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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
einheimischen Namen die Corporation der Druiden umfasste sicher
die brittischen Inseln und ganz Gallien, vielleicht noch andere
Keltenländer mit einem gemeinsamen religiös-nationalen Bande.
Sie stand unter einem eigenen Haupte, das die Priester selber
sich wählten, mit eigenen Schulen, in denen die sehr umfängliche
Tradition fortgepflanzt ward, mit eigenen Privilegien, namentlich
Befreiung von Steuer und Kriegsdienst, welche jeder Clan re-
spectirte, mit jährlichen Concilien, die bei Chartres am ,Mittel-
punkt der keltischen Erde' abgehalten wurden, und vor allen
Dingen mit einer gläubigen Gemeinde, die an peinlicher Fröm-
migkeit und blindem Gehorsam gegen ihre Priester den heutigen
Iren nichts nachgegeben zu haben scheint. Es ist begreiflich, dass
eine solche Priesterschaft auch in das weltliche Regiment einzu-
greifen versuchte und theilweise durchdrang: sie nahm mit Er-
folg das Recht in Anspruch einzelne Männer und ganze Gemein-
den von der religiösen und folgeweise auch der bürgerlichen Ge-
meinschaft auszuschliessen; sie wusste die wichtigsten Civilsachen,
namentlich Grenz- und Erbschaftsprozesse an sich zu ziehen; sie
entwickelte, gestützt wie es scheint auf ihr Recht aus der Ge-
meinde auszuschliessen und vielleicht auch auf die Landesgewohn-
heit, dass zu den üblichen Menschenopfern vorzugsweise Ver-
brecher genommen wurden, eine ausgedehnte priesterliche Cri-
minalgerichtsbarkeit, die mit der der Könige und Vergobreten
concurrirte; sie nahm sogar die Entscheidung über Krieg und
Frieden in Anspruch. Man war nicht fern von einem Kirchen-
staat mit Papst und Concilien, mit Immunitäten, Interdicten und
geistlichen Gerichten; nur dass dieser Kirchenstaat nicht wie der
der Neuzeit von den Nationen abstrahirte, sondern vielmehr
durchaus national war. -- Aber wenn also das Gefühl der Zu-
sammengehörigkeit unter den keltischen Stämmen mit voller Le-
bendigkeit erwacht war, so blieb es dagegen der Nation versagt
zu einem Haltpunct politischer Centralisation zu gelangen, wie
ihn Italien an der römischen Bürgerschaft, Hellenen und Ger-
manen an den makedonischen und fränkischen Königen fanden.
Die keltische Priester- und ebenso die Adelschaft, obwohl sie
in gewissem Sinn die Nation vertraten und verbanden, waren
doch ihrer ständisch-particularistischen Interessen wegen un-
fähig sie zu einigen, wohl aber mächtig genug um keinem Kö-
nig und keinem Gau das Werk der Einigung zu gestatten. An-
sätze zu demselben fehlen nicht; sie gingen, wie die Gauver-
fassung es an die Hand gab, den Weg des Hegemoniesystems.
Der mächtige Canton bestimmte den schwächeren sich ihm in

