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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
Verdienst mancherlei Art gab und der Kleinhandel wie das kleine
Handwerk fast ganz in ihren Händen war. Ihr Einfluss auf die
Wahlen wird ausdrücklich bezeugt; und dass sie auch bei den
Strassenkrawallen voran waren, zeigt schon das gewöhnliche
Signal, wodurch diese von den Demagogen gleichsam angesagt
wurden, die Schliessung der Buden und Verkaufslocale. Zu allem
dem kam, dass die Regierung nicht bloss nichts that um dieser
Corrumpirung der hauptstädtischen Bevölkerung entgegenzuwir-
ken, sondern sogar ihrer egoistischen Politik zu Liebe ihr Vor-
schub leistete. Die verständige Gesetzvorschrift, welche dem wegen
eines Capitalverbrechens verurtheilten Individuum den Aufenthalt
in der Hauptstadt untersagte, ward von der schlaffen Polizei nicht
zur Ausführung gebracht. Die dringend nahe gelegte polizeiliche
Ueberwachung der Associationen und Clubs des Gesindels ward an-
fangs vernachlässigt, späterhin (S. 281) als freiheitswidrige Volks-
beschränkung sogar für strafbar erklärt. Die bei einem solchen
durchaus von der Hand in den Mund lebenden Proletariat unum-
gänglich nothwendige Fürsorge für niedrige Getreidepreise ward
mit dem gewissenlosesten Leichtsinn gehandhabt und die Preis-
schwankungen des Brotkorns waren fabelhafter und unberechen-
barer Art.*Endlich die
Getreidevertheilungen luden das ge-
sammte nahrungslose und arbeitscheue Bürgerproletariat officiell
ein seinen Sitz in der Hauptstadt aufzuschlagen. Es war eine arge
Saat und die Ernte entsprach ihr. Das Club- und Bandenwesen
auf dem politischen Gebiet, auf dem religiösen der Isisdienst und
der gleichartige fromme Schwindel hatten hier ihre Wurzeln.
Man war beständig im Angesicht einer Theurung und nicht sel-
ten in voller Hungersnoth. Nirgends war man seines Lebens we-
niger sicher als in der Hauptstadt: der gewerbmässig betriebene
Banditenmord war das einzige in derselben blühende Hand-
werk; es war die Einleitung zur Ermordung, dass das Schlacht-
opfer nach Rom gelockt ward; niemand wagte sich ohne bewaff-
netes Gefolge in die Umgegend der Hauptstadt. Auch die äussere
Beschaffenheit derselben entsprach dieser inneren Zerrüttung und
schien eine lebendige Satire auf das aristokratische Regiment.
Für die Regulirung des Tiberstroms ward nichts gethan; kaum
dass man die einzige Brücke, mit der man immer noch sich be-

* In dem Productionsland Sicilien ward der römische Scheffel
inner-
halb weniger Jahre zu 2 und zu 20 Sesterzen verkauft; man rechne da-
nach, wie die Preisschwankungen in Rom sich stellen mussten, das vom
überseeischen Korn lebte und der Sitz der Speculanten war.

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
Verdienst mancherlei Art gab und der Kleinhandel wie das kleine
Handwerk fast ganz in ihren Händen war. Ihr Einfluſs auf die
Wahlen wird ausdrücklich bezeugt; und daſs sie auch bei den
Straſsenkrawallen voran waren, zeigt schon das gewöhnliche
Signal, wodurch diese von den Demagogen gleichsam angesagt
wurden, die Schlieſsung der Buden und Verkaufslocale. Zu allem
dem kam, daſs die Regierung nicht bloſs nichts that um dieser
Corrumpirung der hauptstädtischen Bevölkerung entgegenzuwir-
ken, sondern sogar ihrer egoistischen Politik zu Liebe ihr Vor-
schub leistete. Die verständige Gesetzvorschrift, welche dem wegen
eines Capitalverbrechens verurtheilten Individuum den Aufenthalt
in der Hauptstadt untersagte, ward von der schlaffen Polizei nicht
zur Ausführung gebracht. Die dringend nahe gelegte polizeiliche
Ueberwachung der Associationen und Clubs des Gesindels ward an-
fangs vernachlässigt, späterhin (S. 281) als freiheitswidrige Volks-
beschränkung sogar für strafbar erklärt. Die bei einem solchen
durchaus von der Hand in den Mund lebenden Proletariat unum-
gänglich nothwendige Fürsorge für niedrige Getreidepreise ward
mit dem gewissenlosesten Leichtsinn gehandhabt und die Preis-
schwankungen des Brotkorns waren fabelhafter und unberechen-
barer Art.*Endlich die
Getreidevertheilungen luden das ge-
sammte nahrungslose und arbeitscheue Bürgerproletariat officiell
ein seinen Sitz in der Hauptstadt aufzuschlagen. Es war eine arge
Saat und die Ernte entsprach ihr. Das Club- und Bandenwesen
auf dem politischen Gebiet, auf dem religiösen der Isisdienst und
der gleichartige fromme Schwindel hatten hier ihre Wurzeln.
Man war beständig im Angesicht einer Theurung und nicht sel-
ten in voller Hungersnoth. Nirgends war man seines Lebens we-
niger sicher als in der Hauptstadt: der gewerbmäſsig betriebene
Banditenmord war das einzige in derselben blühende Hand-
werk; es war die Einleitung zur Ermordung, daſs das Schlacht-
opfer nach Rom gelockt ward; niemand wagte sich ohne bewaff-
netes Gefolge in die Umgegend der Hauptstadt. Auch die äuſsere
Beschaffenheit derselben entsprach dieser inneren Zerrüttung und
schien eine lebendige Satire auf das aristokratische Regiment.
Für die Regulirung des Tiberstroms ward nichts gethan; kaum
daſs man die einzige Brücke, mit der man immer noch sich be-

