Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL XII. ches las, auch wohl Entwürfe zu Reden mit den Verfassern durch-ging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. Dies war ein Unterricht; aber ein gewerbmässiger Schulmeister war Stilo nicht, sondern er lehrte Litteratur und Redekunst, wie in Rom die Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein älterer Freund der aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener jedem zu Gebote stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmässige höhere Unterricht im Lateinischen, den bezahlte Lehrmeister, in der Regel freigelassene Sclaven, in besonderen Anstalten ertheilten und der bald sich schied in einen zwiefachen Cursus, indem erstlich die lateinische Litteratur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-, Staats- und Gerichtsreden kunst- mässige Anleitung gegeben ward. Die erste römische Litteratur- schule eröffnete um Stilos Zeit Marcus Postumius Saevius Nika- nor, die erste besondere Schule für lateinische Rhetorik um 660 Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den Litte- raturschulen Anleitung zu lateinischer Redekunst gegeben. Dieser neue lateinische Schulmeisterunterricht war von der tiefgreifend- sten Bedeutung. Die Anleitung zur Kunde lateinischer Litteratur und lateinischer Rede, wie sie bisher von hochgestellten Kennern und Meistern ertheilt worden war, hatte den Griechen gegenüber eine gewisse Selbstständigkeit sich bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister der Rede standen wohl unter dem Ein- fluss des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der grie- chischen Schulgrammatik und Schulrhetorik. Namentlich die letz- tere wurde entschieden perhorrescirt. Der Stolz wie der gesunde Menschenverstand der Römer empörte sich gegen die griechische Behauptung, dass die Fähigkeit über Dinge, die der Redner ver- stand und empfand, verständig und anregend in der Muttersprache zu seines Gleichen zu reden in der Schule nach Schulregeln gelernt werden könne. Dem tüchtigen praktischen Advocaten musste das gänzlich dem Leben entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren für den Anfänger schlimmer als gar keine Vorbereitung erschei- nen; dem durchgebildeten und durch das Leben gereiften Manne dünkte die griechische Rhetorik schal und widerlich; dem ernst- lich conservativ gesinnten entging die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmässig entwickelten Redekunst und dem de- magogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der scipio- nische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen und wenn die griechischen Declamationen bei bezahlten Meistern, zunächst wohl als Uebungen im Griechischsprechen, geduldet wur- den, so war doch die griechische Rhetorik weder in die lateinische VIERTES BUCH. KAPITEL XII. ches las, auch wohl Entwürfe zu Reden mit den Verfassern durch-ging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. Dies war ein Unterricht; aber ein gewerbmäſsiger Schulmeister war Stilo nicht, sondern er lehrte Litteratur und Redekunst, wie in Rom die Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein älterer Freund der aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener jedem zu Gebote stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmäſsige höhere Unterricht im Lateinischen, den bezahlte Lehrmeister, in der Regel freigelassene Sclaven, in besonderen Anstalten ertheilten und der bald sich schied in einen zwiefachen Cursus, indem erstlich die lateinische Litteratur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-, Staats- und Gerichtsreden kunst- mäſsige Anleitung gegeben ward. Die erste römische Litteratur- schule eröffnete um Stilos Zeit Marcus Postumius Saevius Nika- nor, die erste besondere Schule für lateinische Rhetorik um 660 Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den Litte- raturschulen Anleitung zu lateinischer Redekunst gegeben. Dieser neue lateinische Schulmeisterunterricht war von der tiefgreifend- sten Bedeutung. Die Anleitung zur Kunde lateinischer Litteratur und lateinischer Rede, wie sie bisher von hochgestellten Kennern und Meistern ertheilt worden war, hatte den Griechen gegenüber eine gewisse Selbstständigkeit sich bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister der Rede standen wohl unter dem Ein- fluſs des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der grie- chischen Schulgrammatik und Schulrhetorik. Namentlich die letz- tere wurde entschieden perhorrescirt. Der Stolz wie der gesunde Menschenverstand der Römer empörte sich gegen die griechische Behauptung, daſs die Fähigkeit über Dinge, die der Redner ver- stand und empfand, verständig und anregend in der Muttersprache zu seines Gleichen zu reden in der Schule nach Schulregeln gelernt werden könne. Dem tüchtigen praktischen Advocaten muſste das gänzlich dem Leben entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren für den Anfänger schlimmer