Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

CRASSUS TOD.
fünf Sechsteln aus Fussvolk bestanden. Hier dagegen trat die
Reiterei zum ersten Mal ganz selbstständig auf und es erhielt
diese Waffe dadurch eine ganz neue Verwendung und einen ganz
anderen Werth. Die unwiderstehliche Ueberlegenheit des römi-
schen Fussvolks im Nahkampf scheint unabhängig von einander
die Gegner Roms in den verschiedensten Weltgegenden zu glei-
cher Zeit und mit ähnlichem Erfolg darauf geführt zu haben ihnen
mit der Reiterei und dem Fernkampf entgegenzutreten. Was Cas-
sivellaunus in Britannien vollständig (S. 246), Vercingetorix in
Gallien zum Theil gelang (S. 256), was bis zu einem gewissen
Grade schon Mithradates Eupator versuchte (S. 64), das hat Su-
renas nur in grösserem Massstab und vollständiger durchgeführt;
wobei es ihm namentlich zu Statten kam, dass er in der schwe-
ren Cavallerie das Mittel eine Linie zu bilden, in dem im Orient
nationalen und vornämlich in den persischen Landschaften mit
meisterticher Schützenkunst gehandhabten Bogen eine wirksame
Fernwaffe, endlich in den Eigenthümlichkeiten des Landes und
des Volkes die Möglichkeit fand seinen genialen Gedanken rein
zu realisiren. Es bereitete hier, wo der römischen Nahwaffe und
dem römischen Concentrirungssystem zum ersten Mal die Fern-
waffe und das Deployirungssystem überlegen gegenübertraten, die-
jenige militärische Revolution sich vor, die erst mit der Einfüh-
rung des Feuergewehrs ihren vollständigen Abschluss erhalten hat.

Unter diesen Verhältnissen ward sechs Meilen südlich von
Karrhae (Harran), wo römische Besatzung stand, in nördlicher
Richtung etwas näher an Ichnae, inmitten der Sandwüste die
erste Schlacht zwischen Römern und Parthern geschlagen. Die
römischen Schützen wurden vorgesandt, wichen aber augenblick-
lich zurück vor der ungeheuren Ueberzahl und der weit grösseren
Spannkraft und Tragweite der parthischen Bogen. Die römische
Armee, die trotz der Mahnung der einsichtigeren Offiziere sie
möglichst entfaltet gegen den Feind zu führen, in ein dichtes
Viereck von zwölf Cohorten an jeder Seite gestellt worden war,
war bald überflügelt und von den furchtbaren Pfeilen überschüttet,
die hier auch ungezielt ihren Mann trafen und denen die Legionen
mit nichts auch nur zu erwiedern vermochten. Die Hoffnung,
dass der Feind sich verschiessen möge, verschwand bei einem
Blick auf die endlose Reihe der mit Pfeilen beladenen Kameele.
Die Parther, immer weiter sich ausdehnend, waren im Begriff die
Ueberflügelung in eine Umzingelung zu verwandeln, als Publius
Crassus mit einem auserlesenen Corps von Reitern, Schützen
und Linieninfanterie zum Angriff gegen sie vorrückte. Der Aus-

CRASSUS TOD.
fünf Sechsteln aus Fuſsvolk bestanden. Hier dagegen trat die
Reiterei zum ersten Mal ganz selbstständig auf und es erhielt
diese Waffe dadurch eine ganz neue Verwendung und einen ganz
anderen Werth. Die unwiderstehliche Ueberlegenheit des römi-
schen Fuſsvolks im Nahkampf scheint unabhängig von einander
die Gegner Roms in den verschiedensten Weltgegenden zu glei-
cher Zeit und mit ähnlichem Erfolg darauf geführt zu haben ihnen
mit der Reiterei und dem Fernkampf entgegenzutreten. Was Cas-
sivellaunus in Britannien vollständig (S. 246), Vercingetorix in
Gallien zum Theil gelang (S. 256), was bis zu einem gewissen
Grade schon Mithradates Eupator versuchte (S. 64), das hat Su-
renas nur in gröſserem Maſsstab und vollständiger durchgeführt;
wobei es ihm namentlich zu Statten kam, daſs er in der schwe-
ren Cavallerie das Mittel eine Linie zu bilden, in dem im Orient
nationalen und vornämlich in den persischen Landschaften mit
meisterticher Schützenkunst gehandhabten Bogen eine wirksame
Fernwaffe, endlich in den Eigenthümlichkeiten des Landes und
des Volkes die Möglichkeit fand seinen genialen Gedanken rein
zu realisiren. Es bereitete hier, wo der römischen Nahwaffe und
dem römischen Concentrirungssystem zum ersten Mal die Fern-
waffe und das Deployirungssystem überlegen gegenübertraten, die-
jenige militärische Revolution sich vor, die erst mit der Einfüh-
rung des Feuergewehrs ihren vollständigen Abschluſs erhalten hat.

