Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.REPUBLIK UND MONARCHIE. höheren Klassen rasch aus dem städtischen Gemeinleben aus undfinden mehr in dem ganzen Staate als in einer einzelnen Stadt ihre Heimath; hier concentrirt sich unvermeidlich die ausländi- sche Ansiedlung, die fluctuirende Bevölkerung von Vergnügens- und Geschäftsreisenden, die Masse des müssigen, faulen, ver- brecherischen, ökonomisch und moralisch bankerotten und eben darum kosmopolitischen Gesindels. Auf Rom fand dies alles in eminenter Weise Anwendung. Der wohlhabende Römer betrach- tete sein Stadthaus häufig nur als ein Absteigequartier. Indem aus der städtischen Municipalität die Reichsämter hervorgingen, das städtische Vogtding die Versammlung der Reichsbürger ward, hörte jedes eigentliche Communalleben für Rom auf. Aus dem ganzen Umfang des weitumfassenden Reiches strömte man nach Rom, um zu speculiren, zu debauchiren, zu intriguiren, zum Ver- brecher sich auszubilden oder auch daselbst vor dem Auge des Ge- setzes sich zu verbergen. Aber zu diesen unvermeidlichen Uebel- ständen traten noch andere eigenthümliche hinzu, welche die dem grossstädtischen Wesen anhaftenden Beschwerden zum förm- lichen Nothstand steigerten. Es hat vielleicht nie eine Grossstadt gegeben, die so durchaus nahrungslos war wie Rom; theils die Einfuhr, theils die häusliche Fabrication durch Sclaven machten hier jede freie Industrie von vorn herein unmöglich. Die nach- theiligen Folgen des Grundübels der Staatenbildung im Alterthum überhaupt, des Sclavensystems traten in der Hauptstadt schärfer als irgendwo sonst hervor. Nirgends häuften solche Sclavenmas- sen sich an wie in den hauptstädtischen Palästen der grossen Fa- milien oder der reichen Emporkömmlinge. Nirgends mischten sich so wie in der hauptstädtischen Sclavenschaft die Nationen dreier Welttheile, Syrer, Phryger und andere Halbhellenen mit Libyern und Mohren, Geten und Iberer mit den immer zahlreicher einströmenden Kelten und Deutschen. Die von der Unfreiheit un- zertrennliche Demoralisation und der scheussliche Widerspruch des formellen und des sittlichen Rechts kamen weit greller zum Vorschein bei dem halb oder ganz gebildeten gleichsam vorneh- men Stadtsclaven als bei dem Ackerknecht, der das Feld gleich dem gefesselten Stier in Ketten bestellte. Schlimmer noch als die Sclavenmassen waren die der rechtlich oder auch bloss thatsäch- lich freigegebenen Leute, ein Gemisch bettelhaften Gesindels und schwerreicher Parvenus, nicht mehr Sclaven und doch noch nicht völlig Bürger, ökonomisch und selbst rechtlich von ihrem Herrn abhängig und doch mit den Ansprüchen freier Männer; und eben die Freigelassenen zogen sich vor allem nach der Hauptstadt, wo es REPUBLIK UND MONARCHIE. höheren Klassen rasch aus dem städtischen Gemeinleben aus undfinden mehr in dem ganzen Staate als in einer einzelnen Stadt ihre Heimath; hier concentrirt sich unvermeidlich die ausländi- sche Ansiedlung, die fluctuirende Bevölkerung von Vergnügens- und Geschäftsreisenden, die Masse des müssigen, faulen, ver- brecherischen, ökonomisch und moralisch bankerotten und eben darum kosmopolitischen Gesindels. Auf Rom fand dies alles in eminenter Weise Anwendung. Der wohlhabende Römer betrach- tete sein Stadthaus häufig nur als ein Absteigequartier. Indem aus der städtischen Municipalität die Reichsämter hervorgingen, das städtische Vogtding die Versammlung der Reichsbürger ward, hörte jedes eigentliche Communalleben für Rom auf. Aus dem ganzen Umfang des weitumfassenden Reiches strömte man nach Rom, um zu speculiren, zu debauchiren, zu intriguiren, zum Ver- brecher sich auszubilden oder auch daselbst vor dem Auge des Ge- setzes sich zu verbergen. Aber zu diesen unvermeidlichen Uebel- ständen traten noch andere eigenthümliche hinzu, welche die dem groſsstädtischen Wesen