Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL I. demselben zu versitzen. Wenn freilich einem populären Manndieser Stuhl nicht genügen und Gaius Gracchus einen Nachfolger finden sollte, so war ein Kampf auf Tod und Leben unvermeid- lich; indess für jetzt wenigstens war dieser Platz noch unbe- setzt. -- Der Art war die Opposition, mit der das von Sulla ein- gesetzte oligarchische Regiment zu kämpfen hatte, nachdem das- selbe, früher als Sulla selbst gedacht haben mochte, durch seinen Tod auf sich selber angewiesen worden war. Die Aufgabe war an sich nicht leicht und ward noch erschwert durch die sonstigen socialen und politischen Uebelstände dieser Zeit, vor allem durch die ungemeine Schwierigkeit theils die Militärchefs in den Pro- vinzen in Unterwürfigkeit gegen die höchste bürgerliche Obrigkeit zu erhalten, theils in der Hauptstadt die Massen des daselbst sich anhäufenden italischen und ausseritalischen Gesindels und der in Rom grossentheils in factischer Freiheit lebenden Sclaven im Zaum zu halten, ohne Truppen zur Verfügung zu haben. Die Lage des Senats war wie die einer von allen Seiten ausgesetzten und bedrohten Festung und ernstliche Kämpfe konnten nicht ausbleiben. Aber auch die von Sulla geordneten Widerstands- mittel waren ansehnlich und nachhaltig und vor allen Dingen blieb, so lange die Opposition weder im Ziel noch im Weg einig und hauptlos in hundert Fractionen zerspellt war, die Re- gierung nothwendig im Vortheil. Dass die Masse der Nation der Regierung, wie Sulla sie eingesetzt hatte, abgeneigt, ja ihr feind- selig gesinnt war, liess sich nicht verkennen; aber eben so offen- bar war es der Regierung sehr wohl möglich, ihre feste Burg gegen die irre und wirre Masse noch auf lange hinaus zu be- haupten. Nur freilich musste sie auch sich behaupten wollen und wenigstens einen Funken jener Energie, die ihre Festung gebaut hatte, zu deren Vertheidigung heranbringen; denn freilich für eine Besatzung, die sich nicht wehren will, zieht der grösste Schanzkünstler vergebens seine Mauern und Gräben. Je mehr schliesslich alles ankam auf die Persönlichkeit der FÜNFTES BUCH. KAPITEL I. demselben zu versitzen. Wenn freilich einem populären Manndieser Stuhl nicht genügen und Gaius Gracchus einen Nachfolger finden sollte, so war ein Kampf auf Tod und Leben unvermeid- lich; indeſs für jetzt wenigstens war dieser Platz noch unbe- setzt. — Der Art war die Opposition, mit der das von Sulla ein- gesetzte oligarchische Regiment zu kämpfen hatte, nachdem das- selbe, früher als Sulla selbst gedacht haben mochte, durch seinen Tod auf sich selber angewiesen worden war. Die Aufgabe war an sich nicht leicht und ward noch erschwert durch die sonstigen socialen und politischen Uebelstände dieser Zeit, vor allem durch die ungemeine Schwierigkeit theils die Militärchefs in den Pro- vinzen in Unterwürfigkeit gegen die höchste bürgerliche Obrigkeit zu erhalten, theils in der Hauptstadt die Massen des daselbst sich anhäufenden italischen und auſseritalischen Gesindels und der in Rom groſsentheils in factischer Freiheit lebenden Sclaven im Zaum zu halten, ohne Truppen zur Verfügung zu haben. Die Lage des Senats war wie die einer von allen Seiten ausgesetzten und bedrohten Festung und ernstliche Kämpfe konnten nicht ausbleiben. Aber auch die von Sulla geordneten Widerstands- mittel waren ansehnlich und nachhaltig und vor allen Dingen blieb, so lange die Opposition weder