Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL II. schem Landrecht die Verjährung nicht; alle Juristen waren sicheinig, dass gegen die formelle Rechtbeständigkeit der Massregel nichts einzuwenden sei. Allein es liess sich doch nicht leugnen, dass diese occupirten Domänen zum Theil seit dreihundert Jah- ren in erblichem Privatbesitz sich befunden hatten und das Bo- deneigenthum des Staats, das seiner Natur nach überhaupt leich- ter als das des Bürgers den privatrechtlichen Charakter verliert, an diesen Grundstücken grossentheils so gut wie verschollen war; es war eine Massregel ungefähr wie wenn heutzutage ein Staat gegen seine grundsässigen Leute die von den feudalisti- schen Zeiten her ihm zustehenden Ansprüche geltend machen würde, ohne Verjährung anzuerkennen und ohne Entschädigung zu gewähren. Der Jurist mochte sagen was er wollte, dem Ge- schäftsmann erschien die Massregel als eine Expropriation der grossen Grundbesitzer zum Besten des agricolen Proletariats, und ohne Frage hatte er Recht. Es war ferner nicht unbedenk- lich, dass für die neuen Landloose Erbpachtsqualität und Un- veräusserlichkeit festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in Bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten Rom gross gemacht und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der römischen Institutio- nen, dass diese neuen Bauern von oben herab angehalten werden konnten ihr Grundstück in einer bestimmten Weise zu bewirth- schaften und dass für dasselbe Retractrechte und alle der Ver- kehrsbeschränkung anhängenden Einschnürungsmassregeln fest- gestellt wurden. Diese Uebelstände waren unleugbar und nicht gering; allein wer den sichtlichen Ruin des italischen Bauern- standes erwog, musste zugestehen, dass um diesem furchtbaren Uebel zu wehren selbst jene sehr ernsten Bedenken bei Seite ge- setzt werden konnten und mussten, und dies ist der Grund, wesshalb die ausgezeichnetsten und patriotischsten Männer auch der conservativen Partei die Domanialauftheilung im Princip gut- hiessen. -- Wohl zu unterscheiden von dem Ziel, nach dem Ti- berius Gracchus strebte, ist der Weg, den er einschlug, von dem sich umgekehrt behaupten lässt, dass er keines einzigen nennens- werthen und patriotischen Mannes Billigung gefunden hat noch finden konnte. Rom wurde um diese Zeit regiert durch den Se- nat. Wer gegen die Majorität des Senats eine Verwaltungsmass- regel durchsetzte, der machte Revolution. Es war Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die Domänenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den Buchstaben, als er das Correctiv der Staatsmaschine, durch welches der Senta die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmässig beseitigte, die VIERTES BUCH. KAPITEL II. schem Landrecht die Verjährung nicht; alle Juristen waren sicheinig, daſs gegen die formelle Rechtbeständigkeit der Maſsregel nichts einzuwenden sei. Allein es lieſs sich doch nicht leugnen, daſs diese occupirten Domänen zum Theil seit dreihundert Jah- ren in erblichem Privatbesitz sich befunden hatten und das Bo- deneigenthum des Staats, das seiner Natur nach überhaupt leich- ter als das des Bürgers den privatrechtlichen Charakter verliert, an diesen Grundstücken groſsentheils so gut wie verschollen war; es war eine Maſsregel ungefähr wie wenn heutzutage ein Staat gegen seine grundsässigen Leute die von den feudalisti- schen Zeiten her ihm zustehenden Ansprüche geltend machen würde, ohne Verjährung anzuerkennen und ohne Entschädigung zu gewähren. Der Jurist mochte sagen was er wollte, dem Ge- schäftsmann erschien die Maſsregel als eine Expropriation der groſsen Grundbesitzer zum Besten des agricolen Proletariats, und ohne Frage hatte er Recht. Es war ferner nicht unbedenk- lich, daſs für die neuen Landloose Erbpachtsqualität und Un- veräuſserlichkeit festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in Bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten Rom groſs gemacht und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der römischen Institutio- nen, daſs diese neuen Bauern von oben herab angehalten werden konnten ihr Grundstück in einer bestimmten Weise zu bewirth- schaften und daſs für dasselbe Retractrechte und alle der Ver- kehrsbeschränkung anhängenden Einschnürungsmaſsregeln fest- gestellt wurden. Diese Uebelstände waren unleugbar und nicht gering; allein wer den sichtlichen Ruin des italischen Bauern- standes erwog, muſste zugestehen, daſs um diesem furchtbaren Uebel zu wehren selbst jene sehr ernsten Bedenken bei Seite ge- setzt werden konnten und muſsten, und dies ist der Grund, weſshalb die ausgezeichnetsten und patriotischsten Männer auch der conservativen Partei die Domanialauftheilung im Princip gut- hieſsen. — Wohl zu unterscheiden von dem Ziel, nach dem Ti- berius Gracchus strebte, ist der Weg, den er einschlug, von dem sich umgekehrt behaupten läſst, daſs er keines einzigen nennens- werthen und patriotischen Mannes Billigung gefunden hat noch finden konnte. Rom wurde um diese Zeit regiert durch den Se- nat. Wer gegen die Majorität des Senats eine Verwaltungsmaſs- regel durchsetzte, der machte Revolution. Es war Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die Domänenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den Buchstaben, als er das Correctiv der Staatsmaschine, durch welches der Senta die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmäſsig beseitigte, die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0096" n="86"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL II.</fw><lb/> schem Landrecht die Verjährung nicht; alle Juristen waren sich<lb/> einig, daſs gegen die formelle Rechtbeständigkeit der Maſsregel<lb/> nichts einzuwenden sei. 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Es war ferner nicht unbedenk-<lb/> lich, daſs für die neuen Landloose Erbpachtsqualität und Un-<lb/> veräuſserlichkeit festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in<lb/> Bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten Rom groſs gemacht und es<lb/> vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der römischen Institutio-<lb/> nen, daſs diese neuen Bauern von oben herab angehalten werden<lb/> konnten ihr Grundstück in einer bestimmten Weise zu bewirth-<lb/> schaften und daſs für dasselbe Retractrechte und alle der Ver-<lb/> kehrsbeschränkung anhängenden Einschnürungsmaſsregeln fest-<lb/> gestellt wurden. 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VIERTES BUCH. KAPITEL II.
schem Landrecht die Verjährung nicht; alle Juristen waren sich
einig, daſs gegen die formelle Rechtbeständigkeit der Maſsregel
nichts einzuwenden sei. Allein es lieſs sich doch nicht leugnen,
daſs diese occupirten Domänen zum Theil seit dreihundert Jah-
ren in erblichem Privatbesitz sich befunden hatten und das Bo-
deneigenthum des Staats, das seiner Natur nach überhaupt leich-
ter als das des Bürgers den privatrechtlichen Charakter verliert,
an diesen Grundstücken groſsentheils so gut wie verschollen
war; es war eine Maſsregel ungefähr wie wenn heutzutage ein
Staat gegen seine grundsässigen Leute die von den feudalisti-
schen Zeiten her ihm zustehenden Ansprüche geltend machen
würde, ohne Verjährung anzuerkennen und ohne Entschädigung
zu gewähren. Der Jurist mochte sagen was er wollte, dem Ge-
schäftsmann erschien die Maſsregel als eine Expropriation der
groſsen Grundbesitzer zum Besten des agricolen Proletariats,
und ohne Frage hatte er Recht. Es war ferner nicht unbedenk-
lich, daſs für die neuen Landloose Erbpachtsqualität und Un-
veräuſserlichkeit festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in
Bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten Rom groſs gemacht und es
vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der römischen Institutio-
nen, daſs diese neuen Bauern von oben herab angehalten werden
konnten ihr Grundstück in einer bestimmten Weise zu bewirth-
schaften und daſs für dasselbe Retractrechte und alle der Ver-
kehrsbeschränkung anhängenden Einschnürungsmaſsregeln fest-
gestellt wurden. Diese Uebelstände waren unleugbar und nicht
gering; allein wer den sichtlichen Ruin des italischen Bauern-
standes erwog, muſste zugestehen, daſs um diesem furchtbaren
Uebel zu wehren selbst jene sehr ernsten Bedenken bei Seite ge-
setzt werden konnten und muſsten, und dies ist der Grund,
weſshalb die ausgezeichnetsten und patriotischsten Männer auch
der conservativen Partei die Domanialauftheilung im Princip gut-
hieſsen. — Wohl zu unterscheiden von dem Ziel, nach dem Ti-
berius Gracchus strebte, ist der Weg, den er einschlug, von dem
sich umgekehrt behaupten läſst, daſs er keines einzigen nennens-
werthen und patriotischen Mannes Billigung gefunden hat noch
finden konnte. Rom wurde um diese Zeit regiert durch den Se-
nat. Wer gegen die Majorität des Senats eine Verwaltungsmaſs-
regel durchsetzte, der machte Revolution. Es war Revolution
gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die Domänenfrage
vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den Buchstaben,
als er das Correctiv der Staatsmaschine, durch welches der Senta
die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmäſsig beseitigte, die
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