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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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RELIGION.
physiologischen von dem Begriff der Materie ausgehenden Me-
thode. Aus einander gingen sie, insofern Epikuros, der Atomen-
lehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie fasst
und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die Man-
nigfaltigkeit der Dinge überführt, Zenon dagegen, sich anlehnend
an den Ephesier Herakleitos, schon in den Urstoff eine dynami-
sche Gegensätzlichkeit und eine auf und nieder wogende Bewe-
gung hineinlegt; woraus denn die weiteren Unterschiede sich
ableiten: dass im epikureischen System die Götter gleichsam
nicht vorhanden und höchstens der Traum der Träume sind, die
stoischen Götter dagegen die ewig rege Seele der Welt, die als
Geist, als Sonne, als Gott mächtig ist über den Körper, die Erde,
die Natur; dass Epikuros nicht, wohl aber Zenon eine Weltregie-
rung und eine persönliche Unsterblichkeit der Seele anerkennt;
dass das Ziel des menschlichen Strebens nach Epikuros ist das
unbedingte weder von körperlichem Begehren noch von geisti-
gem Streiten aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die
durch das stetige Gegeneinanderstreben des Geistes und Körpers
immer gesteigerte und zu dem Einklang mit der ewig streiten-
den und ewig friedlichen Natur aufstrebende menschliche Thä-
tigkeit. In einem Puncte aber stimmten der Religion gegenüber
alle diese Schulen zusammen: dass der Glaube als solcher nichts
sei und nothwendig ersetzt werden müsse durch die Reflexion,
mochte diese übrigens mit Bewusstsein darauf verzichten, zu
einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie, oder die Vorstel-
lungen des Volksglaubens verwerfen, wie die Schule Epikurs,
oder dieselben theils motivirt festhalten, theils modificiren, wie
die Stoiker thaten. -- Es war danach nur folgerichtig, dass die
erste Berührung der hellenischen Philosophie mit der römischen
ebenso glaubensdurstigen als antispeculativen Nation durchaus
feindlicher Art war. Die Religion hatte vollkommen Recht von
diesen philosophischen Systemen sowohl die Befehdung wie die
Begründung sich zu verbitten, die beide ihr eigentliches Wesen
aufhoben. Der Staat, der in der Religion instinctmässig sich selber
angegriffen fühlte, verhielt sich billig gegen die Philosophen wie
die Festung gegen die Eclaireurs der anrückenden Belagerungs-
armee und wies schon 593 mit den Rhetoren auch die griechi-
schen Philosophen aus Rom aus. In der That war auch gleich
das erste grössere Debut der Philosophie in Rom eine förmliche
Kriegserklärung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlasst
durch die Occupation von Oropos durch die Athener, mit deren
Rechtfertigung diese drei der angesehensten Professoren der

