Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. das alte Stadtrecht verdrängt hatte, so stand es doch noch jedemStadtrichter frei bei Antritt seines Amtes das neue Stadtrecht unbeschränkt und willkürlich zu verändern und überwog das Zwölftafelrecht mit seinen Zusätzen formell immer noch das Stadt- edict, so dass in jedem einzelnen Collisionsfall die veraltete Satzung nur durch arbiträres Eingreifen des Beamten, also genau genommen durch Verletzung des formellen Rechts, beseitigt ward. Die subsidiäre Anwendung des Stadtedicts in dem Frem- dengericht in Rom und in den verschiedenen Provinzialgerichts- höfen war nun gar gänzlich in die Willkür der einzelnen Ober- beamten gestellt. Offenbar war es nothwendig das alte Stadt- recht, so weit es nicht in das neuere übergegangen war, definitiv zu beseitigen und in dem letzteren der willkürlichen Aenderung durch jeden einzelnen Stadtrichter angemessene Grenzen zu setzen, etwa auch die subsidiäre Anwendung desselben neben den Localstatuten zu reguliren. Dies war Caesars Absicht, als er den Plan zu einem Gesetzbuch entwarf; denn dies musste sie sein. Der Plan ward nicht ausgeführt und damit jener lästige Ueber- gangszustand in dem römischen Rechtswesen verewigt, bis nach sechshundert Jahren und auch dann nur unvollkommen diese nothwendige Reform von einem der Nachfolger Caesars, dem Kaiser Justinianus vollzogen ward. Endlich in Münze, Mass und Gewicht war die wesentliche FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. das alte Stadtrecht verdrängt hatte, so stand es doch noch jedemStadtrichter frei bei Antritt seines Amtes das neue Stadtrecht unbeschränkt und willkürlich zu verändern und überwog das Zwölftafelrecht mit seinen Zusätzen formell immer noch das Stadt- edict, so daſs in jedem einzelnen Collisionsfall die veraltete Satzung nur durch arbiträres Eingreifen des Beamten, also genau genommen durch Verletzung des formellen Rechts, beseitigt ward. Die subsidiäre Anwendung des Stadtedicts in dem Frem- dengericht in Rom und in den verschiedenen Provinzialgerichts- höfen war nun gar gänzlich in die Willkür der einzelnen Ober- beamten gestellt. Offenbar war es nothwendig das alte Stadt- recht, so weit es nicht in das neuere übergegangen war, definitiv zu beseitigen und in dem letzteren der willkürlichen Aenderung durch jeden einzelnen Stadtrichter angemessene Grenzen zu setzen, etwa auch die subsidiäre Anwendung desselben neben den Localstatuten zu reguliren. Dies war Caesars Absicht, als er den Plan zu einem Gesetzbuch entwarf; denn dies muſste sie sein. Der Plan ward nicht ausgeführt und damit jener lästige Ueber- gangszustand in dem römischen Rechtswesen verewigt, bis nach sechshundert Jahren und auch dann nur unvollkommen diese nothwendige Reform von einem der Nachfolger Caesars, dem Kaiser Justinianus vollzogen ward. Endlich in Münze, Maſs und Gewicht war die wesentliche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0530" n="520"/><fw type="header" place="top">FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.</fw><lb/> das alte Stadtrecht verdrängt hatte, so stand es doch noch jedem<lb/> Stadtrichter frei bei Antritt seines Amtes das neue Stadtrecht<lb/> unbeschränkt und willkürlich zu verändern und überwog das<lb/> Zwölftafelrecht mit seinen Zusätzen formell immer noch das Stadt-<lb/> edict, so daſs in jedem einzelnen Collisionsfall die veraltete<lb/> Satzung nur durch arbiträres Eingreifen des Beamten, also genau<lb/> genommen durch Verletzung des formellen Rechts, beseitigt<lb/> ward. Die subsidiäre Anwendung des Stadtedicts in dem Frem-<lb/> dengericht in Rom und in den verschiedenen Provinzialgerichts-<lb/> höfen war nun gar gänzlich in die Willkür der einzelnen Ober-<lb/> beamten gestellt. 