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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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LITTERATUR UND KUNST.
cismus und eine gewandte Kunstdichtung -- litterarische An-
spielungen begegnen nicht selten -- sind ihm eigen wie dem
Terenz; auch die sittliche Tendenz, die seine Stücke dem Schau-
spiel näherte, hat er mit diesem gemein. Als Geistesverwandten
des Menandros und des Terenz charakterisiren ihn hinreichend
das Urtheil der Späteren, dass er die Toga trage wie Menandros
sie als Italiker getragen haben würde, und seine eigene Aeusse-
rung, dass ihm Terenz über alle anderen Dichter gehe.

Endlich trat in dieser Epoche auch die Posse ein in das
Gebiet der lateinischen Litteratur. Sie selbst war uralt (I, 148);
wohl lange bevor Rom stand, hatten in Latium lustige Gesellen
bei festlichen Gelegenheiten die ein für allemal feststehenden Cha-
raktermasken improvisirt. Einen festen localen Hintergrund er-
hielten diese Spässe an dem lateinischen Schildburg, wozu man
die im hannibalischen Kriege zerstörte und damit der Komik
preisgegebene ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem
ward für diese Aufführungen der Name der ,oskischen Spiele'
oder ,Spiele von Atella' üblich*. Aber mit der Bühne** und mit

* Es knüpfen sich an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irr-
thümern. Die arge Verkehrtheit griechischer Berichterstatter, dass diese
Possen in Rom in oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht
jetzt allgemein verworfen; allein die ganze Beziehung dieser in der Mitte
des latinischen Stadt- und Landlebens stehenden Stücke zu dem national
oskischen Wesen stellt bei genauer Betrachtung sich als unmöglich heraus.
Die Benennung erklärt sich auf eine andere Weise. Die latinische Posse
mit ihren festen Rollen und stehenden Spässen bedurfte einer festen Scene-
rie; die Narrenwelt sucht überall sich ein Schildburg. Natürlich konnte bei
der römischen Bühnenpolizei keine der römischen oder mit Rom verbün-
deten latinischen Gemeinden dazu genommen werden. Atella aber, das mit
Capua zugleich im J. 543 rechtlich vernichtet ward (I, 462. 480), thatsäch-
lich aber als ein von römischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete
sich dazu in jeder Beziehung. Zur Gewissheit wird diese Vermuthung durch
die Wahrnehmung, dass einzelne dieser Possen auch in andern nicht mehr
oder nicht mehr rechtlich existirenden Gemeinden des lateinisch redenden
Gebiets spielen: so des Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi
und seine Quinquatria in Capua, des Novius milites Pometinenses in Suessa
Pometia, während keine bestehende Gemeinde ähnlich gemisshandelt wird.
Die wirkliche Heimath dieser Stücke ist also Latium, ihr poetischer Schau-
platz die latinisirte Oskerlandschaft; mit der oskischen Nation haben sie
nichts zu thun. -- Dass ein Stück des Naevius (+ 550) in Ermangelung
eigentlicher Schauspieler von ,Atellanenspielern' aufgeführt ward und dess-
halb personata hiess (Festus u. d. W.), beweist hiegegen in keinem Fall;
die Benennung ,Atellanenspieler' wird hier proleptisch stehen und man
könnte sogar danach vermuthen, dass sie früher ,Maskenspieler' (personati)
hiessen.
** Die enge und ursprüngliche Verbindung, in der die Atellanenposse
27*

LITTERATUR UND KUNST.
cismus und eine gewandte Kunstdichtung — litterarische An-
spielungen begegnen nicht selten — sind ihm eigen wie dem
Terenz; auch die sittliche Tendenz, die seine Stücke dem Schau-
spiel näherte, hat er mit diesem gemein. Als Geistesverwandten
des Menandros und des Terenz charakterisiren ihn hinreichend
das Urtheil der Späteren, daſs er die Toga trage wie Menandros
sie als Italiker getragen haben würde, und seine eigene Aeuſse-
rung, daſs ihm Terenz über alle anderen Dichter gehe.

Endlich trat in dieser Epoche auch die Posse ein in das
Gebiet der lateinischen Litteratur. Sie selbst war uralt (I, 148);
wohl lange bevor Rom stand, hatten in Latium lustige Gesellen
bei festlichen Gelegenheiten die ein für allemal feststehenden Cha-
raktermasken improvisirt. Einen festen localen Hintergrund er-
hielten diese Späſse an dem lateinischen Schildburg, wozu man
die im hannibalischen Kriege zerstörte und damit der Komik
preisgegebene ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem
ward für diese Aufführungen der Name der ‚oskischen Spiele‘
oder ‚Spiele von Atella‘ üblich*. Aber mit der Bühne** und mit

