Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL XIII. mit diesem Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, dass grie-chische Tänze und musikalische Aufführungen die stehende Be- gleitung einer vornehmen Tafel wurden: neu war eine Tanz- schule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner Reden sie voll Un- willen schildert, in der über fünfhundert Knaben und Mädchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Männern in Amt und Wür- den durch einander, von einem Balletmeister Anweisung erhiel- ten in wenig ehrbaren Castagnettentänzen, in entsprechenden Gesängen und in dem Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Man schritt dagegen von oben herab ein: im J. 639 wurden alle musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen einfachen Flöte von den Censoren untersagt. Aber Rom war kein Sparta; das schlaffe Regiment signalisirte mehr die Uebelstände durch solche Verbote als dass es ihnen durch scharfe und folgerichtige Anwendung derselben abzuhelfen auch nur versucht hätte. Werfen wir schliesslich einen Blick zurück auf das Ge- VIERTES BUCH. KAPITEL XIII. mit diesem Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, daſs grie-chische Tänze und musikalische Aufführungen die stehende Be- gleitung einer vornehmen Tafel wurden: neu war eine Tanz- schule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner Reden sie voll Un- willen schildert, in der über fünfhundert Knaben und Mädchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Männern in Amt und Wür- den durch einander, von einem Balletmeister Anweisung erhiel- ten in wenig ehrbaren Castagnettentänzen, in entsprechenden Gesängen und in dem Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Man schritt dagegen von oben herab ein: im J. 639 wurden alle musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen einfachen Flöte von den Censoren untersagt. Aber Rom war kein Sparta; das schlaffe Regiment signalisirte mehr die Uebelstände durch solche Verbote als daſs es ihnen durch scharfe und folgerichtige Anwendung derselben abzuhelfen auch nur versucht hätte. Werfen wir schlieſslich einen Blick zurück auf das Ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0448" n="438"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.</fw><lb/> mit diesem Gewerbe sich abgegeben. 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Was gedeiht, sind die untergeordneten Arten, die<lb/> Uebersetzung und die Nachdichtung des Intriguenstücks, die<lb/> Posse, die poetische und prosaische Broschüre; in diesen beiden<lb/> von der vollen Windsbraut der Revolution durchrasten Gebieten<lb/> der Litteratur begegnen wir den beiden gröſsten litterarischen<lb/> Talenten dieser Epoche, dem Gaius Gracchus und dem Gaius<lb/> Lucilius, die beide über eine Menge mehr oder minder mittel-<lb/> mäſsiger Schriftsteller emporragen, wie in einer ähnlichen Epoche<lb/> der französischen Litteratur über eine Unzahl anspruchsvoller<lb/> Nullitäten Courier und Beranger. Ebenso ist in den bildenden<lb/> und zeichnenden Künsten die immer schwache Productivität jetzt<lb/> völlig null. Dagegen gedeiht der receptive Kunst- und Litteratur-<lb/> genuſs; wie die Epigonen dieser Zeit auf dem politischen Gebiet<lb/> die ihren Vätern angefallene Erbschaft einziehen und ausnutzen,<lb/> so finden wir sie auch hier als fleiſsige Schauspielbesucher, als<lb/> Litteraturfreunde, als Kunstkenner und mehr noch als Sammler.<lb/> Die achtungswertheste Seite dieser Thätigkeit ist die gelehrte<lb/> Forschung, die vor allem in der Rechtswissenschaft und in der<lb/> Sprach- und Sachphilologie eine eigene geistige Anstrengung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [438/0448]
VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.
mit diesem Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, daſs grie-
chische Tänze und musikalische Aufführungen die stehende Be-
gleitung einer vornehmen Tafel wurden: neu war eine Tanz-
schule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner Reden sie voll Un-
willen schildert, in der über fünfhundert Knaben und Mädchen,
die Hefe des Volkes und Kinder von Männern in Amt und Wür-
den durch einander, von einem Balletmeister Anweisung erhiel-
ten in wenig ehrbaren Castagnettentänzen, in entsprechenden
Gesängen und in dem Gebrauch der verrufenen griechischen
Saiteninstrumente. Man schritt dagegen von oben herab ein: im
J. 639 wurden alle musikalischen Instrumente mit Ausnahme
der in Latium einheimischen einfachen Flöte von den Censoren
untersagt. Aber Rom war kein Sparta; das schlaffe Regiment
signalisirte mehr die Uebelstände durch solche Verbote als daſs
es ihnen durch scharfe und folgerichtige Anwendung derselben
abzuhelfen auch nur versucht hätte.
Werfen wir schlieſslich einen Blick zurück auf das Ge-
sammtbild, das die Litteratur und die Kunst Italiens von dem
Tode des Ennius bis auf den Anfang der ciceronischen Zeit vor
uns entfaltet, so begegnen wir auch hier in Vergleich mit der
vorher gehenden Epoche dem entschiedensten Sinken der Pro-
ductivität. Die höheren Gattungen der Litteratur sind abgestor-
ben oder im Verkümmern, so das Epos, das Trauerspiel, die
Geschichte. Was gedeiht, sind die untergeordneten Arten, die
Uebersetzung und die Nachdichtung des Intriguenstücks, die
Posse, die poetische und prosaische Broschüre; in diesen beiden
von der vollen Windsbraut der Revolution durchrasten Gebieten
der Litteratur begegnen wir den beiden gröſsten litterarischen
Talenten dieser Epoche, dem Gaius Gracchus und dem Gaius
Lucilius, die beide über eine Menge mehr oder minder mittel-
mäſsiger Schriftsteller emporragen, wie in einer ähnlichen Epoche
der französischen Litteratur über eine Unzahl anspruchsvoller
Nullitäten Courier und Beranger. Ebenso ist in den bildenden
und zeichnenden Künsten die immer schwache Productivität jetzt
völlig null. Dagegen gedeiht der receptive Kunst- und Litteratur-
genuſs; wie die Epigonen dieser Zeit auf dem politischen Gebiet
die ihren Vätern angefallene Erbschaft einziehen und ausnutzen,
so finden wir sie auch hier als fleiſsige Schauspielbesucher, als
Litteraturfreunde, als Kunstkenner und mehr noch als Sammler.
Die achtungswertheste Seite dieser Thätigkeit ist die gelehrte
Forschung, die vor allem in der Rechtswissenschaft und in der
Sprach- und Sachphilologie eine eigene geistige Anstrengung
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