Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. schonte, als es mit der Unterwerfung unter Rom irgend sichvertrug, so geschah dies nicht um auf den Grundgedanken sei- ner Eroberung, die Romanisirung Galliens zu verzichten, son- dern um denselben in möglichst schonender Weise zu realisiren. Auch begnügte er sich nicht dieselben Verhältnisse, die die Süd- provinz bereits grossentheils romanisirt hatten, im Norden ihre Wirkung ebenfalls thun zu lassen, sondern er förderte, als echter Staatsmann, von oben herab die naturgemässe Entwickelung und that dazu die immer peinliche Uebergangszeit möglichst zu ver- kürzen. Um zu schweigen von der Aufnahme einer Anzahl vor- nehmer Kelten in den römischen Bürgerverband, ja einzelner viel- leicht schon in den römischen Senat, so ist es wahrscheinlich Cae- sar gewesen, der in Gallien anstatt der einheimischen Sprache die lateinische als die officielle auch innerhalb der einzelnen Gaue, wenn auch noch mit gewissen Einschränkungen, und anstatt des nationalen das römische Münzsystem in der Art einführte, dass die Gold- und die Denarprägung den römischen Behörden vor- behalten blieb, dagegen die Scheidemünze von den einzelnen Gauen und nur zur Circulation innerhalb der Gaugrenzen, aber doch auch nach römischem Fuss geschlagen werden sollte. Man mag lächeln über das kauderwelsche Latein, dessen die Anwohner der Loire und Seine fortan verordnungsmässig sich beflissen *; es lag doch in diesen Sprachfehlern eine grössere Zukunft als in dem cor- recten hauptstädtischen Latein. Vielleicht geht es auch auf Cae- sar zurück, wenn die Gauverfassung im Keltenland späterhin der italischen Stadtverfassung genähert erscheint und die Hauptorte des Gaues, so wie die Gemeinderäthe in ihr schärfer hervortre- ten, als dies in der ursprünglichen keltischen Ordnung wahr- scheinlich der Fall war. Wie wünschenswerth in militärischer wie in politischer Hinsicht es gewesen wäre als Stützpuncte der neuen Herrschaft und Ausgangspuncte der neuen Civilisation eine Reihe transalpinischer Colonien zu begründen, mochte Niemand mehr empfinden als der politische Erbe des Gaius Gracchus und des Marius. Wenn er dennoch sich beschränkte auf die Ansied- lung seiner keltischen oder deutschen Reiter in Noviodunum (S. 232) und auf die der Boier im Haeduergau (S. 231), welche * So lesen wir auf einem Semis, den ein Vergobret der Lexovier (Li-
sieux, Dep. Calvados) schlagen liess, folgende Aufschrift: Cisiambos Cat- tos vercobreto; simissos (so) publicos lixovio. Die oft kaum leserliche Schrift und das unglaublich abscheuliche Gepräge dieser Münzen stehen mit ihrem stammelnden Latein in bester Harmonie. FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. schonte, als es mit der Unterwerfung unter Rom irgend sichvertrug, so geschah dies nicht um auf den Grundgedanken sei- ner Eroberung, die Romanisirung Galliens zu verzichten, son- dern um denselben in möglichst schonender Weise zu realisiren. Auch begnügte er sich nicht dieselben Verhältnisse, die die Süd- provinz bereits groſsentheils romanisirt hatten, im Norden ihre Wirkung ebenfalls thun zu lassen, sondern er förderte, als echter Staatsmann, von oben herab die naturgemäſse Entwickelung und that dazu die immer peinliche Uebergangszeit möglichst zu ver- kürzen. Um zu schweigen von der Aufnahme einer Anzahl vor- nehmer Kelten in den römischen Bürgerverband, ja einzelner viel- leicht schon in den römischen Senat, so ist es wahrscheinlich Cae- sar gewesen, der in Gallien anstatt der einheimischen Sprache die lateinische als die officielle auch innerhalb der einzelnen Gaue, wenn auch noch mit gewissen Einschränkungen, und anstatt des nationalen das römische Münzsystem