der römischen Bürgerschaft. Vom Ende des hannibalischen Krieges bis zum J. 595 ist die Bürgerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache wesentlich zu suchen ist in den fortdauern- den und ansehnlichen Vertheilungen von Domanialland (I, 618); nach 595, wo die Zählung 328000 waffenfähige Bürger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmässiges Sinken, wodurch sich die Liste im J. 600 auf 324000, im J. 607 auf 322000, im J. 623 auf 319000 waffenfähige Bürger stellt -- ein erschreckendes Ergeb- niss für eine Zeit tiefen inneren und äusseren Friedens. Wenn das so fortging, löste die Bürgerschaft sich auf in besitzende Pflanzer und besessene Sclaven und konnte schliesslich der rö- mische Staat, wie es bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sclavenmarkt kaufen.
So standen die äusseren und inneren Verhältnisse Roms, als der Staat eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wo- hin man auch das Auge wandte, fiel es auf Missbräuche und Verfall; jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann musste die Erwägung nahe liegen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem grossen Werk der politischen und socialen Reform als der Lieblingssohn des Aemilius Paullus, der den glorreichen Na- men des Scipio Africanus nicht bloss als Erbe von seinem Gross- vater, sondern auch seiner eigenen Thaten wegen trug, Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625). Gleich sei- nem Vater war er ein massvoller durch und durch gesunder Mann, nie krank am Körper und nie unsicher über den nächsten und nothwendigen Entschluss. Schon in seiner Jugend hatte er sich fern gehalten von dem gewöhnlichen Treiben der politischen Anfänger, dem Antichambriren in den Zimmern der vornehmen Senatoren und den gerichtlichen Declamationen. Dagegen liebte er die Jagd -- als Siebzehnjähriger hatte er, nachdem er den Feld- zug gegen Perseus unter seinem Vater mit Auszeichnung mitge- macht hatte, dafür keine andere Belohnung erhalten als freie Pirsch in dem seit vier Jahren unberührten Wildhag der Könige von Ma- kedonien -- und vor allen Dingen wandte er gern seine Musse auf wissenschaftlichen und litterarischen Genuss. Durch die Fürsorge seines Vaters hatte er eine so vollkommene hellenische Erziehung erhalten, dass er durch sie über das geschmacklose Hellenisiren des gemeinen Schlags der Halbgebildeten hinaus gehoben ward; dieser Römer imponirte durch seine ernste und treffende Würdi- gung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und durch sein adliches Auftreten den Höfen des Ostens, ja so-
VIERTES BUCH. KAPITEL II.
der römischen Bürgerschaft. Vom Ende des hannibalischen Krieges bis zum J. 595 ist die Bürgerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache wesentlich zu suchen ist in den fortdauern- den und ansehnlichen Vertheilungen von Domanialland (I, 618); nach 595, wo die Zählung 328000 waffenfähige Bürger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmäſsiges Sinken, wodurch sich die Liste im J. 600 auf 324000, im J. 607 auf 322000, im J. 623 auf 319000 waffenfähige Bürger stellt — ein erschreckendes Ergeb- niſs für eine Zeit tiefen inneren und äuſseren Friedens. Wenn das so fortging, löste die Bürgerschaft sich auf in besitzende Pflanzer und besessene Sclaven und konnte schlieſslich der rö- mische Staat, wie es bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sclavenmarkt kaufen.
So standen die äuſseren und inneren Verhältnisse Roms, als der Staat eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wo- hin man auch das Auge wandte, fiel es auf Miſsbräuche und Verfall; jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann muſste die Erwägung nahe liegen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem groſsen Werk der politischen und socialen Reform als der Lieblingssohn des Aemilius Paullus, der den glorreichen Na- men des Scipio Africanus nicht bloſs als Erbe von seinem Groſs- vater, sondern auch seiner eigenen Thaten wegen trug, Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625). Gleich sei- nem Vater war er ein maſsvoller durch und durch gesunder Mann, nie krank am Körper und nie unsicher über den nächsten und nothwendigen Entschluſs. Schon in seiner Jugend hatte er sich fern gehalten von dem gewöhnlichen Treiben der politischen Anfänger, dem Antichambriren in den Zimmern der vornehmen Senatoren und den gerichtlichen Declamationen. Dagegen liebte er die Jagd — als Siebzehnjähriger hatte er, nachdem er den Feld- zug gegen Perseus unter seinem Vater mit Auszeichnung mitge- macht hatte, dafür keine andere Belohnung erhalten als freie Pirsch in dem seit vier Jahren unberührten Wildhag der Könige von Ma- kedonien — und vor allen Dingen wandte er gern seine Muſse auf wissenschaftlichen und litterarischen Genuſs. Durch die Fürsorge seines Vaters hatte er eine so vollkommene hellenische Erziehung erhalten, daſs er durch sie über das geschmacklose Hellenisiren des gemeinen Schlags der Halbgebildeten hinaus gehoben ward; dieser Römer imponirte durch seine ernste und treffende Würdi- gung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und durch sein adliches Auftreten den Höfen des Ostens, ja so-
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VIERTES BUCH. KAPITEL II.
der römischen Bürgerschaft. Vom Ende des hannibalischen
Krieges bis zum J. 595 ist die Bürgerzahl in stetigem Steigen,
wovon die Ursache wesentlich zu suchen ist in den fortdauern-
den und ansehnlichen Vertheilungen von Domanialland (I, 618);
nach 595, wo die Zählung 328000 waffenfähige Bürger ergab,
zeigt sich dagegen ein regelmäſsiges Sinken, wodurch sich die Liste
im J. 600 auf 324000, im J. 607 auf 322000, im J. 623 auf
319000 waffenfähige Bürger stellt — ein erschreckendes Ergeb-
niſs für eine Zeit tiefen inneren und äuſseren Friedens. Wenn
das so fortging, löste die Bürgerschaft sich auf in besitzende
Pflanzer und besessene Sclaven und konnte schlieſslich der rö-
mische Staat, wie es bei den Parthern geschah, seine Soldaten
auf dem Sclavenmarkt kaufen.
So standen die äuſseren und inneren Verhältnisse Roms, als
der Staat eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wo-
hin man auch das Auge wandte, fiel es auf Miſsbräuche und Verfall;
jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann muſste die Erwägung
nahe liegen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. Es
fehlte an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen
zu dem groſsen Werk der politischen und socialen Reform als
der Lieblingssohn des Aemilius Paullus, der den glorreichen Na-
men des Scipio Africanus nicht bloſs als Erbe von seinem Groſs-
vater, sondern auch seiner eigenen Thaten wegen trug, Publius
Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625). Gleich sei-
nem Vater war er ein maſsvoller durch und durch gesunder
Mann, nie krank am Körper und nie unsicher über den nächsten
und nothwendigen Entschluſs. Schon in seiner Jugend hatte er
sich fern gehalten von dem gewöhnlichen Treiben der politischen
Anfänger, dem Antichambriren in den Zimmern der vornehmen
Senatoren und den gerichtlichen Declamationen. Dagegen liebte
er die Jagd — als Siebzehnjähriger hatte er, nachdem er den Feld-
zug gegen Perseus unter seinem Vater mit Auszeichnung mitge-
macht hatte, dafür keine andere Belohnung erhalten als freie Pirsch
in dem seit vier Jahren unberührten Wildhag der Könige von Ma-
kedonien — und vor allen Dingen wandte er gern seine Muſse auf
wissenschaftlichen und litterarischen Genuſs. Durch die Fürsorge
seines Vaters hatte er eine so vollkommene hellenische Erziehung
erhalten, daſs er durch sie über das geschmacklose Hellenisiren
des gemeinen Schlags der Halbgebildeten hinaus gehoben ward;
dieser Römer imponirte durch seine ernste und treffende Würdi-
gung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen
und durch sein adliches Auftreten den Höfen des Ostens, ja so-
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/86>, abgerufen am 31.07.2024.
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