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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL XII.
ein höheres Mass von Kenntnissen sich erwarb, trat er darum
noch nicht heraus aus dem Kreise seiner Gleichen; Quintus Fa-
bius Pictor, der in griechischer Sprache eine Chronik von Rom
schrieb, mag unter seinen Standesgenossen etwa gestanden ha-
ben wie der holsteinische Marschbauer, der studirt hat und, wenn
er des Abends vom Pfluge nach Haus kommt, den Vergilius vom
Schranke nimmt. Wer mehr mit seinem Griechisch vorstellen
wollte, galt als schlechter Patriot und als Geck. Catos Encyclo-
pädie, eine populäre Unterweisung in der Pflichtenlehre, der
Redekunst, der Kriegswissenschaft, dem Feldbau, der Rechts-
lehre und der Heilkunst, zeigt ungefähr, was damals einem ge-
bildeten Römer zu wissen nöthig war. Allerdings ist dies dürftig
genug, wenn man es vergleicht mit dem, was damals durch pri-
vate und öffentliche Fürsorge für die musische Bildung der helle-
nischen Jugend geschah; aber man sollte darum nicht übersehen,
dass diese Mangelhaftigkeit der römischen Jugendbildung eines
der wesentlichsten Elemente der bürgerlichen Gleichheit in Rom
war -- in welchen Grundgedanken freilich kein Hellene, auch
Polybios nicht, sich zu finden vermocht hat. -- Jetzt ward dies
anders. Wie aus dem naiven Volksglauben sich der aufgeklärte
stoische Supranaturalismus ausschied, so trat auch in der Er-
ziehung neben der alten schlichten Lese- und Schreibekunst eine
besondere Litteratura, eine exclusive Humanitas auf, welche der
alten geselligen Gleichheit ein Ende machte. Es geschah dies ver-
mittelst einer zwiefachen Neuerung, indem theils der Unterricht
im Griechischen von der elementaren auf die höhere Bildung sich
zu erstrecken anfing, theils zu der höheren griechischen Bildung
eine analoge lateinische sich hinzugesellte. Es wird nicht über-
flüssig sein auf beide Zweige dieses neuen höheren Jugendunter-
richts einen Blick zu werfen.

Es ist eine wundersame Fügung, dass derselbe Mann, der
politisch die hellenische Nation definitiv überwand, Lucius Aemi-
lius Paullus, zugleich erscheint als derjenige, der zuerst oder als
einer der Ersten die hellenische Civilisation vollständig anerkannte
als das, was sie seitdem unwidersprochen geblieben ist, die Civi-
lisation der antiken Welt. Er selber zwar war ein Greis, bevor
es ihm gestattet wurde die homerischen Lieder im Sinn hinzu-
treten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung genug
um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schönheit und die un-
bezwingliche Sehnsucht nach den goldenen Aepfeln der Hesperiden
in seiner Seele heimzubringen; Dichter und Künstler hatten an
dem fremden Mann einen ernsteren und innigeren Gläubigen

VIERTES BUCH. KAPITEL XII.
ein höheres Maſs von Kenntnissen sich erwarb, trat er darum
noch nicht heraus aus dem Kreise seiner Gleichen; Quintus Fa-
bius Pictor, der in griechischer Sprache eine Chronik von Rom
schrieb, mag unter seinen Standesgenossen etwa gestanden ha-
ben wie der holsteinische Marschbauer, der studirt hat und, wenn
er des Abends vom Pfluge nach Haus kommt, den Vergilius vom
Schranke nimmt. Wer mehr mit seinem Griechisch vorstellen
wollte, galt als schlechter Patriot und als Geck. Catos Encyclo-
pädie, eine populäre Unterweisung in der Pflichtenlehre, der
Redekunst, der Kriegswissenschaft, dem Feldbau, der Rechts-
lehre und der Heilkunst, zeigt ungefähr, was damals einem ge-
bildeten Römer zu wissen nöthig war. Allerdings ist dies dürftig
genug, wenn man es vergleicht mit dem, was damals durch pri-
vate und öffentliche Fürsorge für die musische Bildung der helle-
nischen Jugend geschah; aber man sollte darum nicht übersehen,
daſs diese Mangelhaftigkeit der römischen Jugendbildung eines
der wesentlichsten Elemente der bürgerlichen Gleichheit in Rom
war — in welchen Grundgedanken freilich kein Hellene, auch
Polybios nicht, sich zu finden vermocht hat. — Jetzt ward dies
anders. Wie aus dem naiven Volksglauben sich der aufgeklärte
stoische Supranaturalismus ausschied, so trat auch in der Er-
ziehung neben der alten schlichten Lese- und Schreibekunst eine
besondere Litteratura, eine exclusive Humanitas auf, welche der
alten geselligen Gleichheit ein Ende machte. Es geschah dies ver-
mittelst einer zwiefachen Neuerung, indem theils der Unterricht
im Griechischen von der elementaren auf die höhere Bildung sich
zu erstrecken anfing, theils zu der höheren griechischen Bildung
eine analoge lateinische sich hinzugesellte. Es wird nicht über-
flüssig sein auf beide Zweige dieses neuen höheren Jugendunter-
richts einen Blick zu werfen.