* In dem Productionsland Sicilien ward der römische Scheffel
inner-
halb weniger Jahre zu 2 und zu 20 Sesterzen verkauft; man rechne da-
nach, wie die Preisschwankungen in Rom sich stellen muſsten, das vom
überseeischen Korn lebte und der Sitz der Speculanten war.
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[474/0484] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. Verdienst mancherlei Art gab und der Kleinhandel wie das kleine Handwerk fast ganz in ihren Händen war. Ihr Einfluſs auf die Wahlen wird ausdrücklich bezeugt; und daſs sie auch bei den Straſsenkrawallen voran waren, zeigt schon das gewöhnliche Signal, wodurch diese von den Demagogen gleichsam angesagt wurden, die Schlieſsung der Buden und Verkaufslocale. Zu allem dem kam, daſs die Regierung nicht bloſs nichts that um dieser Corrumpirung der hauptstädtischen Bevölkerung entgegenzuwir- ken, sondern sogar ihrer egoistischen Politik zu Liebe ihr Vor- schub leistete. Die verständige Gesetzvorschrift, welche dem wegen eines Capitalverbrechens verurtheilten Individuum den Aufenthalt in der Hauptstadt untersagte, ward von der schlaffen Polizei nicht zur Ausführung gebracht. Die dringend nahe gelegte polizeiliche Ueberwachung der Associationen und Clubs des Gesindels ward an- fangs vernachlässigt, späterhin (S. 281) als freiheitswidrige Volks- beschränkung sogar für strafbar erklärt. Die bei einem solchen durchaus von der Hand in den Mund lebenden Proletariat unum- gänglich nothwendige Fürsorge für niedrige Getreidepreise ward mit dem gewissenlosesten Leichtsinn gehandhabt und die Preis- schwankungen des Brotkorns waren fabelhafter und unberechen- barer Art. *Endlich die Getreidevertheilungen luden das ge- sammte nahrungslose und arbeitscheue Bürgerproletariat officiell ein seinen Sitz in der Hauptstadt aufzuschlagen. Es war eine arge Saat und die Ernte entsprach ihr. Das Club- und Bandenwesen auf dem politischen Gebiet, auf dem religiösen der Isisdienst und der gleichartige fromme Schwindel hatten hier ihre Wurzeln. Man war beständig im Angesicht einer Theurung und nicht sel- ten in voller Hungersnoth. Nirgends war man seines Lebens we- niger sicher als in der Hauptstadt: der gewerbmäſsig betriebene Banditenmord war das einzige in derselben blühende Hand- werk; es war die Einleitung zur Ermordung, daſs das Schlacht- opfer nach Rom gelockt ward; niemand wagte sich ohne bewaff- netes Gefolge in die Umgegend der Hauptstadt. Auch die äuſsere Beschaffenheit derselben entsprach dieser inneren Zerrüttung und schien eine lebendige Satire auf das aristokratische Regiment. Für die Regulirung des Tiberstroms ward nichts gethan; kaum daſs man die einzige Brücke, mit der man immer noch sich be- * In dem Productionsland Sicilien ward der römische Scheffel inner- halb weniger Jahre zu 2 und zu 20 Sesterzen verkauft; man rechne da- nach, wie die Preisschwankungen in Rom sich stellen muſsten, das vom überseeischen Korn lebte und der Sitz der Speculanten war.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/484>, abgerufen am 18.12.2024.