Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. wahrscheinlich, dass in den Districten, die cultivirter als die bel-gischen und weniger gebirgig als der helvetische waren, wie bei den Biturigen, Arvernern, Haeduern, sich das Verhältniss noch günstiger stellte. Der Ackerbau ward in Gallien wohl getrieben, allein nicht geachtet; selbst in dem civilisirteren Süden galt noch der Satz, dass es für den freien Kelten sich nicht schicke den Pflug zu führen, und im Norden überwog die Viehzucht durch- aus. Die Bretagne war zu Caesars Zeit ein kornarmes Land. Im Nordosten reichten dichte Wälder, an den Kern der Ardennen sich anschliessend, fast ununterbrochen von der Nordsee bis zum Rheine und auf den heute so gesegneten Fluren Flanderns und Lothringens weidete damals der menapische und treverische Hirte im undurchdringlichen Eichenwald seine halbwilden Säue. Eben wie im Pothal an die Stelle der keltischen Eichelmast durch die Römer Wollproduction und Kornbau getreten sind, so gehen auch die Schafzucht und die Ackerwirthschaft in den Ebenen der Schelde und der Maas auf sie zurück. In Britanmen gar war das Dreschen des Kornes noch nicht üblich und in den nördlicheren Strichen hörte hier der Ackerbau ganz auf und war die Viehzucht die einzige bekannte Bodennutzung. Der Weinbau, der den Mas- salioten reichen Ertrag abwarf, ward jenseit der Cevennen zu Cae- sars Zeit noch nicht betrieben. -- Dem Zusammensiedeln waren die Gallier von Haus aus geneigt; offene Dörfer gab es überall und allein der helvetische Canton zählte deren im J. 696 vierhundert ausser einer Menge einzelner Höfe. Aber es fehlte auch nicht an ummauerten Städten, deren Mauern von Fachwerk sowohl durch mer, also die Landschaft zwischen Seine und Schelde und östlich bis gegen Rheims und Andernach von 2000--2200 Quadratmeilen wird auf etwa 300000 Mann berechnet; wonach, wenn man das für die Bellovaker ange- gebene Verhältniss des ersten Aufgebots zu der gesammten waffenfähigen Mannschaft als allgemeingültig betrachtet, die Zahl der waffenfähigen Bel- gen auf 500000 und danach die Gesammtbevölkerung auf mindestens 2 Millionen sich stellt. Die Helvetier mit den Nebenvölkern zählten vor ihrem Auszug 336000 Köpfe; wenn man annimmt, dass sie damals schon vom rechten Rheinufer verdrängt waren, kann ihr Gebiet auf ungefähr 300 Quadratmeilen angeschlagen werden. Ob die Knechte hiebei mitge- zählt sind, lässt sich um so weniger entscheiden, als wir nicht wissen, welche Form die Sclaverei bei den Kelten angenommen hatte; was Cae- sar 1, 4 von Orgetorix Sclaven, Hörigen und Schuldnern erzählt, spricht eher für als gegen die Mitzählung. -- Dass übrigens jeder solche Versuch das, was der alten Geschichte vor allen Dingen fehlt, die statistische Grund- lage durch Combinationen zu ersetzen, mit billiger Vorsicht aufgenommen werden muss, wird der verständige Leser ebensowenig verkennen als ihn darum unbedingt wegwerfen. Röm. Gesch. III. 14
DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. wahrscheinlich, daſs in den Districten, die cultivirter als die bel-gischen und weniger gebirgig als der helvetische waren, wie bei den Biturigen, Arvernern, Haeduern, sich das Verhältniſs noch günstiger stellte. Der Ackerbau ward in Gallien wohl getrieben, allein nicht geachtet; selbst in dem civilisirteren Süden galt noch der Satz, daſs es für den freien Kelten sich nicht schicke den Pflug zu führen, und im Norden überwog die Viehzucht durch- aus. Die Bretagne war zu Caesars Zeit ein kornarmes Land. Im Nordosten reichten dichte Wälder, an den Kern der Ardennen sich anschlieſsend, fast ununterbrochen von der Nordsee bis zum Rheine und auf den heute so gesegneten Fluren Flanderns und Lothringens weidete damals der menapische und treverische Hirte im undurchdringlichen Eichenwald seine halbwilden Säue. Eben wie im Pothal an die Stelle der keltischen Eichelmast durch die Römer Wollproduction und Kornbau getreten sind, so gehen auch die Schafzucht und die Ackerwirthschaft in den Ebenen der Schelde und der Maas auf sie zurück. In Britanmen gar war das Dreschen des Kornes noch nicht üblich und in den nördlicheren Strichen hörte hier der Ackerbau ganz auf und war die Viehzucht die einzige bekannte Bodennutzung. Der Weinbau, der den Mas- salioten reichen Ertrag abwarf, ward jenseit der Cevennen zu Cae- sars Zeit noch nicht betrieben. — Dem Zusammensiedeln waren die Gallier von Haus aus geneigt; offene Dörfer gab es überall und allein der helvetische