Gesandten vor dem römischen Senat ohne Dollmetscher griechisch zu reden. Die Zeit kündigt sich an, wo das römische Gemein- wesen in einen zwiesprachigen Staat übergehen und der rechte Erbe des Thrones und der Gedanken Alexanders des Grossen aus dem Westen kommen wird, zugleich ein Römer und ein Grieche.
Was schon der Ueberblick der nationalen Verhältnisse also zeigt, die Unterdrückung der secundären und die gegenseitige Durchdringung der beiden primären Nationalitäten, das ist im Ge- biete der Religion, der Volkserziehung, der Litteratur und der Kunst noch im Einzelnen genauer darzulegen.
Die römische Religion war mit dem römischen Gemein- wesen und dem römischen Haushalt so innig verwachsen, so gar nichts anderes als die fromme Wiederspiegelung der römi- schen Bürgerwelt, dass die politische und sociale Revolution nothwendiger Weise auch das Religionsgebäude über den Haufen warf. Der alte italische Volksglaube stürzt zusammen; über sei- nen Trümmern erheben sich wie über den Trümmern des poli- tischen Gemeinwesens Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der Unglaube, die Staatsreligion, der Hellenismus, auf der andern der Aberglaube, das Sectenwesen, die Religion der Orien- talen. Allerdings gehen die Anfänge von beidem wie ja auch die Anfänge der politisch-socialen Revolution bereits in die vo- rige Epoche zurück (I, 637-640). Schon damals rüttelte die hellenische Bildung der höheren Kreise im Stillen an dem Glau- ben der Väter; schon Ennius bürgerte die Allegorisirung und Historisirung der hellenischen Religion in Italien ein; schon da- mals ward der Senat gezwungen die Uebersiedelung des klein- asiatischen Kybelecults nach Rom gut zu heissen und gegen an- deren noch schlimmeren Aberglauben, namentlich das bakchische Muckerthum aufs ernstlichste einzuschreiten. Indess wie über- haupt in der vorhergehenden Periode die Revolution mehr in den Gemüthern sich vorbereitete als äusserlich sich vollzog, so ist auch die religiöse Umwälzung im Wesentlichen das Werk der gracchischen und sullanischen Zeit.
Versuchen wir zunächst die an den Hellenismus sich anleh- nende Richtung zu verfolgen. Die hellenische Nation, die weit früher als die italische erblüht und abgeblüht war, hatte längst die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich aus- schliesslich bewegt auf dem Gebiet der Speculation und Reflexion; seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch Philosophie. Aber auch die philosophische Thätigkeit des helle- nischen Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die
NATIONALITÄT. RELIGION.
Gesandten vor dem römischen Senat ohne Dollmetscher griechisch zu reden. Die Zeit kündigt sich an, wo das römische Gemein- wesen in einen zwiesprachigen Staat übergehen und der rechte Erbe des Thrones und der Gedanken Alexanders des Groſsen aus dem Westen kommen wird, zugleich ein Römer und ein Grieche.
Was schon der Ueberblick der nationalen Verhältnisse also zeigt, die Unterdrückung der secundären und die gegenseitige Durchdringung der beiden primären Nationalitäten, das ist im Ge- biete der Religion, der Volkserziehung, der Litteratur und der Kunst noch im Einzelnen genauer darzulegen.
