle Anstren- gung darauf seine Flotte und sein Heer in Stand zu setzen und namentlich das letztere nach römischem Muster zu bewaffnen und zu organisiren, wobei die römischen Emigranten, die in grosser Zahl an seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche Dienste leisteten. -- Die Römer ihrerseits verhielten gegen Tigranes wie gegen Mithradates sich passiv und griffen überhaupt so wenig wie irgend möglich in die orientalischen Angelegenheiten ein. Sie erkannten zwar den armenischen Herrscher nicht als König von Syrien an; aber sie thaten doch auch nichts um ihn zurück- zudrängen und die Seleukiden wieder herzustellen, wie nahe im- mer der Krieg, den sie 676 nothgedrungen in Kilikien gegen die Piraten begannen, ihnen das Einschreiten in Syrien legte. Selbst * Die Stadt lag nicht bei Diarbekr, sondern zwischen Diarbekr und dem
Wansee, dem letzteren näher, an dem Nikephorios (Jezidchaneh Su), einem der nördlichen Zuflüsse des Tigris. FÜNFTES BUCH. KAPITEL II. zurücklassen würden, sich zusammensiedeln in der neuen Resi-denz, einer von jenen mehr die Nichtigkeit der Völker als die Gröſse der Herrscher verkündigenden Riesenstädten, wie sie in den Euphratlandschaften bei jedem Wechsel des Oberkönigthums auf das Machtwort des neuen Groſssultans aus der Erde springen. Die neue ‚Tigranesstadt‘, Tigranokerta, in der südlichsten Land- schaft Armeniens unweit der mesopotamischen Grenze gelegen*, ward eine Stadt wie Ninive und Babylon, mit Mauern von funfzig Ellen Höhe und den zum Sultanismus nun einmal mit gehörigen Palast- Garten- und Parkanlagen. Auch sonst verleugnete der neue Groſskönig sich nicht; wie überhaupt in der ewigen Kind- heit des Ostens die kindlichen Vorstellungen von den Königen mit wirklichen Kronen auf dem Haupte den Völkern niemals ausge- gangen sind, so erschien auch Tigranes, wo er öffentlich sich zeigte, in Pracht und Tracht eines Nachfolgers des Dareios und Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb weiſsen halb pur- purnen Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern, dem ho- hen Turban und der königlichen Stirnbinde; wo er ging und stand, von vier ‚Königen‘ in Sclavenart begleitet und bedient.— Bescheidener trat König Mithradates auf. Er enthielt sich in Kleinasien der Uebergriffe und begnügte sich, was kein Tractat ihm verbot, seine Herrschaft am schwarzen Meere fester zu be- gründen und die Landschaften, die das bosporanische jetzt un- ter seiner Oberhoheit von seinem Sohn Machares beherrschte Königreich von dem pontischen trennten, allmählich in bestimm- tere Abhängigkeit zu bringen. Zugleich wandte er alle Anstren- gung darauf seine Flotte und sein Heer in Stand zu setzen und namentlich das letztere nach römischem Muster zu bewaffnen und zu organisiren, wobei die römischen Emigranten, die in groſser Zahl an seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche Dienste leisteten. — Die Römer ihrerseits verhielten gegen Tigranes wie gegen Mithradates sich passiv und griffen überhaupt so wenig wie irgend möglich in die orientalischen Angelegenheiten ein. Sie erkannten zwar den armenischen Herrscher nicht als König von Syrien an; aber sie thaten doch auch nichts um ihn zurück- zudrängen und die Seleukiden wieder herzustellen, wie nahe im- mer der Krieg, den sie 676 nothgedrungen in Kilikien gegen die Piraten begannen, ihnen das Einschreiten in Syrien legte. Selbst * Die Stadt lag nicht bei Diarbekr, sondern zwischen Diarbekr und dem
Wansee, dem letzteren näher, an dem Nikephorios (Jezidchaneh Su), einem der nördlichen Zuflüsse des Tigris. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0054" n="44"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.</fw><lb/> zurücklassen würden, sich zusammensiedeln in der neuen Resi-<lb/> denz, einer von jenen mehr die Nichtigkeit der Völker als die<lb/> Gröſse der Herrscher verkündigenden Riesenstädten, wie sie in<lb/> den Euphratlandschaften bei jedem Wechsel des Oberkönigthums<lb/> auf das Machtwort des neuen Groſssultans aus der Erde springen.<lb/> Die neue ‚Tigranesstadt‘, Tigranokerta, in der südlichsten Land-<lb/> schaft Armeniens unweit der mesopotamischen Grenze gelegen<note place="foot" n="*"><lb/> Die Stadt lag nicht bei Diarbekr, sondern zwischen Diarbekr und dem<lb/> Wansee, dem letzteren näher, an dem Nikephorios (Jezidchaneh Su), einem<lb/> der nördlichen Zuflüsse des Tigris.