* Es knüpfen sich an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irr-
thümern. Die arge Verkehrtheit griechischer Berichterstatter, daſs diese
Possen in Rom in oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht
jetzt allgemein verworfen; allein die ganze Beziehung dieser in der Mitte
des latinischen Stadt- und Landlebens stehenden Stücke zu dem national
oskischen Wesen stellt bei genauer Betrachtung sich als unmöglich heraus.
Die Benennung erklärt sich auf eine andere Weise. Die latinische Posse
mit ihren festen Rollen und stehenden Späſsen bedurfte einer festen Scene-
rie; die Narrenwelt sucht überall sich ein Schildburg. Natürlich konnte bei
der römischen Bühnenpolizei keine der römischen oder mit Rom verbün-
deten latinischen Gemeinden dazu genommen werden. Atella aber, das mit
Capua zugleich im J. 543 rechtlich vernichtet ward (I, 462. 480), thatsäch-
lich aber als ein von römischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete
sich dazu in jeder Beziehung. Zur Gewiſsheit wird diese Vermuthung durch
die Wahrnehmung, daſs einzelne dieser Possen auch in andern nicht mehr
oder nicht mehr rechtlich existirenden Gemeinden des lateinisch redenden
Gebiets spielen: so des Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi
und seine Quinquatria in Capua, des Novius milites Pometinenses in Suessa
Pometia, während keine bestehende Gemeinde ähnlich gemiſshandelt wird.
Die wirkliche Heimath dieser Stücke ist also Latium, ihr poetischer Schau-
platz die latinisirte Oskerlandschaft; mit der oskischen Nation haben sie
nichts zu thun. — Daſs ein Stück des Naevius († 550) in Ermangelung
eigentlicher Schauspieler von ‚Atellanenspielern‘ aufgeführt ward und deſs-
halb personata hieſs (Festus u. d. W.), beweist hiegegen in keinem Fall;
die Benennung ‚Atellanenspieler‘ wird hier proleptisch stehen und man
könnte sogar danach vermuthen, daſs sie früher ‚Maskenspieler‘ (personati)
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** Die enge und ursprüngliche Verbindung, in der die Atellanenposse
27*
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[419/0429] LITTERATUR UND KUNST. cismus und eine gewandte Kunstdichtung — litterarische An- spielungen begegnen nicht selten — sind ihm eigen wie dem Terenz; auch die sittliche Tendenz, die seine Stücke dem Schau- spiel näherte, hat er mit diesem gemein. Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisiren ihn hinreichend das Urtheil der Späteren, daſs er die Toga trage wie Menandros sie als Italiker getragen haben würde, und seine eigene Aeuſse- rung, daſs ihm Terenz über alle anderen Dichter gehe. Endlich trat in dieser Epoche auch die Posse ein in das Gebiet der lateinischen Litteratur. Sie selbst war uralt (I, 148); wohl lange bevor Rom stand, hatten in Latium lustige Gesellen bei festlichen Gelegenheiten die ein für allemal feststehenden Cha- raktermasken improvisirt. Einen festen localen Hintergrund er- hielten diese Späſse an dem lateinischen Schildburg, wozu man die im hannibalischen Kriege zerstörte und damit der Komik preisgegebene ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward für diese Aufführungen der Name der ‚oskischen Spiele‘ oder ‚Spiele von Atella‘ üblich *. Aber mit der Bühne ** und mit * Es knüpfen sich an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irr- thümern. Die arge Verkehrtheit griechischer Berichterstatter, daſs diese Possen in Rom in oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht jetzt allgemein verworfen; allein die ganze Beziehung dieser in der Mitte des latinischen Stadt- und Landlebens stehenden Stücke zu dem national oskischen Wesen stellt bei genauer Betrachtung sich als unmöglich heraus. Die Benennung erklärt sich auf eine andere Weise. Die latinische Posse mit ihren festen Rollen und stehenden Späſsen bedurfte einer festen Scene- rie; die Narrenwelt sucht überall sich ein Schildburg. Natürlich konnte bei der römischen Bühnenpolizei keine der römischen oder mit Rom verbün- deten latinischen Gemeinden dazu genommen werden. Atella aber, das mit Capua zugleich im J. 543 rechtlich vernichtet ward (I, 462. 480), thatsäch- lich aber als ein von römischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder Beziehung. Zur Gewiſsheit wird diese Vermuthung durch die Wahrnehmung, daſs einzelne dieser Possen auch in andern nicht mehr oder nicht mehr rechtlich existirenden Gemeinden des lateinisch redenden Gebiets spielen: so des Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi und seine Quinquatria in Capua, des Novius milites Pometinenses in Suessa Pometia, während keine bestehende Gemeinde ähnlich gemiſshandelt wird. Die wirkliche Heimath dieser Stücke ist also Latium, ihr poetischer Schau- platz die latinisirte Oskerlandschaft; mit der oskischen Nation haben sie nichts zu thun. — Daſs ein Stück des Naevius († 550) in Ermangelung eigentlicher Schauspieler von ‚Atellanenspielern‘ aufgeführt ward und deſs- halb personata hieſs (Festus u. d. W.), beweist hiegegen in keinem Fall; die Benennung ‚Atellanenspieler‘ wird hier proleptisch stehen und man könnte sogar danach vermuthen, daſs sie früher ‚Maskenspieler‘ (personati) hieſsen. ** Die enge und ursprüngliche Verbindung, in der die Atellanenposse 27*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/429>, abgerufen am 24.11.2024.