Canton zählte deren im J. 696 vierhundert auſser einer Menge einzelner Höfe. Aber es fehlte auch nicht an ummauerten Städten, deren Mauern von Fachwerk sowohl durch mer, also die Landschaft zwischen Seine und Schelde und östlich bis gegen Rheims und Andernach von 2000—2200 Quadratmeilen wird auf etwa 300000 Mann berechnet; wonach, wenn man das für die Bellovaker ange- gebene Verhältniſs des ersten Aufgebots zu der gesammten waffenfähigen Mannschaft als allgemeingültig betrachtet, die Zahl der waffenfähigen Bel- gen auf 500000 und danach die Gesammtbevölkerung auf mindestens 2 Millionen sich stellt. Die Helvetier mit den Nebenvölkern zählten vor ihrem Auszug 336000 Köpfe; wenn man annimmt, daſs sie damals schon vom rechten Rheinufer verdrängt waren, kann ihr Gebiet auf ungefähr 300 Quadratmeilen angeschlagen werden. Ob die Knechte hiebei mitge- zählt sind, läſst sich um so weniger entscheiden, als wir nicht wissen, welche Form die Sclaverei bei den Kelten angenommen hatte; was Cae- sar 1, 4 von Orgetorix Sclaven, Hörigen und Schuldnern erzählt, spricht eher für als gegen die Mitzählung. — Daſs übrigens jeder solche Versuch das, was der alten Geschichte vor allen Dingen fehlt, die statistische Grund- lage durch Combinationen zu ersetzen, mit billiger Vorsicht aufgenommen werden muſs, wird der verständige Leser ebensowenig verkennen als ihn darum unbedingt wegwerfen. Röm. Gesch. III. 14
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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
wahrscheinlich, daſs in den Districten, die cultivirter als die bel-
gischen und weniger gebirgig als der helvetische waren, wie bei
den Biturigen, Arvernern, Haeduern, sich das Verhältniſs noch
günstiger stellte. Der Ackerbau ward in Gallien wohl getrieben,
allein nicht geachtet; selbst in dem civilisirteren Süden galt noch
der Satz, daſs es für den freien Kelten sich nicht schicke den
Pflug zu führen, und im Norden überwog die Viehzucht durch-
aus. Die Bretagne war zu Caesars Zeit ein kornarmes Land. Im
Nordosten reichten dichte Wälder, an den Kern der Ardennen
sich anschlieſsend, fast ununterbrochen von der Nordsee bis zum
Rheine und auf den heute so gesegneten Fluren Flanderns und
Lothringens weidete damals der menapische und treverische
Hirte im undurchdringlichen Eichenwald seine halbwilden Säue.
Eben wie im Pothal an die Stelle der keltischen Eichelmast durch
die Römer Wollproduction und Kornbau getreten sind, so gehen
auch die Schafzucht und die Ackerwirthschaft in den Ebenen der
Schelde und der Maas auf sie zurück. In Britanmen gar war das
Dreschen des Kornes noch nicht üblich und in den nördlicheren
Strichen hörte hier der Ackerbau ganz auf und war die Viehzucht
die einzige bekannte Bodennutzung. Der Weinbau, der den Mas-
salioten reichen Ertrag abwarf, ward jenseit der Cevennen zu Cae-
sars Zeit noch nicht betrieben. — Dem Zusammensiedeln waren
die Gallier von Haus aus geneigt; offene Dörfer gab es überall und
allein der helvetische Canton zählte deren im J. 696 vierhundert
auſser einer Menge einzelner Höfe. Aber es fehlte auch nicht an
ummauerten Städten, deren Mauern von Fachwerk sowohl durch
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** mer, also die Landschaft zwischen Seine und Schelde und östlich bis gegen
Rheims und Andernach von 2000—2200 Quadratmeilen wird auf etwa
300000 Mann berechnet; wonach, wenn man das für die Bellovaker ange-
gebene Verhältniſs des ersten Aufgebots zu der gesammten waffenfähigen
Mannschaft als allgemeingültig betrachtet, die Zahl der waffenfähigen Bel-
gen auf 500000 und danach die Gesammtbevölkerung auf mindestens
2 Millionen sich stellt. Die Helvetier mit den Nebenvölkern zählten vor
ihrem Auszug 336000 Köpfe; wenn man annimmt, daſs sie damals schon
vom rechten Rheinufer verdrängt waren, kann ihr Gebiet auf ungefähr
300 Quadratmeilen angeschlagen werden. Ob die Knechte hiebei mitge-
zählt sind, läſst sich um so weniger entscheiden, als wir nicht wissen,
welche Form die Sclaverei bei den Kelten angenommen hatte; was Cae-
sar 1, 4 von Orgetorix Sclaven, Hörigen und Schuldnern erzählt, spricht
eher für als gegen die Mitzählung. — Daſs übrigens jeder solche Versuch
das, was der alten Geschichte vor allen Dingen fehlt, die statistische Grund-
lage durch Combinationen zu ersetzen, mit billiger Vorsicht aufgenommen
werden muſs, wird der verständige Leser ebensowenig verkennen als ihn
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