Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.REPUBLIK UND MONARCHIE. die so lange der Zankapfel zwischen ihnen gewesen waren, jetztfriedlich sich theilten. Es lag hierin zugleich die Festsetzung eines Geschwornencensus von mindestens 400000 Sesterzen (28000 Thlr.). -- Das Verhältniss der königlichen und der re- publikanischen Gerichtsbarkeit war im Ganzen concurrirender Art, so dass jede Sache, wenn sie anhängig gemacht ward, so- wohl vor dem Königsgericht als vor dem beikommenden republi- kanischen Gerichtshof instruirt werden konnte, wobei im Colli- sionsfall natürlich der letztere zurückstand; wenn dagegen das eine oder das andere Gericht den Spruch gefällt hatte, die Sache damit endgültig erledigt war. Indess gelangte der neue König auf einem anderen Wege auch dazu unter Umständen ein gerichtli- ches Urtheil reformiren zu können. Der Volkstribun konnte durch sein Einschreiten wie jede andere Amtshandlung, so auch den unter Leitung eines Magistrats gefundenen Geschwornenspruch cassiren, ausser wo besondere Ausnahmegesetze die tribunicische Intercession ausschlossen; was der Fall war bei den durch neuere Gesetze niedergesetzten Geschwornengerichten, den Hundertmän- nern und den verschiedenen Criminalcommissionen. Mit Aus- nahme dieser Wahrsprüche also konnte denn auch der Imperator kraft seiner tribunicischen Gewalt jedes Geschwornenurtheil und namentlich jede Entscheidung in dem gewöhnlichen Privatpro zess vor Civilgeschwornen vernichten und kraft seiner oberrichterlichen Befugniss die Sache sodann abermals vor sich verhandeln lassen. So begründete Caesar* neben der concurrirenden Gerichtsbarkeit erster und einziger Instanz, wie sie in dem neuen Königsgericht enthalten war, eine kaiserliche Appellationsinstanz und es ent- stand damit der rechtliche Instanzenzug, der der ältern Geschichte des Rechts durchaus fremd ist und der für die Folge- und noch für die heutige Zeit so wichtig werden sollte. -- Allerdings wa- ren durch diese Neuerungen, von denen die wichtigste, die Ein- führung des Princips der Appellation, nicht einmal unbedingt zu den Besserungen gezählt werden kann, die Schäden, an denen die römische Rechtspflege darnieder lag, keineswegs ausgeheilt. Der Criminalprozess, der von Haus aus politischer Prozess ge- wesen und zum guten Theil immer geblieben war, hatte in dem wüsten Treiben der letzten Generationen sich vollständig zer- * Vollständig nachweisbar sind diese Sätze allerdings erst für Augu-
stus; aber da alle Elemente dieser merkwürdigen Gerichtsreform in der von Caesar begrenzten Imperatorengewalt enthalten sind, so wird man sie auf diesen zurückführen dürfen. REPUBLIK UND MONARCHIE. die so lange der Zankapfel zwischen ihnen gewesen waren, jetztfriedlich sich theilten. Es lag hierin zugleich die Festsetzung eines Geschwornencensus von mindestens 400000 Sesterzen (28000 Thlr.). — Das Verhältniſs der königlichen und der re- publikanischen Gerichtsbarkeit war im Ganzen concurrirender Art, so daſs jede Sache, wenn sie anhängig gemacht ward, so- wohl vor dem Königsgericht als vor dem beikommenden republi- kanischen Gerichtshof instruirt werden konnte, wobei im Colli- sionsfall natürlich der letztere zurückstand; wenn dagegen das eine oder das andere Gericht den Spruch gefällt hatte, die Sache damit endgültig erledigt war. Indeſs gelangte der neue König auf einem anderen Wege auch dazu unter Umständen ein gerichtli- ches Urtheil reformiren zu können. Der Volkstribun konnte durch sein Einschreiten wie jede andere Amtshandlung, so auch den unter Leitung eines Magistrats gefundenen Geschwornenspruch cassiren, auſser wo besondere Ausnahmegesetze die tribunicische Intercession ausschlossen; was der Fall war bei den durch neuere Gesetze niedergesetzten Geschwornengerichten, den Hundertmän- nern und den verschiedenen Criminalcommissionen. Mit Aus- nahme dieser Wahrsprüche also konnte denn auch der Imperator kraft seiner tribunicischen Gewalt jedes Geschwornenurtheil und namentlich jede Entscheidung in dem gewöhnlichen Privatpro zeſs vor Civilgeschwornen vernichten und kraft seiner oberrichterlichen Befugniſs die