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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
zu regen. Wenn er es nicht empfand, wie arg er damit sich
compromittirte, so empfand es sein Gegner. Clodius ward so
dreist, dass er über eine ganz gleichgültige Frage, die Rücksen-
dung eines gefangenen armenischen Prinzen, mit dem Regenten
von Rom geradezu anband und bald ward der Zwist zur förmli-
chen Fehde, in der Pompeius völlige Hülflosigkeit zu Tage kam.
Das Haupt des Staates wusste dem Parteigänger nicht anders zu
begegnen als mit dessen eigenen, nur weit ungeschickter geführ-
ten Waffen. War er von Clodius wegen des armenischen Prinzen
chicanirt worden, so ärgerte er ihn wieder, indem er den von
Clodius über alles gehassten Cicero aus dem Exil erlöste, in das
ihn Clodius gesandt hatte, und erreichte denn auch so gründlich
seinen Zweck, dass er Clodius aus einem Gegner in einen unver-
söhnlichen Feind verwandelte. Wenn Clodius mit seinen Banden
die Strassen unsicher machte, so liess der siegreiche Feldherr
gleichfalls Sclaven und Fechter marschiren, in welchen Balgereien
natürlich der General gegen den Demagogen den Kürzeren zog,
auf der Strasse geschlagen und von Clodius und dessen Spiess-
gesellen Gaius Cato in seinem Garten fast beständig in Belagerung
gehalten ward. Es ist nicht der am wenigsten merkwürdige Zug
in diesem merkwürdigen Schauspiel, dass der Regent und der
Schwindler in ihrem Hader beide um die Gunst der gestürzten
Regierung wetteifernd buhlten, Pompeius zum Theil auch um dem
Senat gefällig zu sein ihm gestattete Cicero zurückzuberufen, Clo-
dius dagegen die julischen Gesetze für nichtig erklärte und Mar-
cus Bibulus aufrief deren verfassungswidrige Durchbringung öf-
fentlich zu bezeugen! -- Ein positives Resultat konnte natür-
licher Weise aus diesem Brodel trüber Leidenschaften nicht her-
vorgehen; der eigentlichste Charakter desselben war eben seine
bis zum Grässlichen lächerliche Zwecklosigkeit. Das demokra-
tische Treiben war so vollständig abgenutzt, dass, wie dies in
früheren Jahren selbst ein Mann von Caesars Genialität hatte er-
fahren müssen, sogar der Weg zum Thron nicht mehr durch die
Demagogie ging. Wenn mit des Propheten Mantel und Stab, die
Caesar längst abgelegt hatte, sich irgend ein toller Geselle noch
einmal staffirte und Gaius Gracchus grosse Ideale parodisch ver-
zerrt noch einmal über die Scene führte, so bewies das nur, dass
ihre Zeit vorübergegangen war. In der That ist diese demokra-
tische Agitation nichts als ein geschichtlicher Lückenbüsser; in
dem nahe bevorstehenden Entscheidungskampf fiel der soge-
nannten Partei, von der sie ausging, nicht einmal eine Rolle zu.
Selbst das lässt sich nicht behaupten, dass durch diesen anarchi-

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII.
zu regen. Wenn er es nicht empfand, wie arg er damit sich
compromittirte, so empfand es sein Gegner. Clodius ward so
dreist, daſs er über eine ganz gleichgültige Frage, die Rücksen-
dung eines gefangenen armenischen Prinzen, mit dem Regenten
von Rom geradezu anband und bald ward der Zwist zur förmli-
chen Fehde, in der Pompeius völlige Hülflosigkeit zu Tage kam.
