Washington genannt zu werden; aber es ist doch ein Unterschied, ob man aus Bürgersinn nicht herrschen mag oder aus Blasirtheit das Scepter wegwirft.
Wie er nun aber war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem Gusse. Sein ganzes Leben zeugt von dem inner- lichen Gleichgewicht seines Wesens; in den verschiedensten La- gen blieb Sulla unverändert derselbe. Es war derselbe Sinn, der nach den glänzenden Erfolgen in Africa ihn wieder den haupt- städtischen Müssiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden liess in seiner cumanischen Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, dass ihm die öffentlichen Geschäfte eine Last seien, die er abwarf, so wie er durfte und konnte. Auch nach der Resignation blieb er völlig sich gleich, ohne Unmuth und ohne Affectation, froh der öffentlichen Geschäfte entledigt zu sein und dennoch hie und da eingreifend, wo die Gelegenheit sich bot. Jagd und Fischfang und die Abfassung seiner Memoiren füllten seine müssigen Stun- den; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen Bürger die inneren Verhältnisse der benachbarten Colonie Puteoli ebenso sorgfältig und rasch wie früher die Verhältnisse der Haupt- stadt. Seine letzte Thätigkeit auf dem Krankenlager bezog sich auf die Beitreibung eines Zuschusses zu dem Wiederaufbau des capi- tolinischen Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr