nahme finden würden, und die Folgen eines Bruchs konnte Niemand berechnen -- gar leicht konnte die Schale der Ari- stokratie emporschnellen, wenn in die entgegengesetzte das Schwert eines bekannten Generals fiel. So entschloss sich die Majorität zur Nachgiebigkeit. Nicht vom Volke, das hier, wo es um die Bekleidung eines Privatmanns mit der höchsten Amts- gewalt sich handelte, verfassungsmässig hätte befragt werden müssen, sondern vom Senate empfing Pompeius die proconsula- rische Gewalt und den Oberbefehl im diesseitigen Spanien und ging, vierzig Tage nach dessen Empfang, im Sommer 677 über die Alpen.
Zunächst fand der neue Feldherr im Keltenland zu thun, wo zwar eine förmliche Insurrection nicht ausgebrochen, aber doch an mehreren Orten die Ruhe ernstlich gestört worden war; in Folge dessen Pompeius den Cantons der Volker-Arekomiker und der Helvier ihre Selbstständigkeit entzog und sie unter Massalia legte. Auch ward von ihm durch Anlegung einer neuen Alpen- strasse über den cottischen Berg (Mont Genevre I, 400) eine kürzere Verbindung zwischen dem Pothal und dem Keltenlande hergestellt. Ueber diese Arbeit verfloss die gute Jahreszeit; erst spät im Herbst überschritt Pompeius die Pyrenäen. -- Sertorius hatte inzwischen nicht gefeiert. Er hatte Hirtuleius in die jensei- tige Provinz entsandt um Metellus in Schach zu halten und war selbst bemüht seinen vollständigen Sieg in der diesseitigen Pro- vinz zu verfolgen und sich auf Pompeius Empfang vorzubereiten. Die einzelnen keltiberischen Städte, die hier noch zu Rom hiel- ten, wurden angegriffen und eine nach der andern bezwungen; zuletzt schon mitten im Winter war das feste Contrebia (südöst- lich von Saragossa) gefallen. Vergeblich hatten die bedrängten Städte Boten über Boten an Pompeius gesandt; er liess sich durch keine Bitten aus seinem gewohnten Geleise langsamen Vor- schreitens bringen. Mit Ausnahme der Seestädte, die durch die römische Flotte vertheidigt wurden, und der Districte der Indi- geten und Laletaner im nordöstlichen Winkel Spaniens, wo Pom- peius, als er endlich die Pyrenäen überschritten, sich festsetzte und seine ungeübten Truppen, um sie an die Strapazen zu ge- wöhnen, den Winter hindurch bivouakiren liess, war am Ende des J: 677 das ganze diesseitige Spanien durch Vertrag oder Ge- walt von Sertorius abhängig geworden und die Landschaft am oberen und mittleren Ebro blieb seitdem die festeste Stütze sei- ner Macht. Selbst die Besorgniss, die das frische römische Heer und der gefeierte Name des Feldherrn in der Insurgentenarmee
FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
nahme finden würden, und die Folgen eines Bruchs konnte Niemand berechnen — gar leicht konnte die Schale der Ari- stokratie emporschnellen, wenn in die entgegengesetzte das Schwert eines bekannten Generals fiel. So entschloſs sich die Majorität zur Nachgiebigkeit. Nicht vom Volke, das hier, wo es um die Bekleidung eines Privatmanns mit der höchsten Amts- gewalt sich handelte, verfassungsmässig hätte befragt werden müssen, sondern vom Senate empfing Pompeius die proconsula- rische Gewalt und den Oberbefehl im diesseitigen Spanien und ging, vierzig Tage nach dessen Empfang, im Sommer 677 über die Alpen.
