Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. ner Nationalität bezeichnet und geadelt hat und noch fortwährendbezeichnet und adelt. Die römische Aristokratie vollbrachte die Vorbedingung dieser Aufgabe, die Einigung Italiens, aber die Aufgabe selber hat sie nicht gelöst, sondern die ausseritalischen Eroberungen stets nur entweder als nothwendiges Uebel oder auch als einen gleichsam ausserhalb des Staates stehenden Ren- tenerwerb betrachtet. Es ist der unvergängliche Ruhm der römi- schen Demokratie oder Monarchie -- denn beides fällt zusammen --, dass sie jene höchste Bestimmung ihres Gemeinwesens richtig erkannt und kräftig verfolgt hat. Was die unwiderstehliche Macht der Verhältnisse, die den Senat wider Willen zwang die Grund- lagen der künftigen römischen Macht im Westen wie im Osten festzustellen, vorbereitet hatte, was dann die römische Emigra- tion in die Provinzen, die zwar als Landplage kam, aber in den westlichen Landschaften doch auch als Pionier einer höheren Cultur, instinctmässig erfasste, das hat der Schöpfer der römi- schen Demokratie Gaius Gracchus mit staatsmännischer Klarheit und Sicherheit erkannt und durchzuführen begonnen. Die beiden Grundgedanken der neuen Politik: das Machtgebiet Roms, so weit es hellenisch war, zu reuniren, so weit es nicht hellenisch war, zu colonisiren, fanden ihre praktische Anerkennung bereits in der Einziehung des attalischen Reiches, in den transalpinischen Eroberungen des Flaccus. Aber die obsiegende Reaction liess diese Gedanken verkümmern. Der römische Staat blieb eine wüste Ländermasse ohne intensive Occupation und ohne gehörige Grenzen; Spanien und die griechisch-asiatischen Besitzungen waren durch weite kaum in ihren Küstensäumen den Römern unterthänige Gebiete von dem Mutterland geschieden, an der afrikanischen Nordküste waren nur die Gebiete von Karthago und Kyrene inselartig occupirt, selbst von dem unterthänigen Gebiet grosse Strecken namentlich in Spanien den Römern nur dem Namen nach unterworfen; von Seiten der Regierung geschah schlechterdings nichts zur Concentrirung und Arrondirung der Herrschaft und der Verfall der Flotte schien endlich das letzte Band zwischen den entlegenen Besitzungen zu lösen. Wohl ver- suchte die Demokratie, wie sie nur wieder ihr Haupt erhob, auch die äussere Politik im Geiste des Gracchus zu gestalten, wie denn namentlich Marius mit solchen Ideen sich trug; aber sie ver- mochte nicht auf die Dauer ans Ruder zu kommen und es blieb darum auch hier im Ganzen bei Entwürfen. Erst als mit dem Sturz der sullanischen Verfassung im J. 684 die Demokratie that- sächlich das Regiment in die Hand nahm, trat auch in dieser FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. ner Nationalität bezeichnet und geadelt hat und noch fortwährendbezeichnet und adelt. Die römische Aristokratie vollbrachte die Vorbedingung dieser Aufgabe, die Einigung Italiens, aber die Aufgabe selber hat sie nicht gelöst, sondern die auſseritalischen Eroberungen stets nur entweder als nothwendiges Uebel oder auch als einen gleichsam auſserhalb des Staates stehenden Ren- tenerwerb betrachtet. Es ist der unvergängliche Ruhm der römi- schen Demokratie oder Monarchie — denn beides fällt zusammen —, daſs sie jene höchste Bestimmung ihres Gemeinwesens richtig erkannt und kräftig verfolgt hat. Was die unwiderstehliche Macht der Verhältnisse, die den Senat wider Willen zwang die Grund- lagen der künftigen römischen Macht im Westen wie im Osten festzustellen, vorbereitet hatte, was dann die römische Emigra- tion in die Provinzen, die zwar als Landplage kam, aber in den westlichen Landschaften doch auch als Pionier einer höheren Cultur, instinctmäſsig erfaſste, das hat der Schöpfer der römi- schen Demokratie Gaius Gracchus mit staatsmännischer Klarheit und Sicherheit erkannt und durchzuführen begonnen. Die beiden Grundgedanken der neuen Politik: das Machtgebiet Roms, so weit es hellenisch war, zu reuniren, so