Unter diesen Verhältnissen ward sechs Meilen südlich von
Karrhae (Harran), wo römische Besatzung stand, in nördlicher
Richtung etwas näher an Ichnae, inmitten der Sandwüste die
erste Schlacht zwischen Römern und Parthern geschlagen. Die
römischen Schützen wurden vorgesandt, wichen aber augenblick-
lich zurück vor der ungeheuren Ueberzahl und der weit gröſseren
Spannkraft und Tragweite der parthischen Bogen. Die römische
Armee, die trotz der Mahnung der einsichtigeren Offiziere sie
möglichst entfaltet gegen den Feind zu führen, in ein dichtes
Viereck von zwölf Cohorten an jeder Seite gestellt worden war,
war bald überflügelt und von den furchtbaren Pfeilen überschüttet,
die hier auch ungezielt ihren Mann trafen und denen die Legionen
mit nichts auch nur zu erwiedern vermochten. Die Hoffnung,
daſs der Feind sich verschieſsen möge, verschwand bei einem
Blick auf die endlose Reihe der mit Pfeilen beladenen Kameele.
Die Parther, immer weiter sich ausdehnend, waren im Begriff die
Ueberflügelung in eine Umzingelung zu verwandeln, als Publius
Crassus mit einem auserlesenen Corps von Reitern, Schützen
und Linieninfanterie zum Angriff gegen sie vorrückte. Der Aus-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0327" n="317"/><fw place="top" type="header">CRASSUS TOD.</fw><lb/>
fünf Sechsteln aus Fu&#x017F;svolk bestanden. Hier dagegen trat die<lb/>
Reiterei zum ersten Mal ganz selbstständig auf und es erhielt<lb/>
diese Waffe dadurch eine ganz neue Verwendung und einen ganz<lb/>
anderen Werth. Die unwiderstehliche Ueberlegenheit des römi-<lb/>
schen Fu&#x017F;svolks im Nahkampf scheint unabhängig von einander<lb/>
die Gegner Roms in den verschiedensten Weltgegenden zu glei-<lb/>
cher Zeit und mit ähnlichem Erfolg darauf geführt zu haben ihnen<lb/>
mit der Reiterei und dem Fernkampf entgegenzutreten. Was Cas-<lb/>
sivellaunus in Britannien vollständig (S. 246), Vercingetorix in<lb/>
Gallien zum Theil gelang (S. 256), was bis zu einem gewissen<lb/>
Grade schon Mithradates Eupator versuchte (S. 64), das hat Su-<lb/>
renas nur in grö&#x017F;serem Ma&#x017F;sstab und vollständiger durchgeführt;<lb/>
wobei es ihm namentlich zu Statten kam, da&#x017F;s er in der schwe-<lb/>
ren Cavallerie das Mittel eine Linie zu bilden, in dem im Orient<lb/>
nationalen und vornämlich in den persischen Landschaften mit<lb/>
meisterticher Schützenkunst gehandhabten Bogen eine wirksame<lb/>
Fernwaffe, endlich in den Eigenthümlichkeiten des Landes und<lb/>
des Volkes die Möglichkeit fand seinen genialen Gedanken rein<lb/>
zu realisiren. Es bereitete hier, wo der römischen Nahwaffe und<lb/>
dem römischen Concentrirungssystem zum ersten Mal die Fern-<lb/>
waffe und das Deployirungssystem überlegen gegenübertraten, die-<lb/>
jenige militärische Revolution sich vor, die erst mit der Einfüh-<lb/>
rung des Feuergewehrs ihren vollständigen Abschlu&#x017F;s erhalten hat.</p><lb/>
          <p>Unter diesen Verhältnissen ward sechs Meilen südlich von<lb/>
Karrhae (Harran), wo römische Besatzung stand, in nördlicher<lb/>
Richtung etwas näher an Ichnae, inmitten der Sandwüste die<lb/>
erste Schlacht zwischen Römern und Parthern geschlagen. Die<lb/>
römischen Schützen wurden vorgesandt, wichen aber augenblick-<lb/>
lich zurück vor der ungeheuren Ueberzahl und der weit grö&#x017F;seren<lb/>
Spannkraft und Tragweite der parthischen Bogen. Die römische<lb/>
Armee, die trotz der Mahnung der einsichtigeren Offiziere sie<lb/>
möglichst entfaltet gegen den Feind zu führen, in ein dichtes<lb/>
Viereck von zwölf Cohorten an jeder Seite gestellt worden war,<lb/>
war bald überflügelt und von den furchtbaren Pfeilen überschüttet,<lb/>
die hier auch ungezielt ihren Mann trafen und denen die Legionen<lb/>
mit nichts auch nur zu erwiedern vermochten. Die Hoffnung,<lb/>
da&#x017F;s der Feind sich verschie&#x017F;sen möge, verschwand bei einem<lb/>
Blick auf die endlose Reihe der mit Pfeilen beladenen Kameele.<lb/>
Die Parther, immer weiter sich ausdehnend, waren im Begriff die<lb/>
Ueberflügelung in eine Umzingelung zu verwandeln, als Publius<lb/>
Crassus mit einem auserlesenen Corps von Reitern, Schützen<lb/>
und Linieninfanterie zum Angriff gegen sie vorrückte. Der Aus-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[317/0327] CRASSUS TOD. fünf Sechsteln aus Fuſsvolk bestanden. Hier dagegen trat die Reiterei zum ersten Mal ganz selbstständig auf und es erhielt diese Waffe dadurch eine ganz neue Verwendung und einen ganz anderen Werth. Die unwiderstehliche Ueberlegenheit des römi- schen Fuſsvolks im Nahkampf scheint unabhängig von einander die Gegner Roms in den verschiedensten Weltgegenden zu glei- cher Zeit und mit ähnlichem Erfolg darauf geführt zu haben ihnen mit der Reiterei und dem Fernkampf entgegenzutreten. Was Cas- sivellaunus in Britannien vollständig (S. 246), Vercingetorix in Gallien zum Theil gelang (S. 256), was bis zu einem gewissen Grade schon Mithradates Eupator versuchte (S. 64), das hat Su- renas nur in gröſserem Maſsstab und vollständiger durchgeführt; wobei es ihm namentlich zu Statten kam, daſs er in der schwe- ren Cavallerie das Mittel eine Linie zu bilden, in dem im Orient nationalen und vornämlich in den persischen Landschaften mit meisterticher Schützenkunst gehandhabten Bogen eine wirksame Fernwaffe, endlich in den Eigenthümlichkeiten des Landes und des Volkes die Möglichkeit fand seinen genialen Gedanken rein zu realisiren. Es bereitete hier, wo der römischen Nahwaffe und dem römischen Concentrirungssystem zum ersten Mal die Fern- waffe und das Deployirungssystem überlegen gegenübertraten, die- jenige militärische Revolution sich vor, die erst mit der Einfüh- rung des Feuergewehrs ihren vollständigen Abschluſs erhalten hat. Unter diesen Verhältnissen ward sechs Meilen südlich von Karrhae (Harran), wo römische Besatzung stand, in nördlicher Richtung etwas näher an Ichnae, inmitten der Sandwüste die erste Schlacht zwischen Römern und Parthern geschlagen. Die römischen Schützen wurden vorgesandt, wichen aber augenblick- lich zurück vor der ungeheuren Ueberzahl und der weit gröſseren Spannkraft und Tragweite der parthischen Bogen. Die römische Armee, die trotz der Mahnung der einsichtigeren Offiziere sie möglichst entfaltet gegen den Feind zu führen, in ein dichtes Viereck von zwölf Cohorten an jeder Seite gestellt worden war, war bald überflügelt und von den furchtbaren Pfeilen überschüttet, die hier auch ungezielt ihren Mann trafen und denen die Legionen mit nichts auch nur zu erwiedern vermochten. Die Hoffnung, daſs der Feind sich verschieſsen möge, verschwand bei einem Blick auf die endlose Reihe der mit Pfeilen beladenen Kameele. Die Parther, immer weiter sich ausdehnend, waren im Begriff die Ueberflügelung in eine Umzingelung zu verwandeln, als Publius Crassus mit einem auserlesenen Corps von Reitern, Schützen und Linieninfanterie zum Angriff gegen sie vorrückte. Der Aus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/327
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/327>, abgerufen am 22.12.2024.