Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL XI. ten nicht aus, so dass man nicht bloss schlechterdings unfähigwar einen Seekrieg zu führen, sondern selbst den Piraten kaum zu wehren vermochte. In Rom selbst unterblieben eine Menge der nothwendigsten Verbesserungen und namentlich die Wasserbauten wurden seltsam vernachlässigt. Immer noch besass die Hauptstadt keine andere Brücke über die Tiber als den uralten hölzernen Steg, der über die Tiberinsel nach dem Janiculum führte; immer noch liess man die Tiber jährlich die Strassen unter Wasser setzen und Häuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, ohne etwas für die Uferbefestigung zu thun; immer mehr liess man, wie ge- waltig auch der überseeische Handel sich entwickelte, die an sich schon schlechte Rhede von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter den günstigsten Verhältnissen und in einer Epoche vier- zigjährigen Friedens nach aussen und innen solche Pflichten ver- säumt, kann vielleicht insofern ein glänzendes finanzielles Resultat erzielen, als sie Steuern schwinden zu lassen und dennoch einen jährlichen Ueberschuss der Einnahme über die Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz nachzuweisen im Stande ist; aber nichts desto weniger verdient eine derartige Finanzverwaltung dieselben Vorwürfe der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der verkehrten Volksschmeichelei, die auf jedem andern politi- schen Gebiet gegen das senatorische Regiment dieser Epoche er- hoben werden mussten. -- Weit schlimmer gestalteten sich na- türlich die finanziellen Verhältnisse, als die Stürme der Revolu- tion hereinbrachen. Die neue und, auch bloss finanziell betrachtet, höchst drückende Belastung, die dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung erwuchs den hauptstädti- schen Bürgern das Getreide zu Schleuderpreisen zu verabfolgen ward allerdings durch die in der Provinz Asia neu eröffneten Ein- nahmequellen zunächst wieder ausgeglichen. Indess ist es nichts desto weniger bemerkenswerth, dass die öffentlichen Bauten seit- dem fast gänzlich ins Stocken gekommen zu sein scheinen. So zahlreich die erweislicher Massen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus angelegten öffentlichen Werke sind, so kön- nen wir dagegen aus der Zeit nach 632 kaum andere nachwei- sen als die Brücken-, Strassen- und Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Censor 645 anordnete. Es muss dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der Kornvertheilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge des gesteiger- ten Sparschatzsystems, wie es sich schickt für ein immer mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment und wie es angedeutet ist in der Angabe, dass der römische Reservefonds seinen höchsten VIERTES BUCH. KAPITEL XI. ten nicht aus, so daſs man nicht bloſs schlechterdings unfähigwar einen Seekrieg zu führen, sondern selbst den Piraten kaum zu wehren vermochte. In Rom selbst unterblieben eine Menge der nothwendigsten Verbesserungen und namentlich die Wasserbauten wurden seltsam vernachlässigt. Immer noch besaſs die Hauptstadt keine andere Brücke über die Tiber als den uralten hölzernen Steg, der über die Tiberinsel nach dem Janiculum führte; immer noch lieſs man die Tiber jährlich die Straſsen unter Wasser setzen und Häuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, ohne etwas für die Uferbefestigung zu thun; immer mehr lieſs man, wie ge- waltig auch der überseeische Handel sich entwickelte, die an sich schon schlechte Rhede von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter den günstigsten Verhältnissen und in einer Epoche vier- zigjährigen Friedens nach auſsen und innen solche Pflichten ver- säumt, kann vielleicht insofern ein glänzendes finanzielles Resultat erzielen, als sie Steuern schwinden zu lassen und dennoch einen jährlichen Ueberschuſs der Einnahme über die Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz nachzuweisen im Stande ist; aber nichts desto weniger verdient eine derartige Finanzverwaltung dieselben Vorwürfe der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der verkehrten Volksschmeichelei, die auf jedem andern politi- schen Gebiet gegen das senatorische Regiment dieser Epoche er- hoben werden muſsten. — Weit schlimmer gestalteten sich na- türlich die finanziellen Verhältnisse, als die Stürme der Revolu- tion hereinbrachen. Die neue und, auch bloſs finanziell betrachtet, höchst drückende Belastung, die dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung erwuchs den hauptstädti- schen Bürgern das Getreide zu Schleuderpreisen zu verabfolgen ward allerdings durch die in der Provinz Asia neu eröffneten Ein- nahmequellen zunächst wieder ausgeglichen. Indeſs ist es nichts desto weniger bemerkenswerth, daſs die öffentlichen Bauten seit- dem fast gänzlich ins Stocken gekommen zu sein scheinen. So zahlreich die erweislicher Maſsen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus angelegten öffentlichen Werke sind, so kön- nen wir dagegen aus der Zeit nach 632 kaum andere nachwei- sen als die Brücken-, Straſsen- und Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Censor 645 anordnete. Es muſs dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der Kornvertheilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge des gesteiger- ten Sparschatzsystems, wie es sich schickt für ein immer mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment und wie es angedeutet ist in der Angabe, daſs der römische Reservefonds seinen höchsten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0382" n="372"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL XI.