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Sie war uralt in den für Handel und Verkehr unent-<lb/> behrlichen Bestimmungen des Gewichts, der Körper- und Län-<lb/> genmaſse (I, 139) und so alt wie in Rom das Silbergeld in dem<lb/> Münzwesen durch die Gleichsetzung des römischen Denars und<lb/> der attischen Drachme (I, 295). Indeſs reichten diese älteren<lb/> Gleichungen nicht aus, da in der hellenischen Welt selbst die ver-<lb/> schiedenartigsten metrischen und Münzsysteme neben einander<lb/> bestanden; es war nothwendig und lag auch ohne Zweifel in Cae-<lb/> sars Plan in dem neuen einheitlichen Reich, soweit es nicht be-<lb/> reits früher schon geschehen war, römische Münze, römisches<lb/> Maaſs und römisches Gewicht jetzt überall in der Art einzufüh-<lb/> ren, daſs im officiellen Verkehr allein danach gerechnet und die<lb/> Localsysteme theils auf locale Geltung beschränkt, theils zu dem<lb/> römischen in ein ein- für allemal regulirtes Verhältniſs gesetzt<lb/> wurden. Nachweisen indeſs läſst Caesars Thätigkeit sich nur auf<lb/> zweien der wichtigsten dieser Gebiete, in dem Geld - und im Ka-<lb/> lenderwesen. — Das römische Geldwesen beruhte auf den beiden<lb/> neben und in einem festen Verhältniſs zu einander umlaufenden<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [520/0530]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
das alte Stadtrecht verdrängt hatte, so stand es doch noch jedem
Stadtrichter frei bei Antritt seines Amtes das neue Stadtrecht
unbeschränkt und willkürlich zu verändern und überwog das
Zwölftafelrecht mit seinen Zusätzen formell immer noch das Stadt-
edict, so daſs in jedem einzelnen Collisionsfall die veraltete
Satzung nur durch arbiträres Eingreifen des Beamten, also genau
genommen durch Verletzung des formellen Rechts, beseitigt
ward. Die subsidiäre Anwendung des Stadtedicts in dem Frem-
dengericht in Rom und in den verschiedenen Provinzialgerichts-
höfen war nun gar gänzlich in die Willkür der einzelnen Ober-
beamten gestellt. Offenbar war es nothwendig das alte Stadt-
recht, so weit es nicht in das neuere übergegangen war, definitiv
zu beseitigen und in dem letzteren der willkürlichen Aenderung
durch jeden einzelnen Stadtrichter angemessene Grenzen zu
setzen, etwa auch die subsidiäre Anwendung desselben neben den
Localstatuten zu reguliren. Dies war Caesars Absicht, als er den
Plan zu einem Gesetzbuch entwarf; denn dies muſste sie sein.
Der Plan ward nicht ausgeführt und damit jener lästige Ueber-
gangszustand in dem römischen Rechtswesen verewigt, bis nach
sechshundert Jahren und auch dann nur unvollkommen diese
nothwendige Reform von einem der Nachfolger Caesars, dem
Kaiser Justinianus vollzogen ward.
Endlich in Münze, Maſs und Gewicht war die wesentliche
Ausgleichung des latinischen und des hellenischen Systems längst
im Zuge. Sie war uralt in den für Handel und Verkehr unent-
behrlichen Bestimmungen des Gewichts, der Körper- und Län-
genmaſse (I, 139) und so alt wie in Rom das Silbergeld in dem
Münzwesen durch die Gleichsetzung des römischen Denars und
der attischen Drachme (I, 295). Indeſs reichten diese älteren
Gleichungen nicht aus, da in der hellenischen Welt selbst die ver-
schiedenartigsten metrischen und Münzsysteme neben einander
bestanden; es war nothwendig und lag auch ohne Zweifel in Cae-
sars Plan in dem neuen einheitlichen Reich, soweit es nicht be-
reits früher schon geschehen war, römische Münze, römisches
Maaſs und römisches Gewicht jetzt überall in der Art einzufüh-
ren, daſs im officiellen Verkehr allein danach gerechnet und die
Localsysteme theils auf locale Geltung beschränkt, theils zu dem
römischen in ein ein- für allemal regulirtes Verhältniſs gesetzt
wurden. Nachweisen indeſs läſst Caesars Thätigkeit sich nur auf
zweien der wichtigsten dieser Gebiete, in dem Geld - und im Ka-
lenderwesen. — Das römische Geldwesen beruhte auf den beiden
neben und in einem festen Verhältniſs zu einander umlaufenden
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