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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL II.
seinerseits die Staatsgeschäfte und die Rechtspflege und legte
seine Siegel auf die öffentlichen Kassen; man nahm es hin -- es
war unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gra-
cchus, rathlos, brachte sein Gesetz zum zweiten Mal zur Abstim-
mung; natürlich wiederholte Octavius seinen Einspruch und auf
die flehentliche Bitte seines Collegen und bisherigen Freundes,
ihm die Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwiedern,
dass darüber, wie Italien gerettet werden könne, eben die An-
sichten verschieden seien. Der Senat machte jetzt den Versuch
Gracchus einen leidlichen Rückzug zu eröffnen; zwei Consulare
forderten ihn auf die Angelegenheit in der Curie weiter zu ver-
handeln und eifrig ging der Tribun hierauf ein. Er suchte in
diesen Antrag hineinzulegen, dass der Senat die Domanialauf-
theilung im Princip zugestand; allein weder lag dies darin noch
war der Senat irgend geneigt in der Sache nachzugeben; die
Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungs-
mässigen Wege waren erschöpft. In früheren Zeiten hatte man
in solchen Fällen es sich nicht verdriessen lassen den gestellten
Antrag für diesmal ruhen zu lassen, aber Jahr für Jahr ihn wie-
der aufzunehmen, bis die Verhältnisse sich günstiger gestalteten.
Jetzt lebte man rascher. Gracchus schien sich auf dem Puncte
angelangt, wo er entweder auf die Reform überhaupt verzichten
oder die Revolution beginnen musste; er that das letztere, indem
er mit der Erklärung vor die Bürgerschaft trat, dass entweder er
oder Octavius aus dem Collegium ausscheiden müsse und die
Bürger darüber abstimmen möchten, welchen von ihnen sie ent-
lassen wollten. Eine Amtsentsetzung war nach der römischen
Verfassung eine constitutionelle Unmöglichkeit; Octavius weigerte
sich natürlich auf diesen die Gesetze und ihn selbst verhöhnen-
den Antrag einzugehen. Da brach Gracchus die Verhandlung mit
dem Collegen ab und wandte sich an das versammelte Volk mit
der Frage, ob nicht der Volkstribun, der dem Volke zuwider handle,
sein Amt verwirkt habe; und die Versammlung, längst gewohnt
zu allen an sie gebrachten Anträgen Ja zu sagen und grössten-
theils zusammengesetzt aus dem vom Lande hereingeströmten
und bei der Durchführung des Gesetzes persönlich interessirten
agricolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die Frage. Marcus
Octavius ward auf Gracchus Befehl durch die Gerichtsdiener von
der Tribunenbank entfernt und hierauf unter allgemeinem Jubel
das Ackergesetz durchgebracht und die Auftheilungscommission
gebildet; die Wahl traf den Urheber des Gesetzes nebst seinem
erst zwanzigjährigen Bruder Gaius und seinem Schwiegervater

