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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
die Gallier dieses Manövers inne wurden, versuchten sie von der
Küste, an der sie den Kampf mit den Römern aufgenommen
hatten, sich zu entfernen und die hohe See zu gewinnen, wohin
die römischen Galeeren ihnen nicht folgen konnten; allein zum
Unglück für sie trat plötzlich eine vollständige Windstille ein und
die ungeheure Flotte, an deren Ausrüstung die Seegaue alle ihre
Kräfte gesetzt hatten, ward von den Römern fast gänzlich ver-
nichtet. So ward diese Seeschlacht -- so weit die geschichtliche
Kunde reicht, die älteste auf dem atlantischen Ocean geschlagene
-- eben wie zweihundert Jahre zuvor das Treffen bei Mylae (I,
342) trotz der ungünstigsten Verhältnisse durch eine von der
Noth eingegebene glückliche Erfindung zum Vortheil der Römer
entschieden. Die Folge des von Brutus erfochtenen Sieges war
die Ergebung der Veneter und der ganzen Bretagne. Mehr um der
keltischen Nation, nach so vielfältigen Beweisen von Milde gegen
die Unterworfenen, jetzt durch ein Beispiel furchtbarer Strenge
gegen die hartnäckig Widerstrebenden zu imponiren, als um den
Vertragsbruch und die Verletzung der römischen Gesandten zu
ahnden, liess Caesar den gesammten Gemeinderath hinrichten
und die Bürgerschaft des venetischen Gaus bis auf den letzten
Mann in die Knechtschaft verkaufen. Durch dies entsetzliche
Geschick wie durch ihre Intelligenz und ihren Patriotismus haben
die Veneter mehr als irgend ein anderer Keltenclan sich ein An-
recht erworben auf die Theilnahme der Nachwelt. -- Dem am
Kanal versammelten Aufgebot der Küstenstaaten setzte Sabinus
inzwischen dieselbe Taktik entgegen, durch die Caesar das Jahr
zuvor den belgischen Landsturm an der Aisne überwunden
hatte; er verhielt sich vertheidigend, bis Ungeduld und Mangel
in den Reihen der Feinde einrissen, und wusste sie dann durch
Täuschung über die Stimmung und Stärke seiner Truppen und
vor allem durch die eigene Ungeduld zu einem unbesonnenen
Sturm auf das römische Lager zu verlocken. Die Römer erfoch-
ten einen vollständigen Sieg, in Folge dessen die Milizen sich
zerstreuten und die Landschaft bis zur Seine sich unterwarf. --
Nur die Moriner und Menapier beharrten dabei sich der Aner-
kennung der römischen Hoheit zu entziehen. Um sie dazu zu
zwingen, erschien Caesar an ihren Grenzen; aber gewitzigt durch
die von ihren Landsleuten gemachten Erfahrungen, vermieden
sie es den Kampf an der Landesgrenze aufzunehmen und wi-
chen zurück in die damals von den Ardennen gegen die Nordsee
hin fast ununterbrochen sich erstreckenden Wälder. Die Römer
versuchten sich durch dieselben mit der Axt eine Strasse zu bah-