Zunächst fand der neue Feldherr im Keltenland zu thun, wo zwar eine förmliche Insurrection nicht ausgebrochen, aber doch an mehreren Orten die Ruhe ernstlich gestört worden war; in Folge dessen Pompeius den Cantons der Volker-Arekomiker und der Helvier ihre Selbstständigkeit entzog und sie unter Massalia legte. Auch ward von ihm durch Anlegung einer neuen Alpen- straſse über den cottischen Berg (Mont Genèvre I, 400) eine kürzere Verbindung zwischen dem Pothal und dem Keltenlande hergestellt. Ueber diese Arbeit verfloſs die gute Jahreszeit; erst spät im Herbst überschritt Pompeius die Pyrenäen. — Sertorius hatte inzwischen nicht gefeiert. Er hatte Hirtuleius in die jensei- tige Provinz entsandt um Metellus in Schach zu halten und war selbst bemüht seinen vollständigen Sieg in der diesseitigen Pro- vinz zu verfolgen und sich auf Pompeius Empfang vorzubereiten. Die einzelnen keltiberischen Städte, die hier noch zu Rom hiel- ten, wurden angegriffen und eine nach der andern bezwungen; zuletzt schon mitten im Winter war das feste Contrebia (südöst- lich von Saragossa) gefallen. Vergeblich hatten die bedrängten Städte Boten über Boten an Pompeius gesandt; er lieſs sich durch keine Bitten aus seinem gewohnten Geleise langsamen Vor- schreitens bringen. Mit Ausnahme der Seestädte, die durch die römische Flotte vertheidigt wurden, und der Districte der Indi- geten und Laletaner im nordöstlichen Winkel Spaniens, wo Pom- peius, als er endlich die Pyrenäen überschritten, sich festsetzte und seine ungeübten Truppen, um sie an die Strapazen zu ge- wöhnen, den Winter hindurch bivouakiren lieſs, war am Ende des J: 677 das ganze diesseitige Spanien durch Vertrag oder Ge- walt von Sertorius abhängig geworden und die Landschaft am oberen und mittleren Ebro blieb seitdem die festeste Stütze sei- ner Macht. Selbst die Besorgniſs, die das frische römische Heer und der gefeierte Name des Feldherrn in der Insurgentenarmee
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FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
nahme finden würden, und die Folgen eines Bruchs konnte
Niemand berechnen — gar leicht konnte die Schale der Ari-
stokratie emporschnellen, wenn in die entgegengesetzte das
Schwert eines bekannten Generals fiel. So entschloſs sich die
Majorität zur Nachgiebigkeit. Nicht vom Volke, das hier, wo es
um die Bekleidung eines Privatmanns mit der höchsten Amts-
gewalt sich handelte, verfassungsmässig hätte befragt werden
müssen, sondern vom Senate empfing Pompeius die proconsula-
rische Gewalt und den Oberbefehl im diesseitigen Spanien und
ging, vierzig Tage nach dessen Empfang, im Sommer 677 über
die Alpen.
Zunächst fand der neue Feldherr im Keltenland zu thun, wo
zwar eine förmliche Insurrection nicht ausgebrochen, aber doch
an mehreren Orten die Ruhe ernstlich gestört worden war; in
Folge dessen Pompeius den Cantons der Volker-Arekomiker und
der Helvier ihre Selbstständigkeit entzog und sie unter Massalia
legte. Auch ward von ihm durch Anlegung einer neuen Alpen-
straſse über den cottischen Berg (Mont Genèvre I, 400) eine
kürzere Verbindung zwischen dem Pothal und dem Keltenlande
hergestellt. Ueber diese Arbeit verfloſs die gute Jahreszeit; erst
spät im Herbst überschritt Pompeius die Pyrenäen. — Sertorius
hatte inzwischen nicht gefeiert. Er hatte Hirtuleius in die jensei-
tige Provinz entsandt um Metellus in Schach zu halten und war
selbst bemüht seinen vollständigen Sieg in der diesseitigen Pro-
vinz zu verfolgen und sich auf Pompeius Empfang vorzubereiten.
Die einzelnen keltiberischen Städte, die hier noch zu Rom hiel-
ten, wurden angegriffen und eine nach der andern bezwungen;
zuletzt schon mitten im Winter war das feste Contrebia (südöst-
lich von Saragossa) gefallen. Vergeblich hatten die bedrängten
Städte Boten über Boten an Pompeius gesandt; er lieſs sich
durch keine Bitten aus seinem gewohnten Geleise langsamen Vor-
schreitens bringen. Mit Ausnahme der Seestädte, die durch die
römische Flotte vertheidigt wurden, und der Districte der Indi-
geten und Laletaner im nordöstlichen Winkel Spaniens, wo Pom-
peius, als er endlich die Pyrenäen überschritten, sich festsetzte
und seine ungeübten Truppen, um sie an die Strapazen zu ge-
wöhnen, den Winter hindurch bivouakiren lieſs, war am Ende
des J: 677 das ganze diesseitige Spanien durch Vertrag oder Ge-
walt von Sertorius abhängig geworden und die Landschaft am
oberen und mittleren Ebro blieb seitdem die festeste Stütze sei-
ner Macht. Selbst die Besorgniſs, die das frische römische Heer
und der gefeierte Name des Feldherrn in der Insurgentenarmee
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/34>, abgerufen am 28.11.2024.
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