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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS.
und sollen; man hatte nicht bloss das seit alten Zeiten von Pri-
vaten occupirte Domanialland (I, 172) nicht eingezogen, sondern
auch weitere Occupationen neugewonnenen Landes gestattet;
dennoch hatte die Landanweisung segensreich gewirkt, indem
sie vielen der Nothleidenden Hülfe und allen Hoffnung gab.
Allein nach der Gründung von Luna (577) findet sich ausser der
vereinzelt stehenden Anlage der picenischen Colonie Auximum
(Osimo) im J. 597 von weiteren Landanweisungen auf lange
hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit der Besie-
gung der Boier und Apuaner ausser den wenig lockenden liguri-
schen Thälern neues Gebiet in Italien nicht gewonnen ward,
war daselbst kein anderes Land zu vertheilen als das occupirte
Domanialland, dessen Antastung der Aristokratie begreiflicher
Weise jetzt ebensowenig genehm war wie vor dreihundert Jah-
ren. Das ausserhalb Italien gewonnene Gebiet zur Vertheilung zu
bringen schien aber vollends unzulässig, wenn Italien wie bisher
das herrschende Land bleiben sollte. Wenn man nicht solche
höhere Rücksichten der fundamentalen Politik oder gar der
Standesinteressen bei Seite setzen wollte, blieb der Regierung
nichts übrig als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzuse-
hen; und also geschah es. Die Capitalisten fuhren fort die klei-
nen Besitzer auszukaufen, auch wohl wenn sie eigensinnig blie-
ben, deren Besitz ohne Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreif-
lich nicht immer gütlich abging. Eine besonders beliebte Weise
war es dem Bauer, während er im Felde stand, Weib und Kin-
der vom Hofe zu stossen und ihn mittelst der Theorie der voll-
endeten Thatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Guts-
besitzer fuhren fort statt der freien Arbeiter sich vorwiegend
der Sclaven zu bedienen, schon desshalb, weil diese nicht wie
jene zum Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch
das freie Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der
Sclavenschaft herabzudrücken. Sie fuhren fort durch das spott-
wohlfeile sicilische Sclavenkorn das italische von dem hauptstä-
dtischen Markt zu verdrängen und dasselbe auf der ganzen Halb-
insel zu entwerthen. In Etrurien hatte die alte einheimische Ari-
stokratie im Bunde mit den römischen Capitalisten schon im
J. 620 es so weit gebracht, dass es dort keinen freien Bauer
mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt
werden, dass die Thiere ihr Lager hätten, den Bürgern aber
nichts geblieben sei als Licht und Luft und dass die, welche die
Herren der Welt hiessen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten.
Den Commentar zu diesen Worten lieferten die Zählungslisten

DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS.
und sollen; man hatte nicht bloſs das seit alten Zeiten von Pri-
vaten occupirte Domanialland (I, 172) nicht eingezogen, sondern
auch weitere Occupationen neugewonnenen Landes gestattet;
dennoch hatte die Landanweisung segensreich gewirkt, indem
sie vielen der Nothleidenden Hülfe und allen Hoffnung gab.
Allein nach der Gründung von Luna (577) findet sich auſser der
vereinzelt stehenden Anlage der picenischen Colonie Auximum
(Osimo) im J. 597 von weiteren Landanweisungen auf lange
hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit der Besie-
gung der Boier und Apuaner auſser den wenig lockenden liguri-
schen Thälern neues Gebiet in Italien nicht gewonnen ward,
war daselbst kein anderes Land zu vertheilen als das occupirte
Domanialland, dessen Antastung der Aristokratie begreiflicher
Weise jetzt ebensowenig genehm war wie vor dreihundert Jah-
ren. Das auſserhalb Italien gewonnene Gebiet zur Vertheilung zu
bringen schien aber vollends unzulässig, wenn Italien wie bisher
das herrschende Land bleiben sollte. Wenn man nicht solche
höhere Rücksichten der fundamentalen Politik oder gar der
Standesinteressen bei Seite setzen wollte, blieb der Regierung
nichts übrig als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzuse-
hen; und also geschah es. Die Capitalisten fuhren fort die klei-
nen Besitzer auszukaufen, auch wohl wenn sie eigensinnig blie-
ben, deren Besitz ohne Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreif-
lich nicht immer gütlich abging. Eine besonders beliebte Weise
war es dem Bauer, während er im Felde stand, Weib und Kin-
der vom Hofe zu stoſsen und ihn mittelst der Theorie der voll-
endeten Thatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Guts-
besitzer fuhren fort statt der freien Arbeiter sich vorwiegend
der Sclaven zu bedienen, schon deſshalb, weil diese nicht wie
jene zum Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch
das freie Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der
Sclavenschaft herabzudrücken. Sie fuhren fort durch das spott-
wohlfeile sicilische Sclavenkorn das italische von dem hauptstä-
dtischen Markt zu verdrängen und dasselbe auf der ganzen Halb-
insel zu entwerthen. In Etrurien hatte die alte einheimische Ari-
stokratie im Bunde mit den römischen Capitalisten schon im
J. 620 es so weit gebracht, daſs es dort keinen freien Bauer
mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt
werden, daſs die Thiere ihr Lager hätten, den Bürgern aber
nichts geblieben sei als Licht und Luft und daſs die, welche die
Herren der Welt hieſsen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten.
Den Commentar zu diesen Worten lieferten die Zählungslisten

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[75/0085] DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS. und sollen; man hatte nicht bloſs das seit alten Zeiten von Pri- vaten occupirte Domanialland (I, 172) nicht eingezogen, sondern auch weitere Occupationen neugewonnenen Landes gestattet; dennoch hatte die Landanweisung segensreich gewirkt, indem sie vielen der Nothleidenden Hülfe und allen Hoffnung gab. Allein nach der Gründung von Luna (577) findet sich auſser der vereinzelt stehenden Anlage der picenischen Colonie Auximum (Osimo) im J. 597 von weiteren Landanweisungen auf lange hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit der Besie- gung der Boier und Apuaner auſser den wenig lockenden liguri- schen Thälern neues Gebiet in Italien nicht gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land zu vertheilen als das occupirte Domanialland, dessen Antastung der Aristokratie begreiflicher Weise jetzt ebensowenig genehm war wie vor dreihundert Jah- ren. Das auſserhalb Italien gewonnene Gebiet zur Vertheilung zu bringen schien aber vollends unzulässig, wenn Italien wie bisher das herrschende Land bleiben sollte. Wenn man nicht solche höhere Rücksichten der fundamentalen Politik oder gar der Standesinteressen bei Seite setzen wollte, blieb der Regierung nichts übrig als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzuse- hen; und also geschah es. Die Capitalisten fuhren fort die klei- nen Besitzer auszukaufen, auch wohl wenn sie eigensinnig blie- ben, deren Besitz ohne Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreif- lich nicht immer gütlich abging. Eine besonders beliebte Weise war es dem Bauer, während er im Felde stand, Weib und Kin- der vom Hofe zu stoſsen und ihn mittelst der Theorie der voll- endeten Thatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Guts- besitzer fuhren fort statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der Sclaven zu bedienen, schon deſshalb, weil diese nicht wie jene zum Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch das freie Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der Sclavenschaft herabzudrücken. Sie fuhren fort durch das spott- wohlfeile sicilische Sclavenkorn das italische von dem hauptstä- dtischen Markt zu verdrängen und dasselbe auf der ganzen Halb- insel zu entwerthen. In Etrurien hatte die alte einheimische Ari- stokratie im Bunde mit den römischen Capitalisten schon im J. 620 es so weit gebracht, daſs es dort keinen freien Bauer mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt werden, daſs die Thiere ihr Lager hätten, den Bürgern aber nichts geblieben sei als Licht und Luft und daſs die, welche die Herren der Welt hieſsen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den Commentar zu diesen Worten lieferten die Zählungslisten

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/85>, abgerufen am 21.11.2024.