Röm. Gesch. III. 16

DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
die Gallier dieses Manövers inne wurden, versuchten sie von der
Küste, an der sie den Kampf mit den Römern aufgenommen
hatten, sich zu entfernen und die hohe See zu gewinnen, wohin
die römischen Galeeren ihnen nicht folgen konnten; allein zum
Unglück für sie trat plötzlich eine vollständige Windstille ein und
die ungeheure Flotte, an deren Ausrüstung die Seegaue alle ihre
Kräfte gesetzt hatten, ward von den Römern fast gänzlich ver-
nichtet. So ward diese Seeschlacht — so weit die geschichtliche
Kunde reicht, die älteste auf dem atlantischen Ocean geschlagene
— eben wie zweihundert Jahre zuvor das Treffen bei Mylae (I,
342) trotz der ungünstigsten Verhältnisse durch eine von der
Noth eingegebene glückliche Erfindung zum Vortheil der Römer
entschieden. Die Folge des von Brutus erfochtenen Sieges war
die Ergebung der Veneter und der ganzen Bretagne. Mehr um der
keltischen Nation, nach so vielfältigen Beweisen von Milde gegen
die Unterworfenen, jetzt durch ein Beispiel furchtbarer Strenge
gegen die hartnäckig Widerstrebenden zu imponiren, als um den
Vertragsbruch und die Verletzung der römischen Gesandten zu
ahnden, lieſs Caesar den gesammten Gemeinderath hinrichten
und die Bürgerschaft des venetischen Gaus bis auf den letzten
Mann in die Knechtschaft verkaufen. Durch dies entsetzliche
Geschick wie durch ihre Intelligenz und ihren Patriotismus haben
die Veneter mehr als irgend ein anderer Keltenclan sich ein An-
recht erworben auf die Theilnahme der Nachwelt. — Dem am
Kanal versammelten Aufgebot der Küstenstaaten setzte Sabinus
inzwischen dieselbe Taktik entgegen, durch die Caesar das Jahr
zuvor den belgischen Landsturm an der Aisne überwunden
hatte; er verhielt sich vertheidigend, bis Ungeduld und Mangel
in den Reihen der Feinde einrissen, und wuſste sie dann durch
Täuschung über die Stimmung und Stärke seiner Truppen und
vor allem durch die eigene Ungeduld zu einem unbesonnenen
Sturm auf das römische Lager zu verlocken. Die Römer erfoch-
ten einen vollständigen Sieg, in Folge dessen die Milizen sich
zerstreuten und die Landschaft bis zur Seine sich unterwarf. —
Nur die Moriner und Menapier beharrten dabei sich der Aner-
kennung der römischen Hoheit zu entziehen. Um sie dazu zu
zwingen, erschien Caesar an ihren Grenzen; aber gewitzigt durch
die von ihren Landsleuten gemachten Erfahrungen, vermieden
sie es den Kampf an der Landesgrenze aufzunehmen und wi-
chen zurück in die damals von den Ardennen gegen die Nordsee
hin fast ununterbrochen sich erstreckenden Wälder. Die Römer
versuchten sich durch dieselben mit der Axt eine Straſse zu bah-

Röm. Gesch. III. 16
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[241/0251] DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. die Gallier dieses Manövers inne wurden, versuchten sie von der Küste, an der sie den Kampf mit den Römern aufgenommen hatten, sich zu entfernen und die hohe See zu gewinnen, wohin die römischen Galeeren ihnen nicht folgen konnten; allein zum Unglück für sie trat plötzlich eine vollständige Windstille ein und die ungeheure Flotte, an deren Ausrüstung die Seegaue alle ihre Kräfte gesetzt hatten, ward von den Römern fast gänzlich ver- nichtet. So ward diese Seeschlacht — so weit die geschichtliche Kunde reicht, die älteste auf dem atlantischen Ocean geschlagene — eben wie zweihundert Jahre zuvor das Treffen bei Mylae (I, 342) trotz der ungünstigsten Verhältnisse durch eine von der Noth eingegebene glückliche Erfindung zum Vortheil der Römer entschieden. Die Folge des von Brutus erfochtenen Sieges war die Ergebung der Veneter und der ganzen Bretagne. Mehr um der keltischen Nation, nach so vielfältigen Beweisen von Milde gegen die Unterworfenen, jetzt durch ein Beispiel furchtbarer Strenge gegen die hartnäckig Widerstrebenden zu imponiren, als um den Vertragsbruch und die Verletzung der römischen Gesandten zu ahnden, lieſs Caesar den gesammten Gemeinderath hinrichten und die Bürgerschaft des venetischen Gaus bis auf den letzten Mann in die Knechtschaft verkaufen. Durch dies entsetzliche Geschick wie durch ihre Intelligenz und ihren Patriotismus haben die Veneter mehr als irgend ein anderer Keltenclan sich ein An- recht erworben auf die Theilnahme der Nachwelt. — Dem am Kanal versammelten Aufgebot der Küstenstaaten setzte Sabinus inzwischen dieselbe Taktik entgegen, durch die Caesar das Jahr zuvor den belgischen Landsturm an der Aisne überwunden hatte; er verhielt sich vertheidigend, bis Ungeduld und Mangel in den Reihen der Feinde einrissen, und wuſste sie dann durch Täuschung über die Stimmung und Stärke seiner Truppen und vor allem durch die eigene Ungeduld zu einem unbesonnenen Sturm auf das römische Lager zu verlocken. Die Römer erfoch- ten einen vollständigen Sieg, in Folge dessen die Milizen sich zerstreuten und die Landschaft bis zur Seine sich unterwarf. — Nur die Moriner und Menapier beharrten dabei sich der Aner- kennung der römischen Hoheit zu entziehen. Um sie dazu zu zwingen, erschien Caesar an ihren Grenzen; aber gewitzigt durch die von ihren Landsleuten gemachten Erfahrungen, vermieden sie es den Kampf an der Landesgrenze aufzunehmen und wi- chen zurück in die damals von den Ardennen gegen die Nordsee hin fast ununterbrochen sich erstreckenden Wälder. Die Römer versuchten sich durch dieselben mit der Axt eine Straſse zu bah- Röm. Gesch. III. 16

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/251>, abgerufen am 22.11.2024.