Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.ERZIEHUNG. gefunden als irgend einer war von den klugen Leuten des dama-ligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf Homeros oder Pheidias, aber er liess seine Kinder einführen in die Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu vernachlässigen, so weit es eine gab, sorgte er wie die Griechen für die physische Ent- wickelung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach römischen Begriffen unzulässigen Turnübungen, aber durch Unterweisung in der durch die Griechen fast kunstmässig entwickelten Jagd, und steigerte den griechischen Unterricht in der Art, dass nicht mehr bloss die Sprache um des Sprechens gelernt und geübt, sondern nach griechischer Art der Gesammtstoff allgemeiner höherer Bil- dung an die Sprache geknüpft und aus ihr entwickelt ward -- also vor allem Kenntniss der griechischen Litteratur mit der zu deren Verständniss nöthigen mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und Philosophie. Die Bibliothek des Königs Perseus, das einzige Stück, das Paullus aus der makedonischen Kriegsbeute für sich nahm, wurde von ihm seinen Söhnen ge- schenkt. Sogar griechische Maler und Bildner befanden sich in seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kin- der. Die Zeit war vorüber, wo man auf diesem Gebiet sich dem Hellenismus gegenüber bloss ablehnend verhalten konnte; die Bes- seren mochten ahnen, dass der edle Kern der römischen Weise selbst durch den ganzen Hellenismus weniger gefährdet sei, als durch dessen Verstümmelung und Missbildung; die Masse der höheren Gesellschaft Roms und Italiens machte die neue Weise mit. Schaarenweise strömten die griechischen Schulmeister nach dem neueröffneten ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Grie- chische Hofmeister und Lehrer der Philosophie, die freilich, auch wenn sie nicht Sclaven waren, regelmässig wie Bediente * gehalten wurden, wurden jetzt stehend in den Palästen Roms; man raf- finirte darauf und es findet sich, dass für einen griechischen Lit- teratursclaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (14300 Thlr.) gezahlt worden sind. Schon 593 waren die griechischen Decla- mationsübungen in der Hauptstadt so verbreitet, dass dafür eine Anzahl besonderer Lehranstalten bestanden. Schon begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter diesen römischen Lehrern: des Philosophen Panaetios ward bereits gedacht (S. 397); der an- gesehene Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, Aristarchs Zeitgenosse und ebenbürtiger Rival, fand um 595 in Rom ein * Cicero sagt, dass er seinen gelehrten Sclaven Dionysios rücksichts-
voller behandelt habe als Scipio den Panaetios. ERZIEHUNG. gefunden als irgend einer war von den klugen Leuten des dama-ligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf Homeros oder Pheidias, aber er lieſs seine Kinder einführen in die Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu vernachlässigen, so weit es eine gab, sorgte er wie die Griechen für die physische Ent- wickelung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach römischen Begriffen unzulässigen Turnübungen, aber durch Unterweisung in der durch die Griechen fast kunstmäſsig entwickelten Jagd, und steigerte den griechischen Unterricht in der Art, daſs nicht mehr bloſs die Sprache um des Sprechens gelernt und geübt, sondern nach griechischer Art der Gesammtstoff allgemeiner höherer Bil- dung an die Sprache geknüpft und aus ihr entwickelt ward — also vor allem Kenntniſs der griechischen Litteratur mit der zu deren Verständniſs nöthigen mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und Philosophie. Die Bibliothek des Königs Perseus, das einzige Stück, das Paullus aus der makedonischen Kriegsbeute für sich nahm, wurde von ihm seinen Söhnen ge- schenkt. Sogar griechische Maler und Bildner befanden sich in seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kin- der. Die Zeit war vorüber, wo man auf diesem Gebiet sich dem Hellenismus gegenüber bloſs ablehnend verhalten konnte; die Bes- seren mochten ahnen, daſs der edle Kern der römischen Weise selbst durch den ganzen Hellenismus weniger gefährdet sei, als durch dessen Verstümmelung und Miſsbildung; die Masse der höheren Gesellschaft Roms und Italiens machte die neue Weise mit. Schaarenweise strömten die griechischen Schulmeister nach dem neueröffneten ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Grie- chische Hofmeister und Lehrer der Philosophie, die freilich, auch wenn sie nicht Sclaven waren, regelmäſsig wie Bediente * gehalten wurden, wurden jetzt stehend in den Palästen Roms; man raf- finirte darauf und es findet sich, daſs für einen griechischen Lit- teratursclaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (14300 Thlr.) gezahlt worden sind. Schon 593 waren die griechischen Decla- mationsübungen in der Hauptstadt so verbreitet, daſs dafür eine Anzahl besonderer Lehranstalten bestanden. Schon begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter diesen römischen Lehrern: des Philosophen Panaetios ward bereits gedacht (S. 397); der an- gesehene Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, Aristarchs Zeitgenosse und ebenbürtiger Rival, fand um 595 in Rom ein * Cicero sagt, daſs er seinen gelehrten Sclaven Dionysios rücksichts-
