Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL XIII. Studien seiner Nation bestimmt, indem er seine zugleich sprach-liche und sachliche Forschung auf seinen Schüler Varro vererbte. -- Mehr untergeordneter Art war begreiflicher Weise die littera- rische Thätigkeit auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts zu thun als Hand- und Uebungsbücher nach dem Muster der griechischen Compendien des Hermagoras und Anderer zu schreiben, woran es denn freilich die Schulmeister theils um des Bedürfnisses, theils um der Eitelkeit und des Geldes willen nicht fehlen liessen. Von einem unbekannten Ver- fasser, der nach der damaligen Weise (S. 408) zugleich latei- nische Litteratur und lateinische Rhetorik lehrte und über beide schrieb, ist uns ein solches unter Sullas Dictatur abgefasstes Handbuch der Redekunst erhalten; eine nicht bloss durch die knappe, klare und sichere Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die verhältnissmässige Selbstständigkeit den griechi- schen Mustern gegenüber bemerkenswerthe Lehrschrift. Obwohl in der Methode gänzlich abhängig von den Griechen, weist der Römer doch bestimmt und sogar schroff alles das ab, ,was die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig damit die Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine'. Der bit- terste Tadel trifft die haarspaltende Dialektik, diese ,geschwätzige Wissenschaft der Redeunkunst', deren vollendeter Meister vor lauter Angst sich zweideutig auszudrücken zuletzt nicht mehr seinen eigenen Namen auszusprechen wagt. Die griechische Schul- terminologie wird durchgängig und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der Verfasser vor der Viellehrerei und schärft die goldene Regel ein, dass der Schüler von dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei sich selber zu helfen; ebenso ernstlich erkennt er es an, dass die Schule Neben-, das Leben die Hauptsache ist und giebt in seinen durchaus selbstständig gewählten Beispielen den Wiederhall derjenigen Sachwalterreden, die während der letzten Decennien in der römischen Advocatenwelt Aufsehen ge- macht hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, dass die Opposition gegen die Auswüchse des Hellenismus, die früher gegen das Auf- kommen einer eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte (S. 408), nach deren Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der römischen Beredsamkeit theoretisch und praktisch im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen eine höhere Würde und eine grössere Brauchbarkeit sichert. -- Die Philoso- phie endlich ist in der Litteratur noch nicht vertreten, da weder sich aus innerem Bedürfniss eine nationalrömische Philo- sophie entwickelte noch äussere Umstände eine lateinische phi- VIERTES BUCH. KAPITEL XIII. Studien seiner Nation bestimmt, indem er seine zugleich sprach-liche und sachliche Forschung auf seinen Schüler Varro vererbte. — Mehr untergeordneter Art war begreiflicher Weise die littera- rische Thätigkeit auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts zu thun als Hand- und Uebungsbücher nach dem Muster der griechischen Compendien des Hermagoras und Anderer zu schreiben, woran es denn freilich die Schulmeister theils um des Bedürfnisses, theils um der Eitelkeit und des Geldes willen nicht fehlen lieſsen. Von einem unbekannten Ver- fasser, der nach der damaligen Weise (S. 408) zugleich latei- nische Litteratur und lateinische Rhetorik lehrte und über beide schrieb, ist uns ein solches unter Sullas Dictatur abgefaſstes Handbuch der Redekunst erhalten; eine nicht bloſs durch die knappe, klare und sichere Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die verhältniſsmäſsige Selbstständigkeit den griechi- schen Mustern gegenüber bemerkenswerthe Lehrschrift. Obwohl in der Methode gänzlich abhängig von den Griechen, weist der Römer doch bestimmt und sogar schroff alles das ab, ‚was die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig damit die Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine‘. Der bit- terste Tadel trifft die haarspaltende Dialektik, diese ‚geschwätzige Wissenschaft der Redeunkunst‘, deren vollendeter Meister vor lauter Angst sich zweideutig auszudrücken zuletzt nicht mehr seinen eigenen Namen auszusprechen wagt. Die griechische Schul- terminologie wird durchgängig und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der Verfasser vor der Viellehrerei und schärft die goldene Regel ein, daſs der Schüler von dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei sich selber zu helfen; ebenso ernstlich erkennt er es an, daſs die Schule Neben-, das Leben die Hauptsache ist und giebt in seinen durchaus selbstständig gewählten Beispielen den Wiederhall derjenigen Sachwalterreden, die während der letzten Decennien in der römischen Advocatenwelt Aufsehen ge- macht hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, daſs die Opposition gegen die Auswüchse des Hellenismus, die früher gegen das Auf- kommen einer eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte (S. 408), nach deren Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der römischen Beredsamkeit theoretisch und praktisch im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen eine höhere Würde und eine gröſsere Brauchbarkeit sichert. — Die Philoso- phie endlich ist in der Litteratur noch nicht vertreten, da weder sich aus innerem Bedürfniſs eine nationalrömische Philo- sophie entwickelte noch äuſsere Umstände eine lateinische phi- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0444" n="434"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. 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VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.
