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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
abgeliefert werden, dass dieser das allgemeine Verzeichniss der
römischen Bürger und der römischen Habe rechtzeitig vollen-
den konnte. Dass es Caesars Absicht war ähnliche Institutionen
auch in den Provinzen einzuführen, dafür bürgt theils die von Cae-
sar angeordnete Vermessung und Katastrirung des gesammten Rei-
ches, theils die Einrichtung selbst; denn es war ja damit die all-
gemeine Formel gefunden, um so gut in den italischen wie in den
nichtitalischen Gemeinden des Staats die für die Centralverwal-
tung erforderlichen Aufnahmen zu bewirken. Offenbar war es
auch hier Caesars Absicht auf die Traditionen der älteren repu-
blikanischen Zeit zurückzugehen und die Reichsschatzung wieder
einzuführen, welche die ältere Republik wesentlich in derselben
Weise wie Caesar die italische, durch analoge Ausdehnung des
Instituts der römischen Censur mit seinen Fristen und sonstigen
wesentlichen Normen auf die sämmtlichen Unterthanengemein-
den Italiens und Siciliens, bewirkt hatte. Es war dies eines der
ersten Institute gewesen, das die erstarrende Aristokratie ver-
fallen liess; auf die Provinzen ward es mit Ausnahme der älte-
sten schon nicht mehr erstreckt und damit ging der obersten
Verwaltungsbehörde jede Uebersicht über die disponiblen Mann-
schaften und Steuerkräfte und also jede Möglichkeit einer wirk-
samen Controle verloren. Die vorhandenen Spuren und der Zu-
sammenhang der Dinge selbst zeigen unwidersprechlich, dass
Caesar die Erneuerung der seit Jahrhunderten verschollenen
Reichsschatzung vorbereitete.

Dass in der Religion wie in der Rechtspflege an eine durch-
greifende Nivellirung nicht gedacht werden konnte, ist kaum
nöthig zu sagen; doch bedurfte der neue Staat bei aller Tole-
ranz gegen Localglauben und Municipalstatute eines gemeinsa-
men der italisch-hellenischen Nationalität entsprechenden Glau-
bens und einer allgemeinen den Municipalstatuten übergeordneten
Rechtssatzung. Er bedurfte ihrer: denn beides war thatsächlich
schon da. Auf dem religiösen Gebiet war man seit Jahrhun-
derten thätig gewesen den italischen und den hellenischen Cult
theils durch äusserliche Aufnahme, theils durch innerliche Aus-
gleichung der Gottheithegriffe in einander zu arbeiten und bei der
nachgiebigen Formlosigkeit der italischen Götter hatte es nicht
einmal grosse Schwierigkeit gemacht den Jupiter in dem Zeus,
die Venus in der Aphrodite und so jede wesentliche Idee des la-
tinischen Glaubens in ihrem hellenischen Gegenbild aufzuheben.
Die italisch-hellenische Religion stand bereits in den Grundzügen
fertig da; und wie sehr man eben auf diesem Gebiete sich dessen

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abgeliefert werden, daſs dieser das allgemeine Verzeichniſs der
römischen Bürger und der römischen Habe rechtzeitig vollen-
den konnte. Daſs es Caesars Absicht war ähnliche Institutionen
auch in den Provinzen einzuführen, dafür bürgt theils die von Cae-
sar angeordnete Vermessung und Katastrirung des gesammten Rei-
ches, theils die Einrichtung selbst; denn es war ja damit die all-
gemeine Formel gefunden, um so gut in den italischen wie in den
nichtitalischen Gemeinden des Staats die für die Centralverwal-
tung erforderlichen Aufnahmen zu bewirken. Offenbar war es
auch hier Caesars Absicht auf die Traditionen der älteren repu-
blikanischen Zeit zurückzugehen und die Reichsschatzung wieder
einzuführen, welche die ältere Republik wesentlich in derselben
Weise wie Caesar die italische, durch analoge Ausdehnung des
Instituts der römischen Censur mit seinen Fristen und sonstigen
wesentlichen Normen auf die sämmtlichen Unterthanengemein-
den Italiens und Siciliens, bewirkt hatte. Es war dies eines der
ersten Institute gewesen, das die erstarrende Aristokratie ver-
fallen lieſs; auf die Provinzen ward es mit Ausnahme der älte-
sten schon nicht mehr erstreckt und damit ging der obersten
Verwaltungsbehörde jede Uebersicht über die disponiblen Mann-
schaften und Steuerkräfte und also jede Möglichkeit einer wirk-
samen Controle verloren. Die vorhandenen Spuren und der Zu-
sammenhang der Dinge selbst zeigen unwidersprechlich, daſs
Caesar die Erneuerung der seit Jahrhunderten verschollenen
Reichsschatzung vorbereitete.

