Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. der Art unterzuordnen, dass der führende Canton nach aussenden andern mit vertrat und in Staatsverträgen für ihn mit stipu- lirte, der Clientelgau dagegen sich zur Heeresfolge, auch wohl zur Erlegung eines Tributs verpflichtete. Auf diesem Wege ent- stand eine Reihe von Sonderbünden; einen führenden Gau für das ganze Keltenland, einen wenn auch noch so losen Verband der gesammten Nation gab es nicht. Es ward bereits erwähnt (II, 154), dass bei dem Beginn der transalpinischen Eroberungen die Römer dort im Norden einen brittisch-belgischen Bund unter Führung der Suessionen, im mittleren und südlichen Gallien die Arvernerconföderation vorfanden, mit der die Haeduer mit ihrer schwächeren Clientel daselbst rivalisirten. In Caesars Zeit finden wir die Belgen im nordöstlichen Gallien zwischen Seine und Rhein noch in einer solchen Gemeinschaft, die sich indess wie es scheint auf Britannien nicht mehr erstreckt; neben ihnen erscheint in der heutigen Normandie und Bretagne der Bund der armori- canischen, das heisst der Seegaue; im mittleren Gallien ringen wie ehemals zwei Parteien um die Hegemonie, an deren Spitze einerseits die Haeduer stehen, andrerseits, nachdem die Arverner durch die Kriege mit Rom geschwächt und genöthigt worden sind von der Rivalität mit den Haeduern abzustehen, die Sequaner. Diese verschiedenen Eidgenossenschaften standen unabhängig neben einander; die führenden Staaten des mittleren Galliens scheinen ihre Clientel nie auf das nordöstliche und ernstlich wohl auch nicht den Nordwesten Galliens erstreckt zu haben. Der Einheitsdrang der Nation fand in diesen Gauverbindungen wohl eine gewisse Befriedigung; aber sie waren doch in jeder Hinsicht ungenügend. Die Verbindung war von der lockersten beständig zwischen Allianz und Hegemonie schwankenden Art, die Repräsentation durch die Bundestage im höchsten Grade dürftig. Nur die belgische Eidgenossenschaft scheint etwas fester zusammengehalten zu haben; der nationale Aufschwung, aus dem die glückliche Abwehr der Kimbrer hervorging (II, 173), mag ihr zu Gute gekommen sein. Die Rivalitäten um die Hegemonie wirkten einen dauernden Riss in jedem einzelnen Bund, den die Zeit nicht schloss, sondern erweiterte, weil selbst der Sieg des einen Nebenbuhlers dem Gegner die politische Existenz liess und es demselben, auch wenn er in die Clientel sich gefügt hatte, immer gestattete den Kampf späterhin zu erneuern. Der Wett- streit der mächtigeren Gaue entzweite nicht bloss diese, sondern in jedem abhängigen Clan, in jedem Dorfe, ja oft in jedem Hause setzte er sich fort, indem jeder Einzelne nach seinen persönlichen DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. der Art unterzuordnen, daſs der führende Canton nach auſsenden andern mit vertrat und in Staatsverträgen für ihn mit stipu- lirte, der Clientelgau dagegen sich zur Heeresfolge, auch wohl zur Erlegung eines Tributs verpflichtete. Auf diesem Wege ent- stand eine Reihe von Sonderbünden; einen führenden Gau für das ganze Keltenland, einen wenn auch noch so losen Verband der gesammten Nation gab es nicht. Es ward bereits erwähnt (II, 154), daſs bei dem Beginn der transalpinischen Eroberungen die Römer dort im Norden einen brittisch-belgischen Bund unter Führung der Suessionen, im mittleren und südlichen Gallien die Arvernerconföderation vorfanden, mit der die Haeduer mit ihrer schwächeren Clientel daselbst rivalisirten. In Caesars Zeit finden wir die Belgen im nordöstlichen Gallien zwischen Seine und Rhein noch in einer solchen Gemeinschaft, die sich indeſs wie es scheint auf Britannien nicht mehr erstreckt; neben ihnen erscheint in der heutigen Normandie und Bretagne der Bund der armori- canischen, das heiſst der Seegaue; im mittleren Gallien ringen wie ehemals zwei Parteien um die Hegemonie, an deren Spitze einerseits die Haeduer stehen, andrerseits, nachdem die Arverner durch