Es ist eine wundersame Fügung, daſs derselbe Mann, der
politisch die hellenische Nation definitiv überwand, Lucius Aemi-
lius Paullus, zugleich erscheint als derjenige, der zuerst oder als
einer der Ersten die hellenische Civilisation vollständig anerkannte
als das, was sie seitdem unwidersprochen geblieben ist, die Civi-
lisation der antiken Welt. Er selber zwar war ein Greis, bevor
es ihm gestattet wurde die homerischen Lieder im Sinn hinzu-
treten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung genug
um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schönheit und die un-
bezwingliche Sehnsucht nach den goldenen Aepfeln der Hesperiden
in seiner Seele heimzubringen; Dichter und Künstler hatten an
dem fremden Mann einen ernsteren und innigeren Gläubigen

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[404/0414] VIERTES BUCH. KAPITEL XII. ein höheres Maſs von Kenntnissen sich erwarb, trat er darum noch nicht heraus aus dem Kreise seiner Gleichen; Quintus Fa- bius Pictor, der in griechischer Sprache eine Chronik von Rom schrieb, mag unter seinen Standesgenossen etwa gestanden ha- ben wie der holsteinische Marschbauer, der studirt hat und, wenn er des Abends vom Pfluge nach Haus kommt, den Vergilius vom Schranke nimmt. Wer mehr mit seinem Griechisch vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot und als Geck. Catos Encyclo- pädie, eine populäre Unterweisung in der Pflichtenlehre, der Redekunst, der Kriegswissenschaft, dem Feldbau, der Rechts- lehre und der Heilkunst, zeigt ungefähr, was damals einem ge- bildeten Römer zu wissen nöthig war. Allerdings ist dies dürftig genug, wenn man es vergleicht mit dem, was damals durch pri- vate und öffentliche Fürsorge für die musische Bildung der helle- nischen Jugend geschah; aber man sollte darum nicht übersehen, daſs diese Mangelhaftigkeit der römischen Jugendbildung eines der wesentlichsten Elemente der bürgerlichen Gleichheit in Rom war — in welchen Grundgedanken freilich kein Hellene, auch Polybios nicht, sich zu finden vermocht hat. — Jetzt ward dies anders. Wie aus dem naiven Volksglauben sich der aufgeklärte stoische Supranaturalismus ausschied, so trat auch in der Er- ziehung neben der alten schlichten Lese- und Schreibekunst eine besondere Litteratura, eine exclusive Humanitas auf, welche der alten geselligen Gleichheit ein Ende machte. Es geschah dies ver- mittelst einer zwiefachen Neuerung, indem theils der Unterricht im Griechischen von der elementaren auf die höhere Bildung sich zu erstrecken anfing, theils zu der höheren griechischen Bildung eine analoge lateinische sich hinzugesellte. Es wird nicht über- flüssig sein auf beide Zweige dieses neuen höheren Jugendunter- richts einen Blick zu werfen. Es ist eine wundersame Fügung, daſs derselbe Mann, der politisch die hellenische Nation definitiv überwand, Lucius Aemi- lius Paullus, zugleich erscheint als derjenige, der zuerst oder als einer der Ersten die hellenische Civilisation vollständig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen geblieben ist, die Civi- lisation der antiken Welt. Er selber zwar war ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde die homerischen Lieder im Sinn hinzu- treten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung genug um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schönheit und die un- bezwingliche Sehnsucht nach den goldenen Aepfeln der Hesperiden in seiner Seele heimzubringen; Dichter und Künstler hatten an dem fremden Mann einen ernsteren und innigeren Gläubigen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/414>, abgerufen am 26.11.2024.