im Ziel noch im Weg einig und hauptlos in hundert Fractionen zerspellt war, die Re- gierung nothwendig im Vortheil. Daſs die Masse der Nation der Regierung, wie Sulla sie eingesetzt hatte, abgeneigt, ja ihr feind- selig gesinnt war, lieſs sich nicht verkennen; aber eben so offen- bar war es der Regierung sehr wohl möglich, ihre feste Burg gegen die irre und wirre Masse noch auf lange hinaus zu be- haupten. Nur freilich muſste sie auch sich behaupten wollen und wenigstens einen Funken jener Energie, die ihre Festung gebaut hatte, zu deren Vertheidigung heranbringen; denn freilich für eine Besatzung, die sich nicht wehren will, zieht der gröſste Schanzkünstler vergebens seine Mauern und Gräben. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
demselben zu versitzen. Wenn freilich einem populären Mann
dieser Stuhl nicht genügen und Gaius Gracchus einen Nachfolger
finden sollte, so war ein Kampf auf Tod und Leben unvermeid-
lich; indeſs für jetzt wenigstens war dieser Platz noch unbe-
setzt. — Der Art war die Opposition, mit der das von Sulla ein-
gesetzte oligarchische Regiment zu kämpfen hatte, nachdem das-
selbe, früher als Sulla selbst gedacht haben mochte, durch seinen
Tod auf sich selber angewiesen worden war. Die Aufgabe war
an sich nicht leicht und ward noch erschwert durch die sonstigen
socialen und politischen Uebelstände dieser Zeit, vor allem durch
die ungemeine Schwierigkeit theils die Militärchefs in den Pro-
vinzen in Unterwürfigkeit gegen die höchste bürgerliche Obrigkeit
zu erhalten, theils in der Hauptstadt die Massen des daselbst sich
anhäufenden italischen und auſseritalischen Gesindels und der in
Rom groſsentheils in factischer Freiheit lebenden Sclaven im
Zaum zu halten, ohne Truppen zur Verfügung zu haben. Die
Lage des Senats war wie die einer von allen Seiten ausgesetzten
und bedrohten Festung und ernstliche Kämpfe konnten nicht
ausbleiben. Aber auch die von Sulla geordneten Widerstands-
mittel waren ansehnlich und nachhaltig und vor allen Dingen
blieb, so lange die Opposition weder im Ziel noch im Weg
einig und hauptlos in hundert Fractionen zerspellt war, die Re-
gierung nothwendig im Vortheil. Daſs die Masse der Nation der
Regierung, wie Sulla sie eingesetzt hatte, abgeneigt, ja ihr feind-
selig gesinnt war, lieſs sich nicht verkennen; aber eben so offen-
bar war es der Regierung sehr wohl möglich, ihre feste Burg
gegen die irre und wirre Masse noch auf lange hinaus zu be-
haupten. Nur freilich muſste sie auch sich behaupten wollen
und wenigstens einen Funken jener Energie, die ihre Festung
gebaut hatte, zu deren Vertheidigung heranbringen; denn freilich
für eine Besatzung, die sich nicht wehren will, zieht der gröſste
Schanzkünstler vergebens seine Mauern und Gräben.
Je mehr schlieſslich alles ankam auf die Persönlichkeit der
leitenden Männer auf beiden Seiten, desto übler war es, daſs es
genau genommen auf beiden Seiten an Führern fehlte. Die Poli-
tik dieser Zeit ward durchaus beherrscht von dem Coteriewesen
in seiner schlimmsten Gestalt. Wohl war dasselbe nichts Neues;
der geschlossene Familien- und Sodalitäteneinfluſs ist untrenn-
bar von der aristokratischen Ordnung des Staats und war seit
Jahrhunderten in Rom übermächtig. Aber allmächtig wurde der-
selbe doch erst in dieser Epoche, wie er denn auch erst in ihr
(zuerst 690) durch gesetzliche Repressivmaſsregeln weniger ge-
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