Sache sodann abermals vor sich verhandeln lassen. So begründete Caesar* neben der concurrirenden Gerichtsbarkeit erster und einziger Instanz, wie sie in dem neuen Königsgericht enthalten war, eine kaiserliche Appellationsinstanz und es ent- stand damit der rechtliche Instanzenzug, der der ältern Geschichte des Rechts durchaus fremd ist und der für die Folge- und noch für die heutige Zeit so wichtig werden sollte. — Allerdings wa- ren durch diese Neuerungen, von denen die wichtigste, die Ein- führung des Princips der Appellation, nicht einmal unbedingt zu den Besserungen gezählt werden kann, die Schäden, an denen die römische Rechtspflege darnieder lag, keineswegs ausgeheilt. Der Criminalprozeſs, der von Haus aus politischer Prozeſs ge- wesen und zum guten Theil immer geblieben war, hatte in dem wüsten Treiben der letzten Generationen sich vollständig zer- * Vollständig nachweisbar sind diese Sätze allerdings erst für Augu-
stus; aber da alle Elemente dieser merkwürdigen Gerichtsreform in der von Caesar begrenzten Imperatorengewalt enthalten sind, so wird man sie auf diesen zurückführen dürfen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0469" n="459"/><fw place="top" type="header">REPUBLIK UND MONARCHIE.</fw><lb/> die so lange der Zankapfel zwischen ihnen gewesen waren, jetzt<lb/> friedlich sich theilten. Es lag hierin zugleich die Festsetzung<lb/> eines Geschwornencensus von mindestens 400000 Sesterzen<lb/> (28000 Thlr.). — Das Verhältniſs der königlichen und der re-<lb/> publikanischen Gerichtsbarkeit war im Ganzen concurrirender<lb/> Art, so daſs jede Sache, wenn sie anhängig gemacht ward, so-<lb/> wohl vor dem Königsgericht als vor dem beikommenden republi-<lb/> kanischen Gerichtshof instruirt werden konnte, wobei im Colli-<lb/> sionsfall natürlich der letztere zurückstand; wenn dagegen das<lb/> eine oder das andere Gericht den Spruch gefällt hatte, die Sache<lb/> damit endgültig erledigt war. Indeſs gelangte der neue König auf<lb/> einem anderen Wege auch dazu unter Umständen ein gerichtli-<lb/> ches Urtheil reformiren zu können. Der Volkstribun konnte durch<lb/> sein Einschreiten wie jede andere Amtshandlung, so auch den<lb/> unter Leitung eines Magistrats gefundenen Geschwornenspruch<lb/> cassiren, auſser wo besondere Ausnahmegesetze die tribunicische<lb/> Intercession ausschlossen; was der Fall war bei den durch neuere<lb/> Gesetze niedergesetzten Geschwornengerichten, den Hundertmän-<lb/> nern und den verschiedenen Criminalcommissionen. Mit Aus-<lb/> nahme dieser Wahrsprüche also konnte denn auch der Imperator<lb/> kraft seiner tribunicischen Gewalt jedes Geschwornenurtheil und<lb/> namentlich jede Entscheidung in dem gewöhnlichen Privatpro zeſs<lb/> vor Civilgeschwornen vernichten und kraft seiner oberrichterlichen<lb/> Befugniſs die Sache sodann abermals vor sich verhandeln lassen.<lb/> So begründete Caesar<note place="foot" n="*">Vollständig nachweisbar sind diese Sätze allerdings erst für Augu-<lb/> stus; aber da alle Elemente dieser merkwürdigen Gerichtsreform in der<lb/> von Caesar begrenzten Imperatorengewalt enthalten sind, so wird man sie<lb/> auf diesen zurückführen dürfen.</note> neben der concurrirenden Gerichtsbarkeit<lb/> erster und einziger Instanz, wie sie in dem neuen Königsgericht<lb/> enthalten war, eine kaiserliche Appellationsinstanz und es ent-<lb/> stand damit der rechtliche Instanzenzug, der der ältern Geschichte<lb/> des Rechts durchaus fremd ist und der für die Folge- und noch<lb/> für die heutige Zeit so wichtig werden sollte. — Allerdings wa-<lb/> ren durch diese Neuerungen, von denen die wichtigste, die Ein-<lb/> führung des Princips der Appellation, nicht einmal unbedingt<lb/> zu den Besserungen gezählt werden kann, die Schäden, an denen<lb/> die römische Rechtspflege darnieder lag, keineswegs ausgeheilt.<lb/> Der Criminalprozeſs, der von Haus aus politischer Prozeſs ge-<lb/> wesen und zum guten Theil immer geblieben war, hatte in dem<lb/> wüsten Treiben der letzten Generationen sich vollständig zer-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [459/0469]
REPUBLIK UND MONARCHIE.
