Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

VIERTES BUCH. KAPITEL XII.
Heros ehrte, ja überhaupt jeder abgeschiedene Geist eines ge-
wordenen Menschen. Diese Philosophie passte in der That bes-
ser nach Rom als in die eigene Heimath. Der Tadel des from-
men Gläubigen, dass der Gott des Stoikers weder Geschlecht
noch Alter noch Körperlichkeit habe und aus einer Person in
einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland einen Sinn,
nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisirung und sittliche Puri-
ficirung, wie sie der stoischen Götterlehre eigen war, verdarb den
besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer
naiven Zeit dürftige plastische Kraft der Römer hatte nicht mehr
erzeugt als eine leichte Hülle, deren Abstreifung ohne sonder-
lichen Schaden geschehen konnte und die Gottheit wieder zu-
rückführte auf die Anschauung oder den Begriff, aus dem sie
sich gestaltet hatte. Pallas Athene mochte zürnen, wenn sie sich
plötzlich in den Begriff des Gedächtnisses verwandelt fand; Mi-
nerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supra-
naturalistische stoische und die allegorische römische Theologie
fielen in ihrem Ergebniss im Ganzen zusammen. Selbst aber
wenn der Philosoph einzelne Sätze der Priesterlehre als zweifel-
haft oder als falsch bezeichnen musste, wie denn zum Beispiel
die Stoiker die Vergötterungslehre verwerfend in Hercules, Ka-
stor, Pollux nichts als die Geister ausgezeichneter Menschen
sahen und ebenso das Götterbild nicht als Repräsentanten der
Gottheit gelten lassen konnten, so war es wenigstens nicht die
Art der Anhänger Zenons gegen diese Irrlehren anzukämpfen
und die falschen Götter zu stürzen; vielmehr bewiesen sie über-
all der Landesreligion Rücksicht und Ehrfurcht auch in ihren
Schwächen. Auch die Richtung der Stoa auf eine casuistische
Moral und auf die rationelle Behandlung der Fachwissenschaften
war ganz im Sinne der Römer, zumal der Römer dieser Zeit,
welche nicht mehr wie die Väter in unbefangener Weise Zucht
und gute Sitte übten, sondern deren naive Sittlichkeit auflösten
in einen Katechismus erlaubter und unerlaubter Handlungen;
deren Grammatik und Jurisprudenz überdies dringend eine me-
thodische Behandlung erheischten ohne doch die Fähigkeit zu
besitzen diese aus sich selber zu entwickeln. So incorporirte die
Stoa als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem
Boden acclimatisirtes Gewächs sich durchaus dem römischen
Staatshaushalt und wir begegnen ihrer Entwickelung auf den ver-
schiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfänge reichen ohne Zweifel
weiter zurück; aber zur vollen Geltung in den höheren Schichten
der römischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den

VIERTES BUCH. KAPITEL XII.
Heros ehrte, ja überhaupt jeder abgeschiedene Geist eines ge-
wordenen Menschen. Diese Philosophie paſste in der That bes-
ser nach Rom als in die eigene Heimath. Der Tadel des from-
men Gläubigen, daſs der Gott des Stoikers weder Geschlecht
noch Alter noch Körperlichkeit habe und aus einer Person in
einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland einen Sinn,
nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisirung und sittliche Puri-
ficirung, wie sie der stoischen Götterlehre eigen war, verdarb den
besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer
naiven Zeit dürftige plastische Kraft der Römer hatte nicht mehr
erzeugt als eine leichte Hülle, deren Abstreifung ohne sonder-
lichen Schaden geschehen konnte und die Gottheit wieder zu-
rückführte auf die Anschauung oder den Begriff, aus dem sie
sich gestaltet hatte. Pallas Athene mochte zürnen, wenn sie sich
plötzlich in den Begriff des Gedächtnisses verwandelt fand; Mi-
nerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supra-
naturalistische stoische und die allegorische römische Theologie
fielen in ihrem Ergebniſs im Ganzen zusammen. Selbst aber
wenn der Philosoph einzelne Sätze der Priesterlehre als zweifel-
haft oder als falsch bezeichnen muſste, wie denn zum Beispiel
die Stoiker die Vergötterungslehre verwerfend in Hercules, Ka-
stor, Pollux nichts als die Geister ausgezeichneter Menschen
sahen und ebenso das Götterbild nicht als Repräsentanten der
Gottheit gelten lassen konnten, so war es wenigstens nicht die
Art der Anhänger Zenons gegen diese Irrlehren anzukämpfen
und die falschen Götter zu stürzen; vielmehr bewiesen sie über-
all der Landesreligion Rücksicht und Ehrfurcht auch in ihren
Schwächen. Auch die Richtung der Stoa auf eine casuistische
Moral und auf die rationelle Behandlung der Fachwissenschaften
war ganz im Sinne der Römer, zumal der Römer dieser Zeit,
welche nicht mehr wie die Väter in unbefangener Weise Zucht
und gute Sitte übten, sondern deren naive Sittlichkeit auflösten
in einen Katechismus erlaubter und unerlaubter Handlungen;
deren Grammatik und Jurisprudenz überdies dringend eine me-
thodische Behandlung erheischten ohne doch die Fähigkeit zu
besitzen diese aus sich selber zu entwickeln. So incorporirte die
Stoa als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem
Boden acclimatisirtes Gewächs sich durchaus dem römischen
Staatshaushalt und wir begegnen ihrer Entwickelung auf den ver-
schiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfänge reichen ohne Zweifel
weiter zurück; aber zur vollen Geltung in den höheren Schichten
der römischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0406" n="396"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL XII.</fw><lb/>
Heros ehrte, ja überhaupt jeder abgeschiedene Geist eines ge-<lb/>