in der Art einführte, daſs die Gold- und die Denarprägung den römischen Behörden vor- behalten blieb, dagegen die Scheidemünze von den einzelnen Gauen und nur zur Circulation innerhalb der Gaugrenzen, aber doch auch nach römischem Fuſs geschlagen werden sollte. Man mag lächeln über das kauderwelsche Latein, dessen die Anwohner der Loire und Seine fortan verordnungsmäſsig sich beflissen *; es lag doch in diesen Sprachfehlern eine gröſsere Zukunft als in dem cor- recten hauptstädtischen Latein. Vielleicht geht es auch auf Cae- sar zurück, wenn die Gauverfassung im Keltenland späterhin der italischen Stadtverfassung genähert erscheint und die Hauptorte des Gaues, so wie die Gemeinderäthe in ihr schärfer hervortre- ten, als dies in der ursprünglichen keltischen Ordnung wahr- scheinlich der Fall war. Wie wünschenswerth in militärischer wie in politischer Hinsicht es gewesen wäre als Stützpuncte der neuen Herrschaft und Ausgangspuncte der neuen Civilisation eine Reihe transalpinischer Colonien zu begründen, mochte Niemand mehr empfinden als der politische Erbe des Gaius Gracchus und des Marius. Wenn er dennoch sich beschränkte auf die Ansied- lung seiner keltischen oder deutschen Reiter in Noviodunum (S. 232) und auf die der Boier im Haeduergau (S. 231), welche * So lesen wir auf einem Semis, den ein Vergobret der Lexovier (Li-
sieux, Dep. Calvados) schlagen lieſs, folgende Aufschrift: Cisiambos Cat- tos vercobreto; simissos (so) publicos lixovio. Die oft kaum leserliche Schrift und das unglaublich abscheuliche Gepräge dieser Münzen stehen mit ihrem stammelnden Latein in bester Harmonie. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0280" n="270"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.</fw><lb/> schonte, als es mit der Unterwerfung unter Rom irgend sich<lb/> vertrug, so geschah dies nicht um auf den Grundgedanken sei-<lb/> ner Eroberung, die Romanisirung Galliens zu verzichten, son-<lb/> dern um denselben in möglichst schonender Weise zu realisiren.<lb/> Auch begnügte er sich nicht dieselben Verhältnisse, die die Süd-<lb/> provinz bereits groſsentheils romanisirt hatten, im Norden ihre<lb/> Wirkung ebenfalls thun zu lassen, sondern er förderte, als echter<lb/> Staatsmann, von oben herab die naturgemäſse Entwickelung und<lb/> that dazu die immer peinliche Uebergangszeit möglichst zu ver-<lb/> kürzen. Um zu schweigen von der Aufnahme einer Anzahl vor-<lb/> nehmer Kelten in den römischen Bürgerverband, ja einzelner viel-<lb/> leicht schon in den römischen Senat, so ist es wahrscheinlich Cae-<lb/> sar gewesen, der in Gallien anstatt der einheimischen Sprache die<lb/> lateinische als die officielle auch innerhalb der einzelnen Gaue,<lb/> wenn auch noch mit gewissen Einschränkungen, und anstatt des<lb/> nationalen das römische Münzsystem in der Art einführte, daſs<lb/> die Gold- und die Denarprägung den römischen Behörden vor-<lb/> behalten blieb, dagegen die Scheidemünze von den einzelnen Gauen<lb/> und nur zur Circulation innerhalb der Gaugrenzen, aber doch auch<lb/> nach römischem Fuſs geschlagen werden sollte. Man mag lächeln<lb/> über das kauderwelsche Latein, dessen die Anwohner der Loire<lb/> und Seine fortan verordnungsmäſsig sich beflissen <note place="foot" n="*">So lesen wir auf einem Semis, den ein Vergobret der Lexovier (Li-<lb/> sieux, Dep. Calvados) schlagen lieſs, folgende Aufschrift: <hi rendition="#i">Cisiambos Cat-<lb/> tos vercobreto; simissos</hi> (so) <hi rendition="#i">publicos lixovio.</hi> Die oft kaum leserliche<lb/> Schrift und das unglaublich abscheuliche Gepräge dieser Münzen stehen mit<lb/> ihrem stammelnden Latein in bester Harmonie.