VIERTES BUCH. KAPITEL II.
seinerseits die Staatsgeschäfte und die Rechtspflege und legte
seine Siegel auf die öffentlichen Kassen; man nahm es hin — es
war unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gra-
cchus, rathlos, brachte sein Gesetz zum zweiten Mal zur Abstim-
mung; natürlich wiederholte Octavius seinen Einspruch und auf
die flehentliche Bitte seines Collegen und bisherigen Freundes,
ihm die Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwiedern,
daſs darüber, wie Italien gerettet werden könne, eben die An-
sichten verschieden seien. Der Senat machte jetzt den Versuch
Gracchus einen leidlichen Rückzug zu eröffnen; zwei Consulare
forderten ihn auf die Angelegenheit in der Curie weiter zu ver-
handeln und eifrig ging der Tribun hierauf ein. Er suchte in
diesen Antrag hineinzulegen, daſs der Senat die Domanialauf-
theilung im Princip zugestand; allein weder lag dies darin noch
war der Senat irgend geneigt in der Sache nachzugeben; die
Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungs-
mäſsigen Wege waren erschöpft. In früheren Zeiten hatte man
in solchen Fällen es sich nicht verdrieſsen lassen den gestellten
Antrag für diesmal ruhen zu lassen, aber Jahr für Jahr ihn wie-
der aufzunehmen, bis die Verhältnisse sich günstiger gestalteten.
Jetzt lebte man rascher. Gracchus schien sich auf dem Puncte
angelangt, wo er entweder auf die Reform überhaupt verzichten
oder die Revolution beginnen muſste; er that das letztere, indem
er mit der Erklärung vor die Bürgerschaft trat, daſs entweder er
oder Octavius aus dem Collegium ausscheiden müsse und die
Bürger darüber abstimmen möchten, welchen von ihnen sie ent-
lassen wollten. Eine Amtsentsetzung war nach der römischen
Verfassung eine constitutionelle Unmöglichkeit; Octavius weigerte
sich natürlich auf diesen die Gesetze und ihn selbst verhöhnen-
den Antrag einzugehen. Da brach Gracchus die Verhandlung mit
dem Collegen ab und wandte sich an das versammelte Volk mit
der Frage, ob nicht der Volkstribun, der dem Volke zuwider handle,
sein Amt verwirkt habe; und die Versammlung, längst gewohnt
zu allen an sie gebrachten Anträgen Ja zu sagen und gröſsten-
theils zusammengesetzt aus dem vom Lande hereingeströmten
und bei der Durchführung des Gesetzes persönlich interessirten
agricolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die Frage. Marcus
Octavius ward auf Gracchus Befehl durch die Gerichtsdiener von
der Tribunenbank entfernt und hierauf unter allgemeinem Jubel
das Ackergesetz durchgebracht und die Auftheilungscommission
gebildet; die Wahl traf den Urheber des Gesetzes nebst seinem
erst zwanzigjährigen Bruder Gaius und seinem Schwiegervater

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[82/0092] VIERTES BUCH. KAPITEL II. seinerseits die Staatsgeschäfte und die Rechtspflege und legte seine Siegel auf die öffentlichen Kassen; man nahm es hin — es war unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gra- cchus, rathlos, brachte sein Gesetz zum zweiten Mal zur Abstim- mung; natürlich wiederholte Octavius seinen Einspruch und auf die flehentliche Bitte seines Collegen und bisherigen Freundes, ihm die Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwiedern, daſs darüber, wie Italien gerettet werden könne, eben die An- sichten verschieden seien. Der Senat machte jetzt den Versuch Gracchus einen leidlichen Rückzug zu eröffnen; zwei Consulare forderten ihn auf die Angelegenheit in der Curie weiter zu ver- handeln und eifrig ging der Tribun hierauf ein. Er suchte in diesen Antrag hineinzulegen, daſs der Senat die Domanialauf- theilung im Princip zugestand; allein weder lag dies darin noch war der Senat irgend geneigt in der Sache nachzugeben; die Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungs- mäſsigen Wege waren erschöpft. In früheren Zeiten hatte man in solchen Fällen es sich nicht verdrieſsen lassen den gestellten Antrag für diesmal ruhen zu lassen, aber Jahr für Jahr ihn wie- der aufzunehmen, bis die Verhältnisse sich günstiger gestalteten. Jetzt lebte man rascher. Gracchus schien sich auf dem Puncte angelangt, wo er entweder auf die Reform überhaupt verzichten oder die Revolution beginnen muſste; er that das letztere, indem er mit der Erklärung vor die Bürgerschaft trat, daſs entweder er oder Octavius aus dem Collegium ausscheiden müsse und die Bürger darüber abstimmen möchten, welchen von ihnen sie ent- lassen wollten. Eine Amtsentsetzung war nach der römischen Verfassung eine constitutionelle Unmöglichkeit; Octavius weigerte sich natürlich auf diesen die Gesetze und ihn selbst verhöhnen- den Antrag einzugehen. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem Collegen ab und wandte sich an das versammelte Volk mit der Frage, ob nicht der Volkstribun, der dem Volke zuwider handle, sein Amt verwirkt habe; und die Versammlung, längst gewohnt zu allen an sie gebrachten Anträgen Ja zu sagen und gröſsten- theils zusammengesetzt aus dem vom Lande hereingeströmten und bei der Durchführung des Gesetzes persönlich interessirten agricolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus Befehl durch die Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die Auftheilungscommission gebildet; die Wahl traf den Urheber des Gesetzes nebst seinem erst zwanzigjährigen Bruder Gaius und seinem Schwiegervater

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/92>, abgerufen am 21.11.2024.