der Phöniker, die Etrusker und Samniten gegen Rom unter die Waffen zu rufen.
Indess dieser Vergleich war doch mehr witzig als richtig. Sertorius war bei weitem nicht stark genug um das Riesenunter- nehmen Hannibals zu erneuern; er war verloren, wenn er Spa- nien verliess, an dessen Landes- und Volkseigenthümlichkeit all seine Erfolge hingen, und auch hier mehr und mehr genöthigt der Offensive zu entsagen. Sein bewundernswerthes Führer- geschick konnte die Beschaffenheit seiner Truppen nicht ändern; der spanische Landsturm blieb, was er war, unzuverlässig wie die Welle und der Wind, bald in Massen bis zu 150000 Köpfen versammelt, bald wieder bis auf eine Handvoll Leute sich ver- laufend; in gleicher Weise blieben die römischen Emigranten un- botmässig, hoffärtig und eigensinnig. Die Waffengattungen, die längeres Zusammenhalten der Corps erfordern, wie namentlich die Reiterei, waren natürlich im sertorianischen Heer sehr schwach vertreten. Seine fähigsten Offiziere und den Kern seiner Vetera- nen rieb der Krieg allmählich auf und auch die zuverlässigsten Gemeinden fingen an, ermüdet von der Plackerei durch die Rö- mer und der Misshandlung durch die sertorianischen Offiziere, Zeichen der Ungeduld und der schwankenden Treue zu geben. Es ist bemerkenswerth, dass Sertorius, auch darin Hannibal gleich, niemals über die Hoffnungslosigkeit seiner Stellung sich getäuscht hat; er liess keine Gelegenheit vorübergehen, um einen Vergleich herbeizuführen und war jeden Augenblick bereit gegen die Zusicherung in seiner Heimath friedlich leben zu dürfen, sei- nen Commandostab niederzulegen. Allein die politische Ortho- doxie weiss nichts von Vergleich und Versöhnung. Sertorius durfte nicht rückwärts, nicht seitwärts; unvermeidlich musste er weiter auf der einmal betretenen Bahn, wie sie auch schmaler und schwindelnder ward. Wie Hannibals wurden auch seine kriegerischen Erfolge nothwendig immer geringer; man fing an sein militärisches Talent in Zweifel zu ziehen: er sei nicht mehr der alte, hiess es, er verbringe den Tag beim Schmaus oder beim Becher und verschleudere die Gelder wie die Stunden. Die Zahl der Ausreisser, der abfallenden Gemeinden mehrte sich. Bald kamen Pläne der römischen Emigranten gegen das Leben des Feldherrn bei diesem zur Anzeige; sie klangen glaublich genug, wo so manche Offiziere, namentlich Perpenna nur widerwillig sich unter den Oberbefehl des Sertorius gefügt hatten und seit langem von den römischen Statthaltern dem Mörder des feind- lichen Oberfeldherrn Amnestie und ein hohes Blutgeld ausgelobt
FÜNFTES BUCH. KAPITEL. I.
der Phöniker, die Etrusker und Samniten gegen Rom unter die Waffen zu rufen.
Indeſs dieser Vergleich war doch mehr witzig als richtig. Sertorius war bei weitem nicht stark genug um das Riesenunter- nehmen Hannibals zu erneuern; er war verloren, wenn er Spa- nien verlieſs, an dessen Landes- und Volkseigenthümlichkeit all seine Erfolge hingen, und auch hier mehr und mehr genöthigt der Offensive zu entsagen. Sein bewundernswerthes Führer- geschick konnte die Beschaffenheit seiner Truppen nicht ändern; der spanische Landsturm blieb, was er war, unzuverlässig wie die Welle und der Wind, bald in Massen bis zu 150000 Köpfen versammelt, bald wieder bis auf eine Handvoll Leute sich ver- laufend; in gleicher Weise blieben die römischen Emigranten un- botmäſsig, hoffärtig und eigensinnig. Die Waffengattungen, die längeres Zusammenhalten der Corps erfordern, wie namentlich die Reiterei, waren natürlich im sertorianischen Heer sehr schwach vertreten. Seine fähigsten Offiziere und den Kern seiner Vetera- nen rieb der Krieg allmählich auf und auch die zuverlässigsten Gemeinden fingen an, ermüdet von der Plackerei durch die Rö- mer und der Miſshandlung durch die sertorianischen Offiziere, Zeichen der Ungeduld und der schwankenden Treue zu geben. Es ist bemerkenswerth, daſs Sertorius, auch darin Hannibal gleich, niemals über die Hoffnungslosigkeit seiner Stellung