</note>; es lag doch<lb/> in diesen Sprachfehlern eine gröſsere Zukunft als in dem cor-<lb/> recten hauptstädtischen Latein. Vielleicht geht es auch auf Cae-<lb/> sar zurück, wenn die Gauverfassung im Keltenland späterhin der<lb/> italischen Stadtverfassung genähert erscheint und die Hauptorte<lb/> des Gaues, so wie die Gemeinderäthe in ihr schärfer hervortre-<lb/> ten, als dies in der ursprünglichen keltischen Ordnung wahr-<lb/> scheinlich der Fall war. Wie wünschenswerth in militärischer<lb/> wie in politischer Hinsicht es gewesen wäre als Stützpuncte der<lb/> neuen Herrschaft und Ausgangspuncte der neuen Civilisation eine<lb/> Reihe transalpinischer Colonien zu begründen, mochte Niemand<lb/> mehr empfinden als der politische Erbe des Gaius Gracchus und<lb/> des Marius. Wenn er dennoch sich beschränkte auf die Ansied-<lb/> lung seiner keltischen oder deutschen Reiter in Noviodunum<lb/> (S. 232) und auf die der Boier im Haeduergau (S. 231), welche<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [270/0280]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
schonte, als es mit der Unterwerfung unter Rom irgend sich
vertrug, so geschah dies nicht um auf den Grundgedanken sei-
ner Eroberung, die Romanisirung Galliens zu verzichten, son-
dern um denselben in möglichst schonender Weise zu realisiren.
Auch begnügte er sich nicht dieselben Verhältnisse, die die Süd-
provinz bereits groſsentheils romanisirt hatten, im Norden ihre
Wirkung ebenfalls thun zu lassen, sondern er förderte, als echter
Staatsmann, von oben herab die naturgemäſse Entwickelung und
that dazu die immer peinliche Uebergangszeit möglichst zu ver-
kürzen. Um zu schweigen von der Aufnahme einer Anzahl vor-
nehmer Kelten in den römischen Bürgerverband, ja einzelner viel-
leicht schon in den römischen Senat, so ist es wahrscheinlich Cae-
sar gewesen, der in Gallien anstatt der einheimischen Sprache die
lateinische als die officielle auch innerhalb der einzelnen Gaue,
wenn auch noch mit gewissen Einschränkungen, und anstatt des
nationalen das römische Münzsystem in der Art einführte, daſs
die Gold- und die Denarprägung den römischen Behörden vor-
behalten blieb, dagegen die Scheidemünze von den einzelnen Gauen
und nur zur Circulation innerhalb der Gaugrenzen, aber doch auch
nach römischem Fuſs geschlagen werden sollte. Man mag lächeln
über das kauderwelsche Latein, dessen die Anwohner der Loire
und Seine fortan verordnungsmäſsig sich beflissen *; es lag doch
in diesen Sprachfehlern eine gröſsere Zukunft als in dem cor-
recten hauptstädtischen Latein. Vielleicht geht es auch auf Cae-
sar zurück, wenn die Gauverfassung im Keltenland späterhin der
italischen Stadtverfassung genähert erscheint und die Hauptorte
des Gaues, so wie die Gemeinderäthe in ihr schärfer hervortre-
ten, als dies in der ursprünglichen keltischen Ordnung wahr-
scheinlich der Fall war. Wie wünschenswerth in militärischer
wie in politischer Hinsicht es gewesen wäre als Stützpuncte der
neuen Herrschaft und Ausgangspuncte der neuen Civilisation eine
Reihe transalpinischer Colonien zu begründen, mochte Niemand
mehr empfinden als der politische Erbe des Gaius Gracchus und
des Marius. Wenn er dennoch sich beschränkte auf die Ansied-
lung seiner keltischen oder deutschen Reiter in Noviodunum
(S. 232) und auf die der Boier im Haeduergau (S. 231), welche
* So lesen wir auf einem Semis, den ein Vergobret der Lexovier (Li-
sieux, Dep. Calvados) schlagen lieſs, folgende Aufschrift: Cisiambos Cat-
tos vercobreto; simissos (so) publicos lixovio. Die oft kaum leserliche
Schrift und das unglaublich abscheuliche Gepräge dieser Münzen stehen mit
ihrem stammelnden Latein in bester Harmonie.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |