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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
Gegencandidat in die Schranken getreten wäre. Milo, ausgestattet
mit physischem Muth, mit einem gewissen Talent zur Intrigue
und zum Schuldenmachen und vor allem mit reichlich angebore-
ner und sorgfältig ausgebildeter Dreistigkeit, hatte unter den poli-
tischen Industrierittern jener Tage sich einen Namen gemacht und
war in seinem Handwerk nächst Clodius der renommirteste Mann,
natürlich also auch mit diesem in tödtlichster Concurrenzfeind-
schaft. Clodius stand mit den Machthabern im Einvernehmen und
spielte wieder den Ultrademokraten. Da also die eine Partei den
Achill der Strasse acquirirt hatte, fiel der Hektor der Strasse der
andern von selber zu: Milo ward Aristokrat, und die republikani-
sche Opposition, die jetzt mit Catilina selbst Bündniss geschlossen
hätte, wenn er sich ihr angetragen, erkannte ihn bereitwillig an als
ihren rechtmässigen Vorfechter in allen Krawallen. In der That
waren die wenigen Erfolge, die sie auf diesem Schlachtfelde davon
trug, das Werk Milos und seiner wohlgeschulten Fechterbande.
So unterstützten denn hinwiederum Cato und die Seinigen Milos
Bewerbung um das Consulat; selbst Cicero konnte nicht umhin
seinen langjährigen Beschützer gegen Clodius und seines Fein-
des Feind zu empfehlen; und da Milo selbst weder Geld noch
Gewalt sparte um seine Wahl durchzusetzen, so schien dieselbe
gesichert. Für die Machthaber wäre sie nicht bloss eine neue em-
pfindliche Niederlage gewesen, sondern auch eine drohende Ge-
fahr; denn es war vorauszusehen, dass der verwegene Parteigän-
ger sich nicht so leicht wie Domitius und andere Männer der an-
ständigen Opposition als Consul werde annulliren lassen. Da begab
es sich, dass zufällig unweit der Hauptstadt auf der appischen
Strasse Achill und Hektor sich begegneten und zwischen den
beiderseitigen Banden eine Balgerei entstand, in welcher Clodius
selbst einen Säbelhieb in die Schulter erhielt und genöthigt ward
in ein benachbartes Haus sich zu flüchten. Es war dies ohne
Auftrag Milos geschehen; da die Sache aber so weit gekommen
war und der Sturm nun doch einmal bestanden werden musste,
so schien das ganze Verbrechen Milo wünschenswerther und selbst
minder gefährlich als das halbe; er befahl seinen Leuten den Clo-
dius aus seinem Versteck hervorzuziehen und ihn niederzuma-
chen (13. Jan. 702). Den Strassenführern von der Partei der
Machthaber, den Volkstribunen Titus Munatius Plancus, Quintus
Pompeius Rufus und Gaius Sallustius Crispus erschien dieser
Vorfall als ein passender Anlass um im Interesse ihrer Herren
Milos Candidatur zu vereiteln und Pompeius Dictatur durchzu-
setzen. Die Hefe des Pöbels, namentlich die Freigelassenen und

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
Gegencandidat in die Schranken getreten wäre. Milo, ausgestattet
mit physischem Muth, mit einem gewissen Talent zur Intrigue
und zum Schuldenmachen und vor allem mit reichlich angebore-
ner und sorgfältig ausgebildeter Dreistigkeit, hatte unter den poli-
tischen Industrierittern jener Tage sich einen Namen gemacht und
war in seinem Handwerk nächst Clodius der renommirteste Mann,
natürlich also auch mit diesem in tödtlichster Concurrenzfeind-
schaft. Clodius stand mit den Machthabern im Einvernehmen und
spielte wieder den Ultrademokraten. Da also die eine Partei den
Achill der Straſse acquirirt hatte, fiel der Hektor der Straſse der
andern von selber zu: Milo ward Aristokrat, und die republikani-
sche Opposition, die jetzt mit Catilina selbst Bündniſs geschlossen
hätte, wenn er sich ihr angetragen, erkannte ihn bereitwillig an als
ihren rechtmäſsigen Vorfechter in allen Krawallen. In der That
waren die wenigen Erfolge, die sie auf diesem Schlachtfelde davon
trug, das Werk Milos und seiner wohlgeschulten Fechterbande.
So unterstützten denn hinwiederum Cato und die Seinigen Milos
Bewerbung um das Consulat; selbst Cicero konnte nicht umhin
seinen langjährigen Beschützer gegen Clodius und seines Fein-
des Feind zu empfehlen; und da Milo selbst weder Geld noch
Gewalt sparte um seine Wahl durchzusetzen, so schien dieselbe
gesichert. Für die Machthaber wäre sie nicht bloſs eine neue em-
pfindliche Niederlage gewesen, sondern auch eine drohende Ge-
fahr; denn es war vorauszusehen, daſs der verwegene Parteigän-
ger sich nicht so leicht wie Domitius und andere Männer der an-
ständigen Opposition als Consul werde annulliren lassen. Da begab
es sich, daſs zufällig unweit der Hauptstadt auf der appischen
Straſse Achill und Hektor sich begegneten und zwischen den
beiderseitigen Banden eine Balgerei entstand, in welcher Clodius
selbst einen Säbelhieb in die Schulter erhielt und genöthigt ward
in ein benachbartes Haus sich zu flüchten. Es war dies ohne
Auftrag Milos geschehen; da die Sache aber so weit gekommen
war und der Sturm nun doch einmal bestanden werden muſste,
so schien das ganze Verbrechen Milo wünschenswerther und selbst
minder gefährlich als das halbe; er befahl seinen Leuten den Clo-
dius aus seinem Versteck hervorzuziehen und ihn niederzuma-
chen (13. Jan. 702). Den Straſsenführern von der Partei der
Machthaber, den Volkstribunen Titus Munatius Plancus, Quintus
Pompeius Rufus und Gaius Sallustius Crispus erschien dieser
Vorfall als ein passender Anlaſs um im Interesse ihrer Herren
Milos Candidatur zu vereiteln und Pompeius Dictatur durchzu-
setzen. Die Hefe des Pöbels, namentlich die Freigelassenen und

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[306/0316] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII. Gegencandidat in die Schranken getreten wäre. Milo, ausgestattet mit physischem Muth, mit einem gewissen Talent zur Intrigue und zum Schuldenmachen und vor allem mit reichlich angebore- ner und sorgfältig ausgebildeter Dreistigkeit, hatte unter den poli- tischen Industrierittern jener Tage sich einen Namen gemacht und war in seinem Handwerk nächst Clodius der renommirteste Mann, natürlich also auch mit diesem in tödtlichster Concurrenzfeind- schaft. Clodius stand mit den Machthabern im Einvernehmen und spielte wieder den Ultrademokraten. Da also die eine Partei den Achill der Straſse acquirirt hatte, fiel der Hektor der Straſse der andern von selber zu: Milo ward Aristokrat, und die republikani- sche Opposition, die jetzt mit Catilina selbst Bündniſs geschlossen hätte, wenn er sich ihr angetragen, erkannte ihn bereitwillig an als ihren rechtmäſsigen Vorfechter in allen Krawallen. In der That waren die wenigen Erfolge, die sie auf diesem Schlachtfelde davon trug, das Werk Milos und seiner wohlgeschulten Fechterbande. So unterstützten denn hinwiederum Cato und die Seinigen Milos Bewerbung um das Consulat; selbst Cicero konnte nicht umhin seinen langjährigen Beschützer gegen Clodius und seines Fein- des Feind zu empfehlen; und da Milo selbst weder Geld noch Gewalt sparte um seine Wahl durchzusetzen, so schien dieselbe gesichert. Für die Machthaber wäre sie nicht bloſs eine neue em- pfindliche Niederlage gewesen, sondern auch eine drohende Ge- fahr; denn es war vorauszusehen, daſs der verwegene Parteigän- ger sich nicht so leicht wie Domitius und andere Männer der an- ständigen Opposition als Consul werde annulliren lassen. Da begab es sich, daſs zufällig unweit der Hauptstadt auf der appischen Straſse Achill und Hektor sich begegneten und zwischen den beiderseitigen Banden eine Balgerei entstand, in welcher Clodius selbst einen Säbelhieb in die Schulter erhielt und genöthigt ward in ein benachbartes Haus sich zu flüchten. Es war dies ohne Auftrag Milos geschehen; da die Sache aber so weit gekommen war und der Sturm nun doch einmal bestanden werden muſste, so schien das ganze Verbrechen Milo wünschenswerther und selbst minder gefährlich als das halbe; er befahl seinen Leuten den Clo- dius aus seinem Versteck hervorzuziehen und ihn niederzuma- chen (13. Jan. 702). Den Straſsenführern von der Partei der Machthaber, den Volkstribunen Titus Munatius Plancus, Quintus Pompeius Rufus und Gaius Sallustius Crispus erschien dieser Vorfall als ein passender Anlaſs um im Interesse ihrer Herren Milos Candidatur zu vereiteln und Pompeius Dictatur durchzu- setzen. Die Hefe des Pöbels, namentlich die Freigelassenen und

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/316>, abgerufen am 24.11.2024.