weit es nicht hellenisch war, zu colonisiren, fanden ihre praktische Anerkennung bereits in der Einziehung des attalischen Reiches, in den transalpinischen Eroberungen des Flaccus. Aber die obsiegende Reaction lieſs diese Gedanken verkümmern. Der römische Staat blieb eine wüste Ländermasse ohne intensive Occupation und ohne gehörige Grenzen; Spanien und die griechisch-asiatischen Besitzungen waren durch weite kaum in ihren Küstensäumen den Römern unterthänige Gebiete von dem Mutterland geschieden, an der afrikanischen Nordküste waren nur die Gebiete von Karthago und Kyrene inselartig occupirt, selbst von dem unterthänigen Gebiet groſse Strecken namentlich in Spanien den Römern nur dem Namen nach unterworfen; von Seiten der Regierung geschah schlechterdings nichts zur Concentrirung und Arrondirung der Herrschaft und der Verfall der Flotte schien endlich das letzte Band zwischen den entlegenen Besitzungen zu lösen. Wohl ver- suchte die Demokratie, wie sie nur wieder ihr Haupt erhob, auch die äuſsere Politik im Geiste des Gracchus zu gestalten, wie denn namentlich Marius mit solchen Ideen sich trug; aber sie ver- mochte nicht auf die Dauer ans Ruder zu kommen und es blieb darum auch hier im Ganzen bei Entwürfen. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
ner Nationalität bezeichnet und geadelt hat und noch fortwährend
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Vorbedingung dieser Aufgabe, die Einigung Italiens, aber die
Aufgabe selber hat sie nicht gelöst, sondern die auſseritalischen
Eroberungen stets nur entweder als nothwendiges Uebel oder
auch als einen gleichsam auſserhalb des Staates stehenden Ren-
tenerwerb betrachtet. Es ist der unvergängliche Ruhm der römi-
schen Demokratie oder Monarchie — denn beides fällt zusammen
—, daſs sie jene höchste Bestimmung ihres Gemeinwesens richtig
erkannt und kräftig verfolgt hat. Was die unwiderstehliche Macht
der Verhältnisse, die den Senat wider Willen zwang die Grund-
lagen der künftigen römischen Macht im Westen wie im Osten
festzustellen, vorbereitet hatte, was dann die römische Emigra-
tion in die Provinzen, die zwar als Landplage kam, aber in den
westlichen Landschaften doch auch als Pionier einer höheren
Cultur, instinctmäſsig erfaſste, das hat der Schöpfer der römi-
schen Demokratie Gaius Gracchus mit staatsmännischer Klarheit
und Sicherheit erkannt und durchzuführen begonnen. Die beiden
Grundgedanken der neuen Politik: das Machtgebiet Roms, so
weit es hellenisch war, zu reuniren, so weit es nicht hellenisch
war, zu colonisiren, fanden ihre praktische Anerkennung bereits
in der Einziehung des attalischen Reiches, in den transalpinischen
Eroberungen des Flaccus. Aber die obsiegende Reaction lieſs
diese Gedanken verkümmern. Der römische Staat blieb eine
wüste Ländermasse ohne intensive Occupation und ohne gehörige
Grenzen; Spanien und die griechisch-asiatischen Besitzungen
waren durch weite kaum in ihren Küstensäumen den Römern
unterthänige Gebiete von dem Mutterland geschieden, an der
afrikanischen Nordküste waren nur die Gebiete von Karthago und
Kyrene inselartig occupirt, selbst von dem unterthänigen Gebiet
groſse Strecken namentlich in Spanien den Römern nur dem
Namen nach unterworfen; von Seiten der Regierung geschah
schlechterdings nichts zur Concentrirung und Arrondirung der
Herrschaft und der Verfall der Flotte schien endlich das letzte
Band zwischen den entlegenen Besitzungen zu lösen. Wohl ver-
suchte die Demokratie, wie sie nur wieder ihr Haupt erhob, auch
die äuſsere Politik im Geiste des Gracchus zu gestalten, wie denn
namentlich Marius mit solchen Ideen sich trug; aber sie ver-
mochte nicht auf die Dauer ans Ruder zu kommen und es blieb
darum auch hier im Ganzen bei Entwürfen. Erst als mit dem
Sturz der sullanischen Verfassung im J. 684 die Demokratie that-
sächlich das Regiment in die Hand nahm, trat auch in dieser
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