als gar keine Vorbereitung erschei- nen; dem durchgebildeten und durch das Leben gereiften Manne dünkte die griechische Rhetorik schal und widerlich; dem ernst- lich conservativ gesinnten entging die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmäſsig entwickelten Redekunst und dem de- magogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der scipio- nische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen und wenn die griechischen Declamationen bei bezahlten Meistern, zunächst wohl als Uebungen im Griechischsprechen, geduldet wur- den, so war doch die griechische Rhetorik weder in die lateinische <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0418" n="408"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL XII.</fw><lb/> ches las, auch wohl Entwürfe zu Reden mit den Verfassern durch-<lb/> ging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. Dies<lb/> war ein Unterricht; aber ein gewerbmäſsiger Schulmeister war<lb/> Stilo nicht, sondern er lehrte Litteratur und Redekunst, wie in<lb/> Rom die Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein älterer Freund<lb/> der aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener jedem<lb/> zu Gebote stehender Mann. 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Die Anleitung zur Kunde lateinischer Litteratur<lb/> und lateinischer Rede, wie sie bisher von hochgestellten Kennern<lb/> und Meistern ertheilt worden war, hatte den Griechen gegenüber<lb/> eine gewisse Selbstständigkeit sich bewahrt. Die Kenner der<lb/> Sprache und die Meister der Rede standen wohl unter dem Ein-<lb/> fluſs des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der grie-<lb/> chischen Schulgrammatik und Schulrhetorik. Namentlich die letz-<lb/> tere wurde entschieden perhorrescirt. Der Stolz wie der gesunde<lb/> Menschenverstand der Römer empörte sich gegen die griechische<lb/> Behauptung, daſs die Fähigkeit über Dinge, die der Redner ver-<lb/> stand und empfand, verständig und anregend in der Muttersprache<lb/> zu seines Gleichen zu reden in der Schule nach Schulregeln gelernt<lb/> werden könne. 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VIERTES BUCH. KAPITEL XII.
ches las, auch wohl Entwürfe zu Reden mit den Verfassern durch-
ging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. Dies
war ein Unterricht; aber ein gewerbmäſsiger Schulmeister war
Stilo nicht, sondern er lehrte Litteratur und Redekunst, wie in
Rom die Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein älterer Freund
der aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener jedem
zu Gebote stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der
schulmäſsige höhere Unterricht im Lateinischen, den bezahlte
Lehrmeister, in der Regel freigelassene Sclaven, in besonderen
Anstalten ertheilten und der bald sich schied in einen zwiefachen
Cursus, indem erstlich die lateinische Litteratur wissenschaftlich
vorgetragen, sodann zu Lob-, Staats- und Gerichtsreden kunst-
mäſsige Anleitung gegeben ward. Die erste römische Litteratur-
schule eröffnete um Stilos Zeit Marcus Postumius Saevius Nika-
nor, die erste besondere Schule für lateinische Rhetorik um 660
Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den Litte-
raturschulen Anleitung zu lateinischer Redekunst gegeben. Dieser
neue lateinische Schulmeisterunterricht war von der tiefgreifend-
sten Bedeutung. Die Anleitung zur Kunde lateinischer Litteratur
und lateinischer Rede, wie sie bisher von hochgestellten Kennern
und Meistern ertheilt worden war, hatte den Griechen gegenüber
eine gewisse Selbstständigkeit sich bewahrt. Die Kenner der
Sprache und die Meister der Rede standen wohl unter dem Ein-
fluſs des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der grie-
chischen Schulgrammatik und Schulrhetorik. Namentlich die letz-
tere wurde entschieden perhorrescirt. Der Stolz wie der gesunde
Menschenverstand der Römer empörte sich gegen die griechische
Behauptung, daſs die Fähigkeit über Dinge, die der Redner ver-
stand und empfand, verständig und anregend in der Muttersprache
zu seines Gleichen zu reden in der Schule nach Schulregeln gelernt
werden könne. Dem tüchtigen praktischen Advocaten muſste das
gänzlich dem Leben entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren
für den Anfänger schlimmer als gar keine Vorbereitung erschei-
nen; dem durchgebildeten und durch das Leben gereiften Manne
dünkte die griechische Rhetorik schal und widerlich; dem ernst-
lich conservativ gesinnten entging die Wahlverwandtschaft nicht
zwischen der gewerbmäſsig entwickelten Redekunst und dem de-
magogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der scipio-
nische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen
und wenn die griechischen Declamationen bei bezahlten Meistern,
zunächst wohl als Uebungen im Griechischsprechen, geduldet wur-
den, so war doch die griechische Rhetorik weder in die lateinische
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