Studien seiner Nation bestimmt, indem er seine zugleich sprach-
liche und sachliche Forschung auf seinen Schüler Varro vererbte.
— Mehr untergeordneter Art war begreiflicher Weise die littera-
rische Thätigkeit auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es
gab hier nichts zu thun als Hand- und Uebungsbücher nach
dem Muster der griechischen Compendien des Hermagoras und
Anderer zu schreiben, woran es denn freilich die Schulmeister
theils um des Bedürfnisses, theils um der Eitelkeit und des
Geldes willen nicht fehlen lieſsen. Von einem unbekannten Ver-
fasser, der nach der damaligen Weise (S. 408) zugleich latei-
nische Litteratur und lateinische Rhetorik lehrte und über beide
schrieb, ist uns ein solches unter Sullas Dictatur abgefaſstes
Handbuch der Redekunst erhalten; eine nicht bloſs durch die
knappe, klare und sichere Behandlung des Stoffes, sondern vor
allem durch die verhältniſsmäſsige Selbstständigkeit den griechi-
schen Mustern gegenüber bemerkenswerthe Lehrschrift. Obwohl
in der Methode gänzlich abhängig von den Griechen, weist der
Römer doch bestimmt und sogar schroff alles das ab, ‚was die
Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig
damit die Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine‘. Der bit-
terste Tadel trifft die haarspaltende Dialektik, diese ‚geschwätzige
Wissenschaft der Redeunkunst‘, deren vollendeter Meister vor
lauter Angst sich zweideutig auszudrücken zuletzt nicht mehr
seinen eigenen Namen auszusprechen wagt. Die griechische Schul-
terminologie wird durchgängig und absichtlich vermieden. Sehr
ernstlich warnt der Verfasser vor der Viellehrerei und schärft die
goldene Regel ein, daſs der Schüler von dem Lehrer vor allem
dazu anzuleiten sei sich selber zu helfen; ebenso ernstlich erkennt
er es an, daſs die Schule Neben-, das Leben die Hauptsache ist
und giebt in seinen durchaus selbstständig gewählten Beispielen
den Wiederhall derjenigen Sachwalterreden, die während der
letzten Decennien in der römischen Advocatenwelt Aufsehen ge-
macht hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, daſs die Opposition
gegen die Auswüchse des Hellenismus, die früher gegen das Auf-
kommen einer eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte
(S. 408), nach deren Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt
und damit der römischen Beredsamkeit theoretisch und praktisch
im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen eine höhere
Würde und eine gröſsere Brauchbarkeit sichert. — Die Philoso-
phie endlich ist in der Litteratur noch nicht vertreten, da
weder sich aus innerem Bedürfniſs eine nationalrömische Philo-
sophie entwickelte noch äuſsere Umstände eine lateinische phi-
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