anhaftenden Beschwerden zum förm- lichen Nothstand steigerten. Es hat vielleicht nie eine Groſsstadt gegeben, die so durchaus nahrungslos war wie Rom; theils die Einfuhr, theils die häusliche Fabrication durch Sclaven machten hier jede freie Industrie von vorn herein unmöglich. Die nach- theiligen Folgen des Grundübels der Staatenbildung im Alterthum überhaupt, des Sclavensystems traten in der Hauptstadt schärfer als irgendwo sonst hervor. Nirgends häuften solche Sclavenmas- sen sich an wie in den hauptstädtischen Palästen der groſsen Fa- milien oder der reichen Emporkömmlinge. Nirgends mischten sich so wie in der hauptstädtischen Sclavenschaft die Nationen dreier Welttheile, Syrer, Phryger und andere Halbhellenen mit Libyern und Mohren, Geten und Iberer mit den immer zahlreicher einströmenden Kelten und Deutschen. Die von der Unfreiheit un- zertrennliche Demoralisation und der scheuſsliche Widerspruch des formellen und des sittlichen Rechts kamen weit greller zum Vorschein bei dem halb oder ganz gebildeten gleichsam vorneh- men Stadtsclaven als bei dem Ackerknecht, der das Feld gleich dem gefesselten Stier in Ketten bestellte. Schlimmer noch als die Sclavenmassen waren die der rechtlich oder auch bloſs thatsäch- lich freigegebenen Leute, ein Gemisch bettelhaften Gesindels und schwerreicher Parvenus, nicht mehr Sclaven und doch noch nicht völlig Bürger, ökonomisch und selbst rechtlich von ihrem Herrn abhängig und doch mit den Ansprüchen freier Männer; und eben die Freigelassenen zogen sich vor allem nach der Hauptstadt, wo es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0483" n="473"/><fw place="top" type="header">REPUBLIK UND MONARCHIE.</fw><lb/> höheren Klassen rasch aus dem städtischen Gemeinleben aus und<lb/> finden mehr in dem ganzen Staate als in einer einzelnen Stadt<lb/> ihre Heimath; hier concentrirt sich unvermeidlich die ausländi-<lb/> sche Ansiedlung, die fluctuirende Bevölkerung von Vergnügens-<lb/> und Geschäftsreisenden, die Masse des müssigen, faulen, ver-<lb/> brecherischen, ökonomisch und moralisch bankerotten und eben<lb/> darum kosmopolitischen Gesindels. Auf Rom fand dies alles in<lb/> eminenter Weise Anwendung. Der wohlhabende Römer betrach-<lb/> tete sein Stadthaus häufig nur als ein Absteigequartier. Indem<lb/> aus der städtischen Municipalität die Reichsämter hervorgingen,<lb/> das städtische Vogtding die Versammlung der Reichsbürger ward,<lb/> hörte jedes eigentliche Communalleben für Rom auf. Aus dem<lb/> ganzen Umfang des weitumfassenden Reiches strömte man nach<lb/> Rom, um zu speculiren, zu debauchiren, zu intriguiren, zum Ver-<lb/> brecher sich auszubilden oder auch daselbst vor dem Auge des Ge-<lb/> setzes sich zu verbergen. Aber zu diesen unvermeidlichen Uebel-<lb/> ständen traten noch andere eigenthümliche hinzu, welche die<lb/> dem groſsstädtischen Wesen anhaftenden Beschwerden zum förm-<lb/> lichen Nothstand steigerten. Es hat vielleicht nie eine Groſsstadt<lb/> gegeben, die so durchaus nahrungslos war wie Rom; theils die<lb/> Einfuhr, theils die häusliche Fabrication durch Sclaven machten<lb/> hier jede freie Industrie von vorn herein unmöglich. Die nach-<lb/> theiligen Folgen des Grundübels der Staatenbildung im Alterthum<lb/> überhaupt, des Sclavensystems traten in der Hauptstadt schärfer<lb/> als irgendwo sonst hervor. Nirgends häuften solche Sclavenmas-<lb/> sen sich an wie in den hauptstädtischen Palästen der groſsen Fa-<lb/> milien oder der reichen Emporkömmlinge. Nirgends mischten<lb/> sich so wie in der hauptstädtischen Sclavenschaft die Nationen<lb/> dreier Welttheile, Syrer, Phryger und andere Halbhellenen mit<lb/> Libyern und Mohren, Geten und Iberer mit den immer zahlreicher<lb/> einströmenden Kelten und Deutschen. 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REPUBLIK UND MONARCHIE.