Daſs in der Religion wie in der Rechtspflege an eine durch-
greifende Nivellirung nicht gedacht werden konnte, ist kaum
nöthig zu sagen; doch bedurfte der neue Staat bei aller Tole-
ranz gegen Localglauben und Municipalstatute eines gemeinsa-
men der italisch-hellenischen Nationalität entsprechenden Glau-
bens und einer allgemeinen den Municipalstatuten übergeordneten
Rechtssatzung. Er bedurfte ihrer: denn beides war thatsächlich
schon da. Auf dem religiösen Gebiet war man seit Jahrhun-
derten thätig gewesen den italischen und den hellenischen Cult
theils durch äuſserliche Aufnahme, theils durch innerliche Aus-
gleichung der Gottheithegriffe in einander zu arbeiten und bei der
nachgiebigen Formlosigkeit der italischen Götter hatte es nicht
einmal groſse Schwierigkeit gemacht den Jupiter in dem Zeus,
die Venus in der Aphrodite und so jede wesentliche Idee des la-
tinischen Glaubens in ihrem hellenischen Gegenbild aufzuheben.
Die italisch-hellenische Religion stand bereits in den Grundzügen
fertig da; und wie sehr man eben auf diesem Gebiete sich dessen

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[516/0526] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. abgeliefert werden, daſs dieser das allgemeine Verzeichniſs der römischen Bürger und der römischen Habe rechtzeitig vollen- den konnte. Daſs es Caesars Absicht war ähnliche Institutionen auch in den Provinzen einzuführen, dafür bürgt theils die von Cae- sar angeordnete Vermessung und Katastrirung des gesammten Rei- ches, theils die Einrichtung selbst; denn es war ja damit die all- gemeine Formel gefunden, um so gut in den italischen wie in den nichtitalischen Gemeinden des Staats die für die Centralverwal- tung erforderlichen Aufnahmen zu bewirken. Offenbar war es auch hier Caesars Absicht auf die Traditionen der älteren repu- blikanischen Zeit zurückzugehen und die Reichsschatzung wieder einzuführen, welche die ältere Republik wesentlich in derselben Weise wie Caesar die italische, durch analoge Ausdehnung des Instituts der römischen Censur mit seinen Fristen und sonstigen wesentlichen Normen auf die sämmtlichen Unterthanengemein- den Italiens und Siciliens, bewirkt hatte. Es war dies eines der ersten Institute gewesen, das die erstarrende Aristokratie ver- fallen lieſs; auf die Provinzen ward es mit Ausnahme der älte- sten schon nicht mehr erstreckt und damit ging der obersten Verwaltungsbehörde jede Uebersicht über die disponiblen Mann- schaften und Steuerkräfte und also jede Möglichkeit einer wirk- samen Controle verloren. Die vorhandenen Spuren und der Zu- sammenhang der Dinge selbst zeigen unwidersprechlich, daſs Caesar die Erneuerung der seit Jahrhunderten verschollenen Reichsschatzung vorbereitete. Daſs in der Religion wie in der Rechtspflege an eine durch- greifende Nivellirung nicht gedacht werden konnte, ist kaum nöthig zu sagen; doch bedurfte der neue Staat bei aller Tole- ranz gegen Localglauben und Municipalstatute eines gemeinsa- men der italisch-hellenischen Nationalität entsprechenden Glau- bens und einer allgemeinen den Municipalstatuten übergeordneten Rechtssatzung. Er bedurfte ihrer: denn beides war thatsächlich schon da. Auf dem religiösen Gebiet war man seit Jahrhun- derten thätig gewesen den italischen und den hellenischen Cult theils durch äuſserliche Aufnahme, theils durch innerliche Aus- gleichung der Gottheithegriffe in einander zu arbeiten und bei der nachgiebigen Formlosigkeit der italischen Götter hatte es nicht einmal groſse Schwierigkeit gemacht den Jupiter in dem Zeus, die Venus in der Aphrodite und so jede wesentliche Idee des la- tinischen Glaubens in ihrem hellenischen Gegenbild aufzuheben. Die italisch-hellenische Religion stand bereits in den Grundzügen fertig da; und wie sehr man eben auf diesem Gebiete sich dessen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/526>, abgerufen am 28.11.2024.