</note>,<lb/> ward eine Stadt wie Ninive und Babylon, mit Mauern von funfzig<lb/> Ellen Höhe und den zum Sultanismus nun einmal mit gehörigen<lb/> Palast- Garten- und Parkanlagen. Auch sonst verleugnete der<lb/> neue Groſskönig sich nicht; wie überhaupt in der ewigen Kind-<lb/> heit des Ostens die kindlichen Vorstellungen von den Königen mit<lb/> wirklichen Kronen auf dem Haupte den Völkern niemals ausge-<lb/> gangen sind, so erschien auch Tigranes, wo er öffentlich sich<lb/> zeigte, in Pracht und Tracht eines Nachfolgers des Dareios und<lb/> Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb weiſsen halb pur-<lb/> purnen Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern, dem ho-<lb/> hen Turban und der königlichen Stirnbinde; wo er ging und<lb/> stand, von vier ‚Königen‘ in Sclavenart begleitet und bedient.—<lb/> Bescheidener trat König Mithradates auf. Er enthielt sich in<lb/> Kleinasien der Uebergriffe und begnügte sich, was kein Tractat<lb/> ihm verbot, seine Herrschaft am schwarzen Meere fester zu be-<lb/> gründen und die Landschaften, die das bosporanische jetzt un-<lb/> ter seiner Oberhoheit von seinem Sohn Machares beherrschte<lb/> Königreich von dem pontischen trennten, allmählich in bestimm-<lb/> tere Abhängigkeit zu bringen. Zugleich wandte er alle Anstren-<lb/> gung darauf seine Flotte und sein Heer in Stand zu setzen und<lb/> namentlich das letztere nach römischem Muster zu bewaffnen<lb/> und zu organisiren, wobei die römischen Emigranten, die in<lb/> groſser Zahl an seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche Dienste<lb/> leisteten. — Die Römer ihrerseits verhielten gegen Tigranes wie<lb/> gegen Mithradates sich passiv und griffen überhaupt so wenig<lb/> wie irgend möglich in die orientalischen Angelegenheiten ein.<lb/> Sie erkannten zwar den armenischen Herrscher nicht als König<lb/> von Syrien an; aber sie thaten doch auch nichts um ihn zurück-<lb/> zudrängen und die Seleukiden wieder herzustellen, wie nahe im-<lb/> mer der Krieg, den sie 676 nothgedrungen in Kilikien gegen die<lb/> Piraten begannen, ihnen das Einschreiten in Syrien legte. Selbst<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0054]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
zurücklassen würden, sich zusammensiedeln in der neuen Resi-
denz, einer von jenen mehr die Nichtigkeit der Völker als die
Gröſse der Herrscher verkündigenden Riesenstädten, wie sie in
den Euphratlandschaften bei jedem Wechsel des Oberkönigthums
auf das Machtwort des neuen Groſssultans aus der Erde springen.
Die neue ‚Tigranesstadt‘, Tigranokerta, in der südlichsten Land-
schaft Armeniens unweit der mesopotamischen Grenze gelegen *,
ward eine Stadt wie Ninive und Babylon, mit Mauern von funfzig
Ellen Höhe und den zum Sultanismus nun einmal mit gehörigen
Palast- Garten- und Parkanlagen. Auch sonst verleugnete der
neue Groſskönig sich nicht; wie überhaupt in der ewigen Kind-
heit des Ostens die kindlichen Vorstellungen von den Königen mit
wirklichen Kronen auf dem Haupte den Völkern niemals ausge-
gangen sind, so erschien auch Tigranes, wo er öffentlich sich
zeigte, in Pracht und Tracht eines Nachfolgers des Dareios und
Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb weiſsen halb pur-
purnen Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern, dem ho-
hen Turban und der königlichen Stirnbinde; wo er ging und
stand, von vier ‚Königen‘ in Sclavenart begleitet und bedient.—
Bescheidener trat König Mithradates auf. Er enthielt sich in
Kleinasien der Uebergriffe und begnügte sich, was kein Tractat
ihm verbot, seine Herrschaft am schwarzen Meere fester zu be-
gründen und die Landschaften, die das bosporanische jetzt un-
ter seiner Oberhoheit von seinem Sohn Machares beherrschte
Königreich von dem pontischen trennten, allmählich in bestimm-
tere Abhängigkeit zu bringen. Zugleich wandte er alle Anstren-
gung darauf seine Flotte und sein Heer in Stand zu setzen und
namentlich das letztere nach römischem Muster zu bewaffnen
und zu organisiren, wobei die römischen Emigranten, die in
groſser Zahl an seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche Dienste
leisteten. — Die Römer ihrerseits verhielten gegen Tigranes wie
gegen Mithradates sich passiv und griffen überhaupt so wenig
wie irgend möglich in die orientalischen Angelegenheiten ein.
Sie erkannten zwar den armenischen Herrscher nicht als König
von Syrien an; aber sie thaten doch auch nichts um ihn zurück-
zudrängen und die Seleukiden wieder herzustellen, wie nahe im-
mer der Krieg, den sie 676 nothgedrungen in Kilikien gegen die
Piraten begannen, ihnen das Einschreiten in Syrien legte. Selbst
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Die Stadt lag nicht bei Diarbekr, sondern zwischen Diarbekr und dem
Wansee, dem letzteren näher, an dem Nikephorios (Jezidchaneh Su), einem
der nördlichen Zuflüsse des Tigris.
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