RELIGION.
physiologischen von dem Begriff der Materie ausgehenden Me-
thode. Aus einander gingen sie, insofern Epikuros, der Atomen-
lehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie faſst
und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die Man-
nigfaltigkeit der Dinge überführt, Zenon dagegen, sich anlehnend
an den Ephesier Herakleitos, schon in den Urstoff eine dynami-
sche Gegensätzlichkeit und eine auf und nieder wogende Bewe-
gung hineinlegt; woraus denn die weiteren Unterschiede sich
ableiten: daſs im epikureischen System die Götter gleichsam
nicht vorhanden und höchstens der Traum der Träume sind, die
stoischen Götter dagegen die ewig rege Seele der Welt, die als
Geist, als Sonne, als Gott mächtig ist über den Körper, die Erde,
die Natur; daſs Epikuros nicht, wohl aber Zenon eine Weltregie-
rung und eine persönliche Unsterblichkeit der Seele anerkennt;
daſs das Ziel des menschlichen Strebens nach Epikuros ist das
unbedingte weder von körperlichem Begehren noch von geisti-
gem Streiten aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die
durch das stetige Gegeneinanderstreben des Geistes und Körpers
immer gesteigerte und zu dem Einklang mit der ewig streiten-
den und ewig friedlichen Natur aufstrebende menschliche Thä-
tigkeit. In einem Puncte aber stimmten der Religion gegenüber
alle diese Schulen zusammen: daſs der Glaube als solcher nichts
sei und nothwendig ersetzt werden müsse durch die Reflexion,
mochte diese übrigens mit Bewuſstsein darauf verzichten, zu
einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie, oder die Vorstel-
lungen des Volksglaubens verwerfen, wie die Schule Epikurs,
oder dieselben theils motivirt festhalten, theils modificiren, wie
die Stoiker thaten. — Es war danach nur folgerichtig, daſs die
erste Berührung der hellenischen Philosophie mit der römischen
ebenso glaubensdurstigen als antispeculativen Nation durchaus
feindlicher Art war. Die Religion hatte vollkommen Recht von
diesen philosophischen Systemen sowohl die Befehdung wie die
Begründung sich zu verbitten, die beide ihr eigentliches Wesen
aufhoben. Der Staat, der in der Religion instinctmäſsig sich selber
angegriffen fühlte, verhielt sich billig gegen die Philosophen wie
die Festung gegen die Eclaireurs der anrückenden Belagerungs-
armee und wies schon 593 mit den Rhetoren auch die griechi-
schen Philosophen aus Rom aus. In der That war auch gleich
das erste gröſsere Debut der Philosophie in Rom eine förmliche
Kriegserklärung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlaſst
durch die Occupation von Oropos durch die Athener, mit deren
Rechtfertigung diese drei der angesehensten Professoren der

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[393/0403] RELIGION. physiologischen von dem Begriff der Materie ausgehenden Me- thode. Aus einander gingen sie, insofern Epikuros, der Atomen- lehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie faſst und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die Man- nigfaltigkeit der Dinge überführt, Zenon dagegen, sich anlehnend an den Ephesier Herakleitos, schon in den Urstoff eine dynami- sche Gegensätzlichkeit und eine auf und nieder wogende Bewe- gung hineinlegt; woraus denn die weiteren Unterschiede sich ableiten: daſs im epikureischen System die Götter gleichsam nicht vorhanden und höchstens der Traum der Träume sind, die stoischen Götter dagegen die ewig rege Seele der Welt, die als Geist, als Sonne, als Gott mächtig ist über den Körper, die Erde, die Natur; daſs Epikuros nicht, wohl aber Zenon eine Weltregie- rung und eine persönliche Unsterblichkeit der Seele anerkennt; daſs das Ziel des menschlichen Strebens nach Epikuros ist das unbedingte weder von körperlichem Begehren noch von geisti- gem Streiten aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die durch das stetige Gegeneinanderstreben des Geistes und Körpers immer gesteigerte und zu dem Einklang mit der ewig streiten- den und ewig friedlichen Natur aufstrebende menschliche Thä- tigkeit. In einem Puncte aber stimmten der Religion gegenüber alle diese Schulen zusammen: daſs der Glaube als solcher nichts sei und nothwendig ersetzt werden müsse durch die Reflexion, mochte diese übrigens mit Bewuſstsein darauf verzichten, zu einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie, oder die Vorstel- lungen des Volksglaubens verwerfen, wie die Schule Epikurs, oder dieselben theils motivirt festhalten, theils modificiren, wie die Stoiker thaten. — Es war danach nur folgerichtig, daſs die erste Berührung der hellenischen Philosophie mit der römischen ebenso glaubensdurstigen als antispeculativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die Religion hatte vollkommen Recht von diesen philosophischen Systemen sowohl die Befehdung wie die Begründung sich zu verbitten, die beide ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der Staat, der in der Religion instinctmäſsig sich selber angegriffen fühlte, verhielt sich billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der anrückenden Belagerungs- armee und wies schon 593 mit den Rhetoren auch die griechi- schen Philosophen aus Rom aus. In der That war auch gleich das erste gröſsere Debut der Philosophie in Rom eine förmliche Kriegserklärung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlaſst durch die Occupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung diese drei der angesehensten Professoren der

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/403>, abgerufen am 27.11.2024.