Die römische Religion war mit dem römischen Gemein- wesen und dem römischen Haushalt so innig verwachsen, so gar nichts anderes als die fromme Wiederspiegelung der römi- schen Bürgerwelt, daſs die politische und sociale Revolution nothwendiger Weise auch das Religionsgebäude über den Haufen warf. Der alte italische Volksglaube stürzt zusammen; über sei- nen Trümmern erheben sich wie über den Trümmern des poli- tischen Gemeinwesens Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der Unglaube, die Staatsreligion, der Hellenismus, auf der andern der Aberglaube, das Sectenwesen, die Religion der Orien- talen. Allerdings gehen die Anfänge von beidem wie ja auch die Anfänge der politisch-socialen Revolution bereits in die vo- rige Epoche zurück (I, 637-640). Schon damals rüttelte die hellenische Bildung der höheren Kreise im Stillen an dem Glau- ben der Väter; schon Ennius bürgerte die Allegorisirung und Historisirung der hellenischen Religion in Italien ein; schon da- mals ward der Senat gezwungen die Uebersiedelung des klein- asiatischen Kybelecults nach Rom gut zu heiſsen und gegen an- deren noch schlimmeren Aberglauben, namentlich das bakchische Muckerthum aufs ernstlichste einzuschreiten. Indeſs wie über- haupt in der vorhergehenden Periode die Revolution mehr in den Gemüthern sich vorbereitete als äuſserlich sich vollzog, so ist auch die religiöse Umwälzung im Wesentlichen das Werk der gracchischen und sullanischen Zeit.
Versuchen wir zunächst die an den Hellenismus sich anleh- nende Richtung zu verfolgen. Die hellenische Nation, die weit früher als die italische erblüht und abgeblüht war, hatte längst die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich aus- schlieſslich bewegt auf dem Gebiet der Speculation und Reflexion; seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch Philosophie. Aber auch die philosophische Thätigkeit des helle- nischen Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die
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NATIONALITÄT. RELIGION.
Gesandten vor dem römischen Senat ohne Dollmetscher griechisch
zu reden. Die Zeit kündigt sich an, wo das römische Gemein-
wesen in einen zwiesprachigen Staat übergehen und der rechte
Erbe des Thrones und der Gedanken Alexanders des Groſsen aus
dem Westen kommen wird, zugleich ein Römer und ein Grieche.
Was schon der Ueberblick der nationalen Verhältnisse also
zeigt, die Unterdrückung der secundären und die gegenseitige
Durchdringung der beiden primären Nationalitäten, das ist im Ge-
biete der Religion, der Volkserziehung, der Litteratur und der
Kunst noch im Einzelnen genauer darzulegen.
Die römische Religion war mit dem römischen Gemein-
wesen und dem römischen Haushalt so innig verwachsen, so
gar nichts anderes als die fromme Wiederspiegelung der römi-
schen Bürgerwelt, daſs die politische und sociale Revolution
nothwendiger Weise auch das Religionsgebäude über den Haufen
warf. Der alte italische Volksglaube stürzt zusammen; über sei-
nen Trümmern erheben sich wie über den Trümmern des poli-
tischen Gemeinwesens Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen
Seite der Unglaube, die Staatsreligion, der Hellenismus, auf der
andern der Aberglaube, das Sectenwesen, die Religion der Orien-
talen. Allerdings gehen die Anfänge von beidem wie ja auch die
Anfänge der politisch-socialen Revolution bereits in die vo-
rige Epoche zurück (I, 637-640). Schon damals rüttelte die
hellenische Bildung der höheren Kreise im Stillen an dem Glau-
ben der Väter; schon Ennius bürgerte die Allegorisirung und
Historisirung der hellenischen Religion in Italien ein; schon da-
mals ward der Senat gezwungen die Uebersiedelung des klein-
asiatischen Kybelecults nach Rom gut zu heiſsen und gegen an-
deren noch schlimmeren Aberglauben, namentlich das bakchische
Muckerthum aufs ernstlichste einzuschreiten. Indeſs wie über-
haupt in der vorhergehenden Periode die Revolution mehr in
den Gemüthern sich vorbereitete als äuſserlich sich vollzog, so
ist auch die religiöse Umwälzung im Wesentlichen das Werk der
gracchischen und sullanischen Zeit.
Versuchen wir zunächst die an den Hellenismus sich anleh-
nende Richtung zu verfolgen. Die hellenische Nation, die weit
früher als die italische erblüht und abgeblüht war, hatte längst
die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich aus-
schlieſslich bewegt auf dem Gebiet der Speculation und Reflexion;
seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch
Philosophie. Aber auch die philosophische Thätigkeit des helle-
nischen Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/401>, abgerufen am 25.11.2024.
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