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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS.
Weise, dass der freie Mann der Schulden wegen Sclave ward,
sondern von Haus aus mit rechtmässig gekauften und bezahlten
Sclaven; der ehemalige hauptstädtische Zinsherr trat auf in zeit-
gemässer Gestalt als industrieller Plantagenbesitzer. Allein das
letzte Ergebniss war in beiden Fällen das gleiche: die Entwer-
thung der italischen Bauernstellen, die Verdrängung der Klein-
wirthschaft zuerst in einem Theil der Provinzen, sodann in Ita-
lien durch die Gutswirthschaft; die vorwiegende Richtung auch
dieser in Italien auf Viehzucht und auf Oel- und Weinbau;
schliesslich die Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen
wie in Italien durch Sclaven. Eben wie die Nobilität desshalb
gefährlicher war als das Patriciat, weil jene nicht wie dieses
durch eine Verfassungsänderung sich beseitigen liess: so war
auch diese neue Capitalmacht darum gefährlicher als die des
vierten und fünften Jahrhunderts, weil mit Aenderungen des
Landrechts hiegegen schlechterdings nichts auszurichten war.

Ehe wir es versuchen den Verlauf dieses zweiten grossen
Conflicts von Arbeit und Capital zu schildern, wird es nothwen-
dig über das Wesen und den Umfang der Sclavenwirthschaft hier
einige Andeutungen einzuschalten. Wir haben es hier nicht zu
thun mit der alten gewissermassen unschuldigen Feldsclaverei,
wonach der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte ackert
oder auch, wenn er mehr Land besitzt als er bewirthschaften
kann, denselben, unter Verpflichtung zur Rechnungslegung oder
auch zur Ablieferung eines Theils vom Ertrag, über einen abge-
theilten Meierhof setzt (I, 124); solche Verhältnisse bestanden
zwar zu allen Zeiten -- um Comum zum Beispiel waren sie noch
in der Kaiserzeit die Regel --, allein als Ausnahmszustände be-
vorzugter Landschaften und milde verwalteter Güter. Hier ist
die Grosswirthschaft mit Sclaven gemeint, welche im römischen
Staat wie einst im karthagischen aus der Uebermacht des Capitals
sich entwickelte. Während für den Sclavenbestand der älteren Zeit
die Kriegsgefangenschaft und die Erblichkeit der Knechtschaft aus-
reichte, beruht diese Sclavenwirthschaft völlig wie die amerikani-
sche auf systematisch betriebener Menschenjagd, da ohne diese
bei der auf Leben und Fortpflanzung der Sclaven wenig Rück-
sicht nehmenden Weise der Exploitirung ein beständiges Deficit
in der Sclavenbevölkerung eingetreten sein würde, welches selbst
die stets neue Massen auf den Sclavenmarkt liefernden Kriege zu
decken nicht ausreichten. Kein Land, wo dieses jagdbare Wild
sich vorfand, blieb hievon verschont; selbst in Italien war es kei-
neswegs unerhört, dass der arme Freie von seinem Brotherrn

DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS.
Weise, daſs der freie Mann der Schulden wegen Sclave ward,
sondern von Haus aus mit rechtmäſsig gekauften und bezahlten
Sclaven; der ehemalige hauptstädtische Zinsherr trat auf in zeit-
gemäſser Gestalt als industrieller Plantagenbesitzer. Allein das
letzte Ergebniſs war in beiden Fällen das gleiche: die Entwer-
thung der italischen Bauernstellen, die Verdrängung der Klein-
wirthschaft zuerst in einem Theil der Provinzen, sodann in Ita-
lien durch die Gutswirthschaft; die vorwiegende Richtung auch
dieser in Italien auf Viehzucht und auf Oel- und Weinbau;
schlieſslich die Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen
wie in Italien durch Sclaven. Eben wie die Nobilität deſshalb
gefährlicher war als das Patriciat, weil jene nicht wie dieses
durch eine Verfassungsänderung sich beseitigen lieſs: so war
auch diese neue Capitalmacht darum gefährlicher als die des
vierten und fünften Jahrhunderts, weil mit Aenderungen des
Landrechts hiegegen schlechterdings nichts auszurichten war.