die so lange der Zankapfel zwischen ihnen gewesen waren, jetzt
friedlich sich theilten. Es lag hierin zugleich die Festsetzung
eines Geschwornencensus von mindestens 400000 Sesterzen
(28000 Thlr.). — Das Verhältniſs der königlichen und der re-
publikanischen Gerichtsbarkeit war im Ganzen concurrirender
Art, so daſs jede Sache, wenn sie anhängig gemacht ward, so-
wohl vor dem Königsgericht als vor dem beikommenden republi-
kanischen Gerichtshof instruirt werden konnte, wobei im Colli-
sionsfall natürlich der letztere zurückstand; wenn dagegen das
eine oder das andere Gericht den Spruch gefällt hatte, die Sache
damit endgültig erledigt war. Indeſs gelangte der neue König auf
einem anderen Wege auch dazu unter Umständen ein gerichtli-
ches Urtheil reformiren zu können. Der Volkstribun konnte durch
sein Einschreiten wie jede andere Amtshandlung, so auch den
unter Leitung eines Magistrats gefundenen Geschwornenspruch
cassiren, auſser wo besondere Ausnahmegesetze die tribunicische
Intercession ausschlossen; was der Fall war bei den durch neuere
Gesetze niedergesetzten Geschwornengerichten, den Hundertmän-
nern und den verschiedenen Criminalcommissionen. Mit Aus-
nahme dieser Wahrsprüche also konnte denn auch der Imperator
kraft seiner tribunicischen Gewalt jedes Geschwornenurtheil und
namentlich jede Entscheidung in dem gewöhnlichen Privatpro zeſs
vor Civilgeschwornen vernichten und kraft seiner oberrichterlichen
Befugniſs die Sache sodann abermals vor sich verhandeln lassen.
So begründete Caesar * neben der concurrirenden Gerichtsbarkeit
erster und einziger Instanz, wie sie in dem neuen Königsgericht
enthalten war, eine kaiserliche Appellationsinstanz und es ent-
stand damit der rechtliche Instanzenzug, der der ältern Geschichte
des Rechts durchaus fremd ist und der für die Folge- und noch
für die heutige Zeit so wichtig werden sollte. — Allerdings wa-
ren durch diese Neuerungen, von denen die wichtigste, die Ein-
führung des Princips der Appellation, nicht einmal unbedingt
zu den Besserungen gezählt werden kann, die Schäden, an denen
die römische Rechtspflege darnieder lag, keineswegs ausgeheilt.
Der Criminalprozeſs, der von Haus aus politischer Prozeſs ge-
wesen und zum guten Theil immer geblieben war, hatte in dem
wüsten Treiben der letzten Generationen sich vollständig zer-
* Vollständig nachweisbar sind diese Sätze allerdings erst für Augu-
stus; aber da alle Elemente dieser merkwürdigen Gerichtsreform in der
von Caesar begrenzten Imperatorengewalt enthalten sind, so wird man sie
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