höheren Klassen rasch aus dem städtischen Gemeinleben aus und
finden mehr in dem ganzen Staate als in einer einzelnen Stadt
ihre Heimath; hier concentrirt sich unvermeidlich die ausländi-
sche Ansiedlung, die fluctuirende Bevölkerung von Vergnügens-
und Geschäftsreisenden, die Masse des müssigen, faulen, ver-
brecherischen, ökonomisch und moralisch bankerotten und eben
darum kosmopolitischen Gesindels. Auf Rom fand dies alles in
eminenter Weise Anwendung. Der wohlhabende Römer betrach-
tete sein Stadthaus häufig nur als ein Absteigequartier. Indem
aus der städtischen Municipalität die Reichsämter hervorgingen,
das städtische Vogtding die Versammlung der Reichsbürger ward,
hörte jedes eigentliche Communalleben für Rom auf. Aus dem
ganzen Umfang des weitumfassenden Reiches strömte man nach
Rom, um zu speculiren, zu debauchiren, zu intriguiren, zum Ver-
brecher sich auszubilden oder auch daselbst vor dem Auge des Ge-
setzes sich zu verbergen. Aber zu diesen unvermeidlichen Uebel-
ständen traten noch andere eigenthümliche hinzu, welche die
dem groſsstädtischen Wesen anhaftenden Beschwerden zum förm-
lichen Nothstand steigerten. Es hat vielleicht nie eine Groſsstadt
gegeben, die so durchaus nahrungslos war wie Rom; theils die
Einfuhr, theils die häusliche Fabrication durch Sclaven machten
hier jede freie Industrie von vorn herein unmöglich. Die nach-
theiligen Folgen des Grundübels der Staatenbildung im Alterthum
überhaupt, des Sclavensystems traten in der Hauptstadt schärfer
als irgendwo sonst hervor. Nirgends häuften solche Sclavenmas-
sen sich an wie in den hauptstädtischen Palästen der groſsen Fa-
milien oder der reichen Emporkömmlinge. Nirgends mischten
sich so wie in der hauptstädtischen Sclavenschaft die Nationen
dreier Welttheile, Syrer, Phryger und andere Halbhellenen mit
Libyern und Mohren, Geten und Iberer mit den immer zahlreicher
einströmenden Kelten und Deutschen. Die von der Unfreiheit un-
zertrennliche Demoralisation und der scheuſsliche Widerspruch
des formellen und des sittlichen Rechts kamen weit greller zum
Vorschein bei dem halb oder ganz gebildeten gleichsam vorneh-
men Stadtsclaven als bei dem Ackerknecht, der das Feld gleich
dem gefesselten Stier in Ketten bestellte. Schlimmer noch als die
Sclavenmassen waren die der rechtlich oder auch bloſs thatsäch-
lich freigegebenen Leute, ein Gemisch bettelhaften Gesindels und
schwerreicher Parvenus, nicht mehr Sclaven und doch noch nicht
völlig Bürger, ökonomisch und selbst rechtlich von ihrem Herrn
abhängig und doch mit den Ansprüchen freier Männer; und eben
die Freigelassenen zogen sich vor allem nach der Hauptstadt, wo es
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