Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS. meinschaftlichen häufig unterirdischen Arbeiterzwinger (ergastu-lum) zusammengesperrt wurden. Diese Plantagenwirthschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert (I, 314) und von dort zu den Römern gekommen; es scheint über Sicilien, wo die Kartha- ger nicht anders gewirthschaftet haben werden als in Libyen und wo die Plantagenwirthschaft früher und vollständiger als in ir- gend einem andern Gebiet der römischen Herrschaft durchgebil- det erscheint*. Die leontinische Feldmark von etwa 30000 Ju- gera urbaren Landes, die als römische Domäne von den Censoren verpachtet wurde, finden wir einige Decennien später getheilt un- ter nicht mehr als 84 Pächter, von denen also durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein einzi- ger Leontiner, die übrigen fremde, meistens römische Speculan- ten waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die römischen Speculanten hier in die Fussstapfen ihrer Vorgänger traten und welche grossartige Geschäfte mit sicilischem Vieh und sicilischem Sclavenkorn die römischen und nichtrömischen Speculanten ge- macht haben werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schöne Insel bedeckten. Dagegen blieb von dieser schlimm- sten Form der Sclavenwirthschaft Italien für jetzt noch wesent- lich verschont. Wenn gleich in Etrurien, wo diese Plantagen- wirthschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und sie wenigstens vierzig Jahre später in ausgedehntestem Umfange be- stand, höchst wahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht fehlte, so ward doch die italische Ackerwirthschaft in die- ser Zeit noch überwiegend durch freie Leute oder doch durch ungefesselte Knechte, daneben durch Accordirung grösserer Ar- beiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der Unterschied des italischen Sclavenwesens von dem sicilischen darin, dass bei dem sicilischen Sclavenaufstand 619-622 allein die Sclaven der nach italischer Weise lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht betheiligten. -- Das Meer von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich vor unsern Augen aufthut, mag ergründen wer den Blick in solche Tiefen wagt; es ist leicht möglich, dass damit verglichen die Summe al- ler Negerleiden ein Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den Nothstand der Sclavenschaft selbst an als auf die Gefahren, die sie über den römischen Staat brachte und auf das Verhalten der * Auch der halbgriechische Name des Arbeiterzwingers deutet auf die
Einführung dieser Wirthschaftsweise nach griechischem Muster in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit. DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS. meinschaftlichen häufig unterirdischen Arbeiterzwinger (ergastu-lum) zusammengesperrt wurden. Diese Plantagenwirthschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert (I, 314) und von dort zu den Römern gekommen; es scheint über Sicilien, wo die Kartha- ger nicht anders gewirthschaftet haben werden als in Libyen und wo die Plantagenwirthschaft früher und vollständiger als in ir- gend einem andern Gebiet der römischen Herrschaft durchgebil- det erscheint*. Die leontinische Feldmark von etwa 30000 Ju- gera urbaren Landes, die als römische Domäne von den Censoren verpachtet wurde, finden wir einige Decennien später getheilt un- ter nicht mehr als 84 Pächter, von denen also durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein einzi- ger Leontiner, die übrigen fremde, meistens römische Speculan- ten waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die römischen Speculanten hier in die Fuſsstapfen ihrer Vorgänger traten und welche groſsartige Geschäfte mit sicilischem Vieh und sicilischem Sclavenkorn die römischen und nichtrömischen Speculanten ge- macht haben werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schöne Insel bedeckten. Dagegen blieb von dieser schlimm- sten Form der Sclavenwirthschaft Italien für jetzt noch wesent- lich verschont. Wenn gleich in Etrurien, wo diese Plantagen- wirthschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und sie wenigstens vierzig Jahre später in ausgedehntestem Umfange be- stand, höchst wahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht fehlte, so ward doch die italische Ackerwirthschaft in die- ser Zeit noch überwiegend durch freie Leute oder doch durch ungefesselte Knechte, daneben durch Accordirung gröſserer Ar- beiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der Unterschied des italischen Sclavenwesens von dem sicilischen darin, daſs bei dem sicilischen Sclavenaufstand 619-622 allein die Sclaven der nach italischer Weise lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht betheiligten. — Das Meer von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich vor unsern Augen aufthut, mag ergründen wer den Blick in solche Tiefen wagt; es ist leicht möglich, daſs damit verglichen die Summe al- ler Negerleiden ein Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den Nothstand der Sclavenschaft selbst an als auf die Gefahren, die sie über den römischen Staat brachte und auf das Verhalten der * Auch der halbgriechische Name des Arbeiterzwingers deutet auf die
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DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS.
meinschaftlichen häufig unterirdischen Arbeiterzwinger (ergastu-
lum) zusammengesperrt wurden. Diese Plantagenwirthschaft war
aus dem Orient nach Karthago gewandert (I, 314) und von dort zu
den Römern gekommen; es scheint über Sicilien, wo die Kartha-
ger nicht anders gewirthschaftet haben werden als in Libyen und
wo die Plantagenwirthschaft früher und vollständiger als in ir-
gend einem andern Gebiet der römischen Herrschaft durchgebil-
det erscheint *. Die leontinische Feldmark von etwa 30000 Ju-
gera urbaren Landes, die als römische Domäne von den Censoren
verpachtet wurde, finden wir einige Decennien später getheilt un-
ter nicht mehr als 84 Pächter, von denen also durchschnittlich
auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein einzi-
ger Leontiner, die übrigen fremde, meistens römische Speculan-
ten waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die römischen
Speculanten hier in die Fuſsstapfen ihrer Vorgänger traten und
welche groſsartige Geschäfte mit sicilischem Vieh und sicilischem
Sclavenkorn die römischen und nichtrömischen Speculanten ge-
macht haben werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen
die schöne Insel bedeckten. Dagegen blieb von dieser schlimm-
sten Form der Sclavenwirthschaft Italien für jetzt noch wesent-
lich verschont. Wenn gleich in Etrurien, wo diese Plantagen-
wirthschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und sie
wenigstens vierzig Jahre später in ausgedehntestem Umfange be-
stand, höchst wahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern
nicht fehlte, so ward doch die italische Ackerwirthschaft in die-
ser Zeit noch überwiegend durch freie Leute oder doch durch
ungefesselte Knechte, daneben durch Accordirung gröſserer Ar-
beiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der
Unterschied des italischen Sclavenwesens von dem sicilischen
darin, daſs bei dem sicilischen Sclavenaufstand 619-622 allein
die Sclaven der nach italischer Weise lebenden mamertinischen
Gemeinde sich nicht betheiligten. — Das Meer von Jammer und
Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich vor unsern
Augen aufthut, mag ergründen wer den Blick in solche Tiefen
wagt; es ist leicht möglich, daſs damit verglichen die Summe al-
ler Negerleiden ein Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den
Nothstand der Sclavenschaft selbst an als auf die Gefahren, die
sie über den römischen Staat brachte und auf das Verhalten der
* Auch der halbgriechische Name des Arbeiterzwingers deutet auf die
Einführung dieser Wirthschaftsweise nach griechischem Muster in einer
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