Ehe wir es versuchen den Verlauf dieses zweiten groſsen
Conflicts von Arbeit und Capital zu schildern, wird es nothwen-
dig über das Wesen und den Umfang der Sclavenwirthschaft hier
einige Andeutungen einzuschalten. Wir haben es hier nicht zu
thun mit der alten gewissermaſsen unschuldigen Feldsclaverei,
wonach der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte ackert
oder auch, wenn er mehr Land besitzt als er bewirthschaften
kann, denselben, unter Verpflichtung zur Rechnungslegung oder
auch zur Ablieferung eines Theils vom Ertrag, über einen abge-
theilten Meierhof setzt (I, 124); solche Verhältnisse bestanden
zwar zu allen Zeiten — um Comum zum Beispiel waren sie noch
in der Kaiserzeit die Regel —, allein als Ausnahmszustände be-
vorzugter Landschaften und milde verwalteter Güter. Hier ist
die Groſswirthschaft mit Sclaven gemeint, welche im römischen
Staat wie einst im karthagischen aus der Uebermacht des Capitals
sich entwickelte. Während für den Sclavenbestand der älteren Zeit
die Kriegsgefangenschaft und die Erblichkeit der Knechtschaft aus-
reichte, beruht diese Sclavenwirthschaft völlig wie die amerikani-
sche auf systematisch betriebener Menschenjagd, da ohne diese
bei der auf Leben und Fortpflanzung der Sclaven wenig Rück-
sicht nehmenden Weise der Exploitirung ein beständiges Deficit
in der Sclavenbevölkerung eingetreten sein würde, welches selbst
die stets neue Massen auf den Sclavenmarkt liefernden Kriege zu
decken nicht ausreichten. Kein Land, wo dieses jagdbare Wild
sich vorfand, blieb hievon verschont; selbst in Italien war es kei-
neswegs unerhört, daſs der arme Freie von seinem Brotherrn

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[69/0079] DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS. Weise, daſs der freie Mann der Schulden wegen Sclave ward, sondern von Haus aus mit rechtmäſsig gekauften und bezahlten Sclaven; der ehemalige hauptstädtische Zinsherr trat auf in zeit- gemäſser Gestalt als industrieller Plantagenbesitzer. Allein das letzte Ergebniſs war in beiden Fällen das gleiche: die Entwer- thung der italischen Bauernstellen, die Verdrängung der Klein- wirthschaft zuerst in einem Theil der Provinzen, sodann in Ita- lien durch die Gutswirthschaft; die vorwiegende Richtung auch dieser in Italien auf Viehzucht und auf Oel- und Weinbau; schlieſslich die Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in Italien durch Sclaven. Eben wie die Nobilität deſshalb gefährlicher war als das Patriciat, weil jene nicht wie dieses durch eine Verfassungsänderung sich beseitigen lieſs: so war auch diese neue Capitalmacht darum gefährlicher als die des vierten und fünften Jahrhunderts, weil mit Aenderungen des Landrechts hiegegen schlechterdings nichts auszurichten war. Ehe wir es versuchen den Verlauf dieses zweiten groſsen Conflicts von Arbeit und Capital zu schildern, wird es nothwen- dig über das Wesen und den Umfang der Sclavenwirthschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. Wir haben es hier nicht zu thun mit der alten gewissermaſsen unschuldigen Feldsclaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt als er bewirthschaften kann, denselben, unter Verpflichtung zur Rechnungslegung oder auch zur Ablieferung eines Theils vom Ertrag, über einen abge- theilten Meierhof setzt (I, 124); solche Verhältnisse bestanden zwar zu allen Zeiten — um Comum zum Beispiel waren sie noch in der Kaiserzeit die Regel —, allein als Ausnahmszustände be- vorzugter Landschaften und milde verwalteter Güter. Hier ist die Groſswirthschaft mit Sclaven gemeint, welche im römischen Staat wie einst im karthagischen aus der Uebermacht des Capitals sich entwickelte. Während für den Sclavenbestand der älteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und die Erblichkeit der Knechtschaft aus- reichte, beruht diese Sclavenwirthschaft völlig wie die amerikani- sche auf systematisch betriebener Menschenjagd, da ohne diese bei der auf Leben und Fortpflanzung der Sclaven wenig Rück- sicht nehmenden Weise der Exploitirung ein beständiges Deficit in der Sclavenbevölkerung eingetreten sein würde, welches selbst die stets neue Massen auf den Sclavenmarkt liefernden Kriege zu decken nicht ausreichten. Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hievon verschont; selbst in Italien war es kei- neswegs unerhört, daſs der arme Freie von seinem Brotherrn

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/79>, abgerufen am 21.11.2024.