wordenen Menschen. Diese Philosophie pa&#x017F;ste in der That bes-<lb/>
ser nach Rom als in die eigene Heimath. Der Tadel des from-<lb/>
men Gläubigen, da&#x017F;s der Gott des Stoikers weder Geschlecht<lb/>
noch Alter noch Körperlichkeit habe und aus einer Person in<lb/>
einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland einen Sinn,<lb/>
nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisirung und sittliche Puri-<lb/>
ficirung, wie sie der stoischen Götterlehre eigen war, verdarb den<lb/>
besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer<lb/>
naiven Zeit dürftige plastische Kraft der Römer hatte nicht mehr<lb/>
erzeugt als eine leichte Hülle, deren Abstreifung ohne sonder-<lb/>
lichen Schaden geschehen konnte und die Gottheit wieder zu-<lb/>
rückführte auf die Anschauung oder den Begriff, aus dem sie<lb/>
sich gestaltet hatte. Pallas Athene mochte zürnen, wenn sie sich<lb/>
plötzlich in den Begriff des Gedächtnisses verwandelt fand; Mi-<lb/>
nerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supra-<lb/>
naturalistische stoische und die allegorische römische Theologie<lb/>
fielen in ihrem Ergebni&#x017F;s im Ganzen zusammen. Selbst aber<lb/>
wenn der Philosoph einzelne Sätze der Priesterlehre als zweifel-<lb/>
haft oder als falsch bezeichnen mu&#x017F;ste, wie denn zum Beispiel<lb/>
die Stoiker die Vergötterungslehre verwerfend in Hercules, Ka-<lb/>
stor, Pollux nichts als die Geister ausgezeichneter Menschen<lb/>
sahen und ebenso das Götterbild nicht als Repräsentanten der<lb/>
Gottheit gelten lassen konnten, so war es wenigstens nicht die<lb/>
Art der Anhänger Zenons gegen diese Irrlehren anzukämpfen<lb/>
und die falschen Götter zu stürzen; vielmehr bewiesen sie über-<lb/>
all der Landesreligion Rücksicht und Ehrfurcht auch in ihren<lb/>
Schwächen. Auch die Richtung der Stoa auf eine casuistische<lb/>
Moral und auf die rationelle Behandlung der Fachwissenschaften<lb/>
war ganz im Sinne der Römer, zumal der Römer dieser Zeit,<lb/>
welche nicht mehr wie die Väter in unbefangener Weise Zucht<lb/>
und gute Sitte übten, sondern deren naive Sittlichkeit auflösten<lb/>
in einen Katechismus erlaubter und unerlaubter Handlungen;<lb/>
deren Grammatik und Jurisprudenz überdies dringend eine me-<lb/>
thodische Behandlung erheischten ohne doch die Fähigkeit zu<lb/>
besitzen diese aus sich selber zu entwickeln. So incorporirte die<lb/>
Stoa als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem<lb/>
Boden acclimatisirtes Gewächs sich durchaus dem römischen<lb/>
Staatshaushalt und wir begegnen ihrer Entwickelung auf den ver-<lb/>
schiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfänge reichen ohne Zweifel<lb/>
weiter zurück; aber zur vollen Geltung in den höheren Schichten<lb/>
der römischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[396/0406] VIERTES BUCH. KAPITEL XII. Heros ehrte, ja überhaupt jeder abgeschiedene Geist eines ge- wordenen Menschen. Diese Philosophie paſste in der That bes- ser nach Rom als in die eigene Heimath. Der Tadel des from- men Gläubigen, daſs der Gott des Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Körperlichkeit habe und aus einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisirung und sittliche Puri- ficirung, wie sie der stoischen Götterlehre eigen war, verdarb den besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven Zeit dürftige plastische Kraft der Römer hatte nicht mehr erzeugt als eine leichte Hülle, deren Abstreifung ohne sonder- lichen Schaden geschehen konnte und die Gottheit wieder zu- rückführte auf die Anschauung oder den Begriff, aus dem sie sich gestaltet hatte. Pallas Athene mochte zürnen, wenn sie sich plötzlich in den Begriff des Gedächtnisses verwandelt fand; Mi- nerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supra- naturalistische stoische und die allegorische römische Theologie fielen in ihrem Ergebniſs im Ganzen zusammen. Selbst aber wenn der Philosoph einzelne Sätze der Priesterlehre als zweifel- haft oder als falsch bezeichnen muſste, wie denn zum Beispiel die Stoiker die Vergötterungslehre verwerfend in Hercules, Ka- stor, Pollux nichts als die Geister ausgezeichneter Menschen sahen und ebenso das Götterbild nicht als Repräsentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war es wenigstens nicht die Art der Anhänger Zenons gegen diese Irrlehren anzukämpfen und die falschen Götter zu stürzen; vielmehr bewiesen sie über- all der Landesreligion Rücksicht und Ehrfurcht auch in ihren Schwächen. Auch die Richtung der Stoa auf eine casuistische Moral und auf die rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne der Römer, zumal der Römer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die Väter in unbefangener Weise Zucht und gute Sitte übten, sondern deren naive Sittlichkeit auflösten in einen Katechismus erlaubter und unerlaubter Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz überdies dringend eine me- thodische Behandlung erheischten ohne doch die Fähigkeit zu besitzen diese aus sich selber zu entwickeln. So incorporirte die Stoa als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem Boden acclimatisirtes Gewächs sich durchaus dem römischen Staatshaushalt und wir begegnen ihrer Entwickelung auf den ver- schiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfänge reichen ohne Zweifel weiter zurück; aber zur vollen Geltung in den höheren Schichten der römischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/406
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/406>, abgerufen am 26.11.2024.