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
einheimischen Namen die Corporation der Druiden umfaſste sicher
die brittischen Inseln und ganz Gallien, vielleicht noch andere
Keltenländer mit einem gemeinsamen religiös-nationalen Bande.
Sie stand unter einem eigenen Haupte, das die Priester selber
sich wählten, mit eigenen Schulen, in denen die sehr umfängliche
Tradition fortgepflanzt ward, mit eigenen Privilegien, namentlich
Befreiung von Steuer und Kriegsdienst, welche jeder Clan re-
spectirte, mit jährlichen Concilien, die bei Chartres am ‚Mittel-
punkt der keltischen Erde‘ abgehalten wurden, und vor allen
Dingen mit einer gläubigen Gemeinde, die an peinlicher Fröm-
migkeit und blindem Gehorsam gegen ihre Priester den heutigen
Iren nichts nachgegeben zu haben scheint. Es ist begreiflich, daſs
eine solche Priesterschaft auch in das weltliche Regiment einzu-
greifen versuchte und theilweise durchdrang: sie nahm mit Er-
folg das Recht in Anspruch einzelne Männer und ganze Gemein-
den von der religiösen und folgeweise auch der bürgerlichen Ge-
meinschaft auszuschlieſsen; sie wuſste die wichtigsten Civilsachen,
namentlich Grenz- und Erbschaftsprozesse an sich zu ziehen; sie
entwickelte, gestützt wie es scheint auf ihr Recht aus der Ge-
meinde auszuschlieſsen und vielleicht auch auf die Landesgewohn-
heit, daſs zu den üblichen Menschenopfern vorzugsweise Ver-
brecher genommen wurden, eine ausgedehnte priesterliche Cri-
minalgerichtsbarkeit, die mit der der Könige und Vergobreten
concurrirte; sie nahm sogar die Entscheidung über Krieg und
Frieden in Anspruch. Man war nicht fern von einem Kirchen-
staat mit Papst und Concilien, mit Immunitäten, Interdicten und
geistlichen Gerichten; nur daſs dieser Kirchenstaat nicht wie der
der Neuzeit von den Nationen abstrahirte, sondern vielmehr
durchaus national war. — Aber wenn also das Gefühl der Zu-
sammengehörigkeit unter den keltischen Stämmen mit voller Le-
bendigkeit erwacht war, so blieb es dagegen der Nation versagt
zu einem Haltpunct politischer Centralisation zu gelangen, wie
ihn Italien an der römischen Bürgerschaft, Hellenen und Ger-
manen an den makedonischen und fränkischen Königen fanden.
Die keltische Priester- und ebenso die Adelschaft, obwohl sie
in gewissem Sinn die Nation vertraten und verbanden, waren
doch ihrer ständisch-particularistischen Interessen wegen un-
fähig sie zu einigen, wohl aber mächtig genug um keinem Kö-
nig und keinem Gau das Werk der Einigung zu gestatten. An-
sätze zu demselben fehlen nicht; sie gingen, wie die Gauver-
fassung es an die Hand gab, den Weg des Hegemoniesystems.
Der mächtige Canton bestimmte den schwächeren sich ihm in

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[216/0226] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. einheimischen Namen die Corporation der Druiden umfaſste sicher die brittischen Inseln und ganz Gallien, vielleicht noch andere Keltenländer mit einem gemeinsamen religiös-nationalen Bande. Sie stand unter einem eigenen Haupte, das die Priester selber sich wählten, mit eigenen Schulen, in denen die sehr umfängliche Tradition fortgepflanzt ward, mit eigenen Privilegien, namentlich Befreiung von Steuer und Kriegsdienst, welche jeder Clan re- spectirte, mit jährlichen Concilien, die bei Chartres am ‚Mittel- punkt der keltischen Erde‘ abgehalten wurden, und vor allen Dingen mit einer gläubigen Gemeinde, die an peinlicher Fröm- migkeit und blindem Gehorsam gegen ihre Priester den heutigen Iren nichts nachgegeben zu haben scheint. Es ist begreiflich, daſs eine solche Priesterschaft auch in das weltliche Regiment einzu- greifen versuchte und theilweise durchdrang: sie nahm mit Er- folg das Recht in Anspruch einzelne Männer und ganze Gemein- den von der religiösen und folgeweise auch der bürgerlichen Ge- meinschaft auszuschlieſsen; sie wuſste die wichtigsten Civilsachen, namentlich Grenz- und Erbschaftsprozesse an sich zu ziehen; sie entwickelte, gestützt wie es scheint auf ihr Recht aus der Ge- meinde auszuschlieſsen und vielleicht auch auf die Landesgewohn- heit, daſs zu den üblichen Menschenopfern vorzugsweise Ver- brecher genommen wurden, eine ausgedehnte priesterliche Cri- minalgerichtsbarkeit, die mit der der Könige und Vergobreten concurrirte; sie nahm sogar die Entscheidung über Krieg und Frieden in Anspruch. Man war nicht fern von einem Kirchen- staat mit Papst und Concilien, mit Immunitäten, Interdicten und geistlichen Gerichten; nur daſs dieser Kirchenstaat nicht wie der der Neuzeit von den Nationen abstrahirte, sondern vielmehr durchaus national war. — Aber wenn also das Gefühl der Zu- sammengehörigkeit unter den keltischen Stämmen mit voller Le- bendigkeit erwacht war, so blieb es dagegen der Nation versagt zu einem Haltpunct politischer Centralisation zu gelangen, wie ihn Italien an der römischen Bürgerschaft, Hellenen und Ger- manen an den makedonischen und fränkischen Königen fanden. Die keltische Priester- und ebenso die Adelschaft, obwohl sie in gewissem Sinn die Nation vertraten und verbanden, waren doch ihrer ständisch-particularistischen Interessen wegen un- fähig sie zu einigen, wohl aber mächtig genug um keinem Kö- nig und keinem Gau das Werk der Einigung zu gestatten. An- sätze zu demselben fehlen nicht; sie gingen, wie die Gauver- fassung es an die Hand gab, den Weg des Hegemoniesystems. Der mächtige Canton bestimmte den schwächeren sich ihm in

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/226>, abgerufen am 24.11.2024.