sich getäuscht hat; er lieſs keine Gelegenheit vorübergehen, um einen Vergleich herbeizuführen und war jeden Augenblick bereit gegen die Zusicherung in seiner Heimath friedlich leben zu dürfen, sei- nen Commandostab niederzulegen. Allein die politische Ortho- doxie weiſs nichts von Vergleich und Versöhnung. Sertorius durfte nicht rückwärts, nicht seitwärts; unvermeidlich muſste er weiter auf der einmal betretenen Bahn, wie sie auch schmaler und schwindelnder ward. Wie Hannibals wurden auch seine kriegerischen Erfolge nothwendig immer geringer; man fing an sein militärisches Talent in Zweifel zu ziehen: er sei nicht mehr der alte, hieſs es, er verbringe den Tag beim Schmaus oder beim Becher und verschleudere die Gelder wie die Stunden. Die Zahl der Ausreiſser, der abfallenden Gemeinden mehrte sich. Bald kamen Pläne der römischen Emigranten gegen das Leben des Feldherrn bei diesem zur Anzeige; sie klangen glaublich genug, wo so manche Offiziere, namentlich Perpenna nur widerwillig sich unter den Oberbefehl des Sertorius gefügt hatten und seit langem von den römischen Statthaltern dem Mörder des feind- lichen Oberfeldherrn Amnestie und ein hohes Blutgeld ausgelobt
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FÜNFTES BUCH. KAPITEL. I.
der Phöniker, die Etrusker und Samniten gegen Rom unter die
Waffen zu rufen.
Indeſs dieser Vergleich war doch mehr witzig als richtig.
Sertorius war bei weitem nicht stark genug um das Riesenunter-
nehmen Hannibals zu erneuern; er war verloren, wenn er Spa-
nien verlieſs, an dessen Landes- und Volkseigenthümlichkeit all
seine Erfolge hingen, und auch hier mehr und mehr genöthigt
der Offensive zu entsagen. Sein bewundernswerthes Führer-
geschick konnte die Beschaffenheit seiner Truppen nicht ändern;
der spanische Landsturm blieb, was er war, unzuverlässig wie die
Welle und der Wind, bald in Massen bis zu 150000 Köpfen
versammelt, bald wieder bis auf eine Handvoll Leute sich ver-
laufend; in gleicher Weise blieben die römischen Emigranten un-
botmäſsig, hoffärtig und eigensinnig. Die Waffengattungen, die
längeres Zusammenhalten der Corps erfordern, wie namentlich
die Reiterei, waren natürlich im sertorianischen Heer sehr schwach
vertreten. Seine fähigsten Offiziere und den Kern seiner Vetera-
nen rieb der Krieg allmählich auf und auch die zuverlässigsten
Gemeinden fingen an, ermüdet von der Plackerei durch die Rö-
mer und der Miſshandlung durch die sertorianischen Offiziere,
Zeichen der Ungeduld und der schwankenden Treue zu geben.
Es ist bemerkenswerth, daſs Sertorius, auch darin Hannibal
gleich, niemals über die Hoffnungslosigkeit seiner Stellung sich
getäuscht hat; er lieſs keine Gelegenheit vorübergehen, um einen
Vergleich herbeizuführen und war jeden Augenblick bereit gegen
die Zusicherung in seiner Heimath friedlich leben zu dürfen, sei-
nen Commandostab niederzulegen. Allein die politische Ortho-
doxie weiſs nichts von Vergleich und Versöhnung. Sertorius
durfte nicht rückwärts, nicht seitwärts; unvermeidlich muſste er
weiter auf der einmal betretenen Bahn, wie sie auch schmaler
und schwindelnder ward. Wie Hannibals wurden auch seine
kriegerischen Erfolge nothwendig immer geringer; man fing an
sein militärisches Talent in Zweifel zu ziehen: er sei nicht mehr
der alte, hieſs es, er verbringe den Tag beim Schmaus oder beim
Becher und verschleudere die Gelder wie die Stunden. Die Zahl
der Ausreiſser, der abfallenden Gemeinden mehrte sich. Bald
kamen Pläne der römischen Emigranten gegen das Leben des
Feldherrn bei diesem zur Anzeige; sie klangen glaublich genug,
wo so manche Offiziere, namentlich Perpenna nur widerwillig
sich unter den Oberbefehl des Sertorius gefügt hatten und seit
langem von den römischen Statthaltern dem Mörder des feind-
lichen Oberfeldherrn Amnestie und ein hohes Blutgeld ausgelobt
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/40>, abgerufen am 23.11.2024.
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