die Kriege mit Rom geschwächt und genöthigt worden sind von der Rivalität mit den Haeduern abzustehen, die Sequaner. Diese verschiedenen Eidgenossenschaften standen unabhängig neben einander; die führenden Staaten des mittleren Galliens scheinen ihre Clientel nie auf das nordöstliche und ernstlich wohl auch nicht den Nordwesten Galliens erstreckt zu haben. Der Einheitsdrang der Nation fand in diesen Gauverbindungen wohl eine gewisse Befriedigung; aber sie waren doch in jeder Hinsicht ungenügend. Die Verbindung war von der lockersten beständig zwischen Allianz und Hegemonie schwankenden Art, die Repräsentation durch die Bundestage im höchsten Grade dürftig. Nur die belgische Eidgenossenschaft scheint etwas fester zusammengehalten zu haben; der nationale Aufschwung, aus dem die glückliche Abwehr der Kimbrer hervorging (II, 173), mag ihr zu Gute gekommen sein. Die Rivalitäten um die Hegemonie wirkten einen dauernden Riſs in jedem einzelnen Bund, den die Zeit nicht schloſs, sondern erweiterte, weil selbst der Sieg des einen Nebenbuhlers dem Gegner die politische Existenz lieſs und es demselben, auch wenn er in die Clientel sich gefügt hatte, immer gestattete den Kampf späterhin zu erneuern. 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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
der Art unterzuordnen, daſs der führende Canton nach auſsen
den andern mit vertrat und in Staatsverträgen für ihn mit stipu-
lirte, der Clientelgau dagegen sich zur Heeresfolge, auch wohl
zur Erlegung eines Tributs verpflichtete. Auf diesem Wege ent-
stand eine Reihe von Sonderbünden; einen führenden Gau für
das ganze Keltenland, einen wenn auch noch so losen Verband
der gesammten Nation gab es nicht. Es ward bereits erwähnt
(II, 154), daſs bei dem Beginn der transalpinischen Eroberungen
die Römer dort im Norden einen brittisch-belgischen Bund unter
Führung der Suessionen, im mittleren und südlichen Gallien die
Arvernerconföderation vorfanden, mit der die Haeduer mit ihrer
schwächeren Clientel daselbst rivalisirten. In Caesars Zeit finden
wir die Belgen im nordöstlichen Gallien zwischen Seine und
Rhein noch in einer solchen Gemeinschaft, die sich indeſs wie es
scheint auf Britannien nicht mehr erstreckt; neben ihnen erscheint
in der heutigen Normandie und Bretagne der Bund der armori-
canischen, das heiſst der Seegaue; im mittleren Gallien ringen
wie ehemals zwei Parteien um die Hegemonie, an deren Spitze
einerseits die Haeduer stehen, andrerseits, nachdem die Arverner
durch die Kriege mit Rom geschwächt und genöthigt worden sind
von der Rivalität mit den Haeduern abzustehen, die Sequaner.
Diese verschiedenen Eidgenossenschaften standen unabhängig
neben einander; die führenden Staaten des mittleren Galliens
scheinen ihre Clientel nie auf das nordöstliche und ernstlich
wohl auch nicht den Nordwesten Galliens erstreckt zu haben.
Der Einheitsdrang der Nation fand in diesen Gauverbindungen
wohl eine gewisse Befriedigung; aber sie waren doch in jeder
Hinsicht ungenügend. Die Verbindung war von der lockersten
beständig zwischen Allianz und Hegemonie schwankenden Art,
die Repräsentation durch die Bundestage im höchsten Grade
dürftig. Nur die belgische Eidgenossenschaft scheint etwas fester
zusammengehalten zu haben; der nationale Aufschwung, aus dem
die glückliche Abwehr der Kimbrer hervorging (II, 173), mag
ihr zu Gute gekommen sein. Die Rivalitäten um die Hegemonie
wirkten einen dauernden Riſs in jedem einzelnen Bund, den die
Zeit nicht schloſs, sondern erweiterte, weil selbst der Sieg des
einen Nebenbuhlers dem Gegner die politische Existenz lieſs und
es demselben, auch wenn er in die Clientel sich gefügt hatte,
immer gestattete den Kampf späterhin zu erneuern. Der Wett-
streit der mächtigeren Gaue entzweite nicht bloſs diese, sondern
in jedem abhängigen Clan, in jedem Dorfe, ja oft in jedem Hause
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