</fw><lb/> ten nicht aus, so daſs man nicht bloſs schlechterdings unfähig<lb/> war einen Seekrieg zu führen, sondern selbst den Piraten kaum zu<lb/> wehren vermochte. In Rom selbst unterblieben eine Menge der<lb/> nothwendigsten Verbesserungen und namentlich die Wasserbauten<lb/> wurden seltsam vernachlässigt. 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Eine Regierung, die<lb/> unter den günstigsten Verhältnissen und in einer Epoche vier-<lb/> zigjährigen Friedens nach auſsen und innen solche Pflichten ver-<lb/> säumt, kann vielleicht insofern ein glänzendes finanzielles Resultat<lb/> erzielen, als sie Steuern schwinden zu lassen und dennoch einen<lb/> jährlichen Ueberschuſs der Einnahme über die Ausgabe und einen<lb/> ansehnlichen Sparschatz nachzuweisen im Stande ist; aber nichts<lb/> desto weniger verdient eine derartige Finanzverwaltung dieselben<lb/> Vorwürfe der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung,<lb/> der verkehrten Volksschmeichelei, die auf jedem andern politi-<lb/> schen Gebiet gegen das senatorische Regiment dieser Epoche er-<lb/> hoben werden muſsten. — Weit schlimmer gestalteten sich na-<lb/> türlich die finanziellen Verhältnisse, als die Stürme der Revolu-<lb/> tion hereinbrachen. Die neue und, auch bloſs finanziell betrachtet,<lb/> höchst drückende Belastung, die dem Staat aus der durch Gaius<lb/> Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung erwuchs den hauptstädti-<lb/> schen Bürgern das Getreide zu Schleuderpreisen zu verabfolgen<lb/> ward allerdings durch die in der Provinz Asia neu eröffneten Ein-<lb/> nahmequellen zunächst wieder ausgeglichen. Indeſs ist es nichts<lb/> desto weniger bemerkenswerth, daſs die öffentlichen Bauten seit-<lb/> dem fast gänzlich ins Stocken gekommen zu sein scheinen. So<lb/> zahlreich die erweislicher Maſsen von der Schlacht bei Pydna bis<lb/> auf Gaius Gracchus angelegten öffentlichen Werke sind, so kön-<lb/> nen wir dagegen aus der Zeit nach 632 kaum andere nachwei-<lb/> sen als die Brücken-, Straſsen- und Entsumpfungsanlagen, die<lb/> Marcus Aemilius Scaurus als Censor 645 anordnete. 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VIERTES BUCH. KAPITEL XI.
ten nicht aus, so daſs man nicht bloſs schlechterdings unfähig
war einen Seekrieg zu führen, sondern selbst den Piraten kaum zu
wehren vermochte. In Rom selbst unterblieben eine Menge der
nothwendigsten Verbesserungen und namentlich die Wasserbauten
wurden seltsam vernachlässigt. Immer noch besaſs die Hauptstadt
keine andere Brücke über die Tiber als den uralten hölzernen Steg,
der über die Tiberinsel nach dem Janiculum führte; immer noch
lieſs man die Tiber jährlich die Straſsen unter Wasser setzen und
Häuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, ohne etwas
für die Uferbefestigung zu thun; immer mehr lieſs man, wie ge-
waltig auch der überseeische Handel sich entwickelte, die an sich
schon schlechte Rhede von Ostia versanden. Eine Regierung, die
unter den günstigsten Verhältnissen und in einer Epoche vier-
zigjährigen Friedens nach auſsen und innen solche Pflichten ver-
säumt, kann vielleicht insofern ein glänzendes finanzielles Resultat
erzielen, als sie Steuern schwinden zu lassen und dennoch einen
jährlichen Ueberschuſs der Einnahme über die Ausgabe und einen
ansehnlichen Sparschatz nachzuweisen im Stande ist; aber nichts
desto weniger verdient eine derartige Finanzverwaltung dieselben
Vorwürfe der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung,
der verkehrten Volksschmeichelei, die auf jedem andern politi-
schen Gebiet gegen das senatorische Regiment dieser Epoche er-
hoben werden muſsten. — Weit schlimmer gestalteten sich na-
türlich die finanziellen Verhältnisse, als die Stürme der Revolu-
tion hereinbrachen. Die neue und, auch bloſs finanziell betrachtet,
höchst drückende Belastung, die dem Staat aus der durch Gaius
Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung erwuchs den hauptstädti-
schen Bürgern das Getreide zu Schleuderpreisen zu verabfolgen
ward allerdings durch die in der Provinz Asia neu eröffneten Ein-
nahmequellen zunächst wieder ausgeglichen. Indeſs ist es nichts
desto weniger bemerkenswerth, daſs die öffentlichen Bauten seit-
dem fast gänzlich ins Stocken gekommen zu sein scheinen. So
zahlreich die erweislicher Maſsen von der Schlacht bei Pydna bis
auf Gaius Gracchus angelegten öffentlichen Werke sind, so kön-
nen wir dagegen aus der Zeit nach 632 kaum andere nachwei-
sen als die Brücken-, Straſsen- und Entsumpfungsanlagen, die
Marcus Aemilius Scaurus als Censor 645 anordnete. Es muſs
dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der Kornvertheilungen
ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge des gesteiger-
ten Sparschatzsystems, wie es sich schickt für ein immer mehr
zur Oligarchie erstarrendes Regiment und wie es angedeutet ist
in der Angabe, daſs der römische Reservefonds seinen höchsten
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