voller behandelt habe als Scipio den Panaetios. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0415" n="405"/><fw place="top" type="header">ERZIEHUNG.</fw><lb/> gefunden als irgend einer war von den klugen Leuten des dama-<lb/> ligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf Homeros oder<lb/> Pheidias, aber er lieſs seine Kinder einführen in die Reiche des<lb/> Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu vernachlässigen, so weit<lb/> es eine gab, sorgte er wie die Griechen für die physische Ent-<lb/> wickelung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach römischen<lb/> Begriffen unzulässigen Turnübungen, aber durch Unterweisung<lb/> in der durch die Griechen fast kunstmäſsig entwickelten Jagd, und<lb/> steigerte den griechischen Unterricht in der Art, daſs nicht mehr<lb/> bloſs die Sprache um des Sprechens gelernt und geübt, sondern<lb/> nach griechischer Art der Gesammtstoff allgemeiner höherer Bil-<lb/> dung an die Sprache geknüpft und aus ihr entwickelt ward — also<lb/> vor allem Kenntniſs der griechischen Litteratur mit der zu deren<lb/> Verständniſs nöthigen mythologischen und historischen Kunde,<lb/> sodann Rhetorik und Philosophie. Die Bibliothek des Königs<lb/> Perseus, das einzige Stück, das Paullus aus der makedonischen<lb/> Kriegsbeute für sich nahm, wurde von ihm seinen Söhnen ge-<lb/> schenkt. Sogar griechische Maler und Bildner befanden sich in<lb/> seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kin-<lb/> der. Die Zeit war vorüber, wo man auf diesem Gebiet sich dem<lb/> Hellenismus gegenüber bloſs ablehnend verhalten konnte; die Bes-<lb/> seren mochten ahnen, daſs der edle Kern der römischen Weise<lb/> selbst durch den ganzen Hellenismus weniger gefährdet sei, als<lb/> durch dessen Verstümmelung und Miſsbildung; die Masse der<lb/> höheren Gesellschaft Roms und Italiens machte die neue Weise<lb/> mit. Schaarenweise strömten die griechischen Schulmeister nach<lb/> dem neueröffneten ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Grie-<lb/> chische Hofmeister und Lehrer der Philosophie, die freilich, auch<lb/> wenn sie nicht Sclaven waren, regelmäſsig wie Bediente <note place="foot" n="*">Cicero sagt, daſs er seinen gelehrten Sclaven Dionysios rücksichts-<lb/> voller behandelt habe als Scipio den Panaetios.</note> gehalten<lb/> wurden, wurden jetzt stehend in den Palästen Roms; man raf-<lb/> finirte darauf und es findet sich, daſs für einen griechischen Lit-<lb/> teratursclaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (14300 Thlr.)<lb/> gezahlt worden sind. Schon 593 waren die griechischen Decla-<lb/> mationsübungen in der Hauptstadt so verbreitet, daſs dafür eine<lb/> Anzahl besonderer Lehranstalten bestanden. Schon begegnen<lb/> einzelne ausgezeichnete Namen unter diesen römischen Lehrern:<lb/> des Philosophen Panaetios ward bereits gedacht (S. 397); der an-<lb/> gesehene Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, Aristarchs<lb/> Zeitgenosse und ebenbürtiger Rival, fand um 595 in Rom ein<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [405/0415]
ERZIEHUNG.
gefunden als irgend einer war von den klugen Leuten des dama-
ligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf Homeros oder
Pheidias, aber er lieſs seine Kinder einführen in die Reiche des
Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu vernachlässigen, so weit
es eine gab, sorgte er wie die Griechen für die physische Ent-
wickelung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach römischen
Begriffen unzulässigen Turnübungen, aber durch Unterweisung
in der durch die Griechen fast kunstmäſsig entwickelten Jagd, und
steigerte den griechischen Unterricht in der Art, daſs nicht mehr
bloſs die Sprache um des Sprechens gelernt und geübt, sondern
nach griechischer Art der Gesammtstoff allgemeiner höherer Bil-
dung an die Sprache geknüpft und aus ihr entwickelt ward — also
vor allem Kenntniſs der griechischen Litteratur mit der zu deren
Verständniſs nöthigen mythologischen und historischen Kunde,
sodann Rhetorik und Philosophie. Die Bibliothek des Königs
Perseus, das einzige Stück, das Paullus aus der makedonischen
Kriegsbeute für sich nahm, wurde von ihm seinen Söhnen ge-
schenkt. Sogar griechische Maler und Bildner befanden sich in
seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kin-
der. Die Zeit war vorüber, wo man auf diesem Gebiet sich dem
Hellenismus gegenüber bloſs ablehnend verhalten konnte; die Bes-
seren mochten ahnen, daſs der edle Kern der römischen Weise
selbst durch den ganzen Hellenismus weniger gefährdet sei, als
durch dessen Verstümmelung und Miſsbildung; die Masse der
höheren Gesellschaft Roms und Italiens machte die neue Weise
mit. Schaarenweise strömten die griechischen Schulmeister nach
dem neueröffneten ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Grie-
chische Hofmeister und Lehrer der Philosophie, die freilich, auch
wenn sie nicht Sclaven waren, regelmäſsig wie Bediente * gehalten
wurden, wurden jetzt stehend in den Palästen Roms; man raf-
finirte darauf und es findet sich, daſs für einen griechischen Lit-
teratursclaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (14300 Thlr.)
gezahlt worden sind. Schon 593 waren die griechischen Decla-
mationsübungen in der Hauptstadt so verbreitet, daſs dafür eine
Anzahl besonderer Lehranstalten bestanden. Schon begegnen
einzelne ausgezeichnete Namen unter diesen römischen Lehrern:
des Philosophen Panaetios ward bereits gedacht (S. 397); der an-
gesehene Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, Aristarchs
Zeitgenosse und ebenbürtiger Rival, fand um 595 in Rom ein
* Cicero sagt, daſs er seinen gelehrten Sclaven Dionysios rücksichts-
voller behandelt habe als Scipio den Panaetios.
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