Das Haupt des Staates wuſste dem Parteigänger nicht anders zu
begegnen als mit dessen eigenen, nur weit ungeschickter geführ-
ten Waffen. War er von Clodius wegen des armenischen Prinzen
chicanirt worden, so ärgerte er ihn wieder, indem er den von
Clodius über alles gehaſsten Cicero aus dem Exil erlöste, in das
ihn Clodius gesandt hatte, und erreichte denn auch so gründlich
seinen Zweck, daſs er Clodius aus einem Gegner in einen unver-
söhnlichen Feind verwandelte. Wenn Clodius mit seinen Banden
die Straſsen unsicher machte, so lieſs der siegreiche Feldherr
gleichfalls Sclaven und Fechter marschiren, in welchen Balgereien
natürlich der General gegen den Demagogen den Kürzeren zog,
auf der Straſse geschlagen und von Clodius und dessen Spieſs-
gesellen Gaius Cato in seinem Garten fast beständig in Belagerung
gehalten ward. Es ist nicht der am wenigsten merkwürdige Zug
in diesem merkwürdigen Schauspiel, daſs der Regent und der
Schwindler in ihrem Hader beide um die Gunst der gestürzten
Regierung wetteifernd buhlten, Pompeius zum Theil auch um dem
Senat gefällig zu sein ihm gestattete Cicero zurückzuberufen, Clo-
dius dagegen die julischen Gesetze für nichtig erklärte und Mar-
cus Bibulus aufrief deren verfassungswidrige Durchbringung öf-
fentlich zu bezeugen! — Ein positives Resultat konnte natür-
licher Weise aus diesem Brodel trüber Leidenschaften nicht her-
vorgehen; der eigentlichste Charakter desselben war eben seine
bis zum Gräſslichen lächerliche Zwecklosigkeit. Das demokra-
tische Treiben war so vollständig abgenutzt, daſs, wie dies in
früheren Jahren selbst ein Mann von Caesars Genialität hatte er-
fahren müssen, sogar der Weg zum Thron nicht mehr durch die
Demagogie ging. Wenn mit des Propheten Mantel und Stab, die
Caesar längst abgelegt hatte, sich irgend ein toller Geselle noch
einmal staffirte und Gaius Gracchus groſse Ideale parodisch ver-
zerrt noch einmal über die Scene führte, so bewies das nur, daſs
ihre Zeit vorübergegangen war. In der That ist diese demokra-
tische Agitation nichts als ein geschichtlicher Lückenbüſser; in
dem nahe bevorstehenden Entscheidungskampf fiel der soge-
nannten Partei, von der sie ausging, nicht einmal eine Rolle zu.
Selbst das läſst sich nicht behaupten, daſs durch diesen anarchi-

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[282/0292] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VIII. zu regen. Wenn er es nicht empfand, wie arg er damit sich compromittirte, so empfand es sein Gegner. Clodius ward so dreist, daſs er über eine ganz gleichgültige Frage, die Rücksen- dung eines gefangenen armenischen Prinzen, mit dem Regenten von Rom geradezu anband und bald ward der Zwist zur förmli- chen Fehde, in der Pompeius völlige Hülflosigkeit zu Tage kam. Das Haupt des Staates wuſste dem Parteigänger nicht anders zu begegnen als mit dessen eigenen, nur weit ungeschickter geführ- ten Waffen. War er von Clodius wegen des armenischen Prinzen chicanirt worden, so ärgerte er ihn wieder, indem er den von Clodius über alles gehaſsten Cicero aus dem Exil erlöste, in das ihn Clodius gesandt hatte, und erreichte denn auch so gründlich seinen Zweck, daſs er Clodius aus einem Gegner in einen unver- söhnlichen Feind verwandelte. Wenn Clodius mit seinen Banden die Straſsen unsicher machte, so lieſs der siegreiche Feldherr gleichfalls Sclaven und Fechter marschiren, in welchen Balgereien natürlich der General gegen den Demagogen den Kürzeren zog, auf der Straſse geschlagen und von Clodius und dessen Spieſs- gesellen Gaius Cato in seinem Garten fast beständig in Belagerung gehalten ward. Es ist nicht der am wenigsten merkwürdige Zug in diesem merkwürdigen Schauspiel, daſs der Regent und der Schwindler in ihrem Hader beide um die Gunst der gestürzten Regierung wetteifernd buhlten, Pompeius zum Theil auch um dem Senat gefällig zu sein ihm gestattete Cicero zurückzuberufen, Clo- dius dagegen die julischen Gesetze für nichtig erklärte und Mar- cus Bibulus aufrief deren verfassungswidrige Durchbringung öf- fentlich zu bezeugen! — Ein positives Resultat konnte natür- licher Weise aus diesem Brodel trüber Leidenschaften nicht her- vorgehen; der eigentlichste Charakter desselben war eben seine bis zum Gräſslichen lächerliche Zwecklosigkeit. Das demokra- tische Treiben war so vollständig abgenutzt, daſs, wie dies in früheren Jahren selbst ein Mann von Caesars Genialität hatte er- fahren müssen, sogar der Weg zum Thron nicht mehr durch die Demagogie ging. Wenn mit des Propheten Mantel und Stab, die Caesar längst abgelegt hatte, sich irgend ein toller Geselle noch einmal staffirte und Gaius Gracchus groſse Ideale parodisch ver- zerrt noch einmal über die Scene führte, so bewies das nur, daſs ihre Zeit vorübergegangen war. In der That ist diese demokra- tische Agitation nichts als ein geschichtlicher Lückenbüſser; in dem nahe bevorstehenden Entscheidungskampf fiel der soge- nannten Partei, von der sie ausging, nicht einmal eine Rolle zu. Selbst das läſst sich nicht behaupten, daſs durch diesen anarchi-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/292>, abgerufen am 22.07.2024.