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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS.
Insel und nicht bloss die wilden Hirten strömten von nah und
fern unter die seltsamen Fahnen -- auch die besitzlosen Freien,
die den Pflanzern alles Ueble gönnten, machten mit den empör-
ten Sclaven gemeinschaftliche Sache. In einer andern Gegend
Siciliens folgte ein kilikischer Sclave, Kleon, einst in seiner Hei-
math ein dreister Räuber, dem gegebenen Beispiel und besetzte
Akragas, und da die Häupter mit einander sich vertrugen, gelang
es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt den Praetor
Lucius Hypsaeus selbst mit seiner grösstentheils aus sicilischen Mi-
lizen bestehenden Armee gänzlich zu schlagen und sein Lager zu
erobern. Hiedurch kam fast die ganze Insel in die Gewalt der Auf-
ständischen, deren Zahl nach den mässigsten Angaben sich auf
70000 Waffenfähige belaufen haben soll; die Römer sahen sich
genöthigt drei Jahre nach einander (620-622) Consuln und
consularische Heere nach Sicilien abzusenden, bis nach manchen
unentschiedenen, ja zum Theil unglücklichen Gefechten endlich
mit der Einnahme von Tauromenion und von Enna der Aufstand
überwältigt ward. Vor der letzteren Stadt, in die sich die ent-
schlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte um sich
in dieser unbezwinglichen Stellung zu vertheidigen, wie sich
Männer vertheidigen, die an Rettung wie an Begnadigung ver-
zweifeln, lagerten die Consuln Lucius Calpurnius Piso und Pu-
blius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie endlich
mehr durch den Hunger als durch die Waffen*. -- So ward in
Italien und den Provinzen von dem römischen Senat und seinen
Beamten die Sicherheitspolizei gehandhabt. Wenn die Aufgabe
das Proletariat zu beseitigen die ganze Macht und Weisheit der
Regierung erfordert und nur zu oft übersteigt, so ist dagegen
die polizeiliche Niederhaltung desselben für jedes grössere Ge-
meinwesen verhältnissmässig leicht. Es stände wohl um die
Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere Ge-
fahr bereiteten als wie sie auch droht von Bären und Wöl-
fen; nur der Aengsterling und wer die alberne Angst der Menge
exploitirt prophezeiht aus Sclavenaufständen oder Proletariat-
insurrectionen den Untergang der bürgerlichen Ordnung. Aber
selbst dieser leichten Aufgabe ward von der römischen Regierung
trotz des tiefsten Friedens und der unerschöpflichen Hülfsquel-
len des Staats keineswegs genügt. Es war dies ein Zeichen ihrer

* Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da wo der Aufgang am
wenigsten jäh ist, nicht selten römische Schleuderkugeln mit dem Namen
des Consuls von 621: L. Piso L. f. cos.

DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS.
Insel und nicht bloſs die wilden Hirten strömten von nah und
fern unter die seltsamen Fahnen — auch die besitzlosen Freien,
die den Pflanzern alles Ueble gönnten, machten mit den empör-
ten Sclaven gemeinschaftliche Sache. In einer andern Gegend
Siciliens folgte ein kilikischer Sclave, Kleon, einst in seiner Hei-
math ein dreister Räuber, dem gegebenen Beispiel und besetzte
Akragas, und da die Häupter mit einander sich vertrugen, gelang
es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt den Praetor
Lucius Hypsaeus selbst mit seiner gröſstentheils aus sicilischen Mi-
lizen bestehenden Armee gänzlich zu schlagen und sein Lager zu
erobern. Hiedurch kam fast die ganze Insel in die Gewalt der Auf-
ständischen, deren Zahl nach den mäſsigsten Angaben sich auf
70000 Waffenfähige belaufen haben soll; die Römer sahen sich
genöthigt drei Jahre nach einander (620-622) Consuln und
consularische Heere nach Sicilien abzusenden, bis nach manchen
unentschiedenen, ja zum Theil unglücklichen Gefechten endlich
mit der Einnahme von Tauromenion und von Enna der Aufstand
überwältigt ward. Vor der letzteren Stadt, in die sich die ent-
schlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte um sich
in dieser unbezwinglichen Stellung zu vertheidigen, wie sich
Männer vertheidigen, die an Rettung wie an Begnadigung ver-
zweifeln, lagerten die Consuln Lucius Calpurnius Piso und Pu-
blius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie endlich
mehr durch den Hunger als durch die Waffen*. — So ward in
Italien und den Provinzen von dem römischen Senat und seinen
Beamten die Sicherheitspolizei gehandhabt. Wenn die Aufgabe
das Proletariat zu beseitigen die ganze Macht und Weisheit der
Regierung erfordert und nur zu oft übersteigt, so ist dagegen
die polizeiliche Niederhaltung desselben für jedes gröſsere Ge-
meinwesen verhältniſsmäſsig leicht. Es stände wohl um die
Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere Ge-
fahr bereiteten als wie sie auch droht von Bären und Wöl-
fen; nur der Aengsterling und wer die alberne Angst der Menge
exploitirt prophezeiht aus Sclavenaufständen oder Proletariat-
insurrectionen den Untergang der bürgerlichen Ordnung. Aber
selbst dieser leichten Aufgabe ward von der römischen Regierung
trotz des tiefsten Friedens und der unerschöpflichen Hülfsquel-
len des Staats keineswegs genügt. Es war dies ein Zeichen ihrer

* Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da wo der Aufgang am
wenigsten jäh ist, nicht selten römische Schleuderkugeln mit dem Namen
des Consuls von 621: L. Piso L. f. cos.
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[73/0083] DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS. Insel und nicht bloſs die wilden Hirten strömten von nah und fern unter die seltsamen Fahnen — auch die besitzlosen Freien, die den Pflanzern alles Ueble gönnten, machten mit den empör- ten Sclaven gemeinschaftliche Sache. In einer andern Gegend Siciliens folgte ein kilikischer Sclave, Kleon, einst in seiner Hei- math ein dreister Räuber, dem gegebenen Beispiel und besetzte Akragas, und da die Häupter mit einander sich vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt den Praetor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner gröſstentheils aus sicilischen Mi- lizen bestehenden Armee gänzlich zu schlagen und sein Lager zu erobern. Hiedurch kam fast die ganze Insel in die Gewalt der Auf- ständischen, deren Zahl nach den mäſsigsten Angaben sich auf 70000 Waffenfähige belaufen haben soll; die Römer sahen sich genöthigt drei Jahre nach einander (620-622) Consuln und consularische Heere nach Sicilien abzusenden, bis nach manchen unentschiedenen, ja zum Theil unglücklichen Gefechten endlich mit der Einnahme von Tauromenion und von Enna der Aufstand überwältigt ward. Vor der letzteren Stadt, in die sich die ent- schlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte um sich in dieser unbezwinglichen Stellung zu vertheidigen, wie sich Männer vertheidigen, die an Rettung wie an Begnadigung ver- zweifeln, lagerten die Consuln Lucius Calpurnius Piso und Pu- blius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie endlich mehr durch den Hunger als durch die Waffen *. — So ward in Italien und den Provinzen von dem römischen Senat und seinen Beamten die Sicherheitspolizei gehandhabt. Wenn die Aufgabe das Proletariat zu beseitigen die ganze Macht und Weisheit der Regierung erfordert und nur zu oft übersteigt, so ist dagegen die polizeiliche Niederhaltung desselben für jedes gröſsere Ge- meinwesen verhältniſsmäſsig leicht. Es stände wohl um die Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere Ge- fahr bereiteten als wie sie auch droht von Bären und Wöl- fen; nur der Aengsterling und wer die alberne Angst der Menge exploitirt prophezeiht aus Sclavenaufständen oder Proletariat- insurrectionen den Untergang der bürgerlichen Ordnung. Aber selbst dieser leichten Aufgabe ward von der römischen Regierung trotz des tiefsten Friedens und der unerschöpflichen Hülfsquel- len des Staats keineswegs genügt. Es war dies ein Zeichen ihrer * Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da wo der Aufgang am wenigsten jäh ist, nicht selten römische Schleuderkugeln mit dem Namen des Consuls von 621: L. Piso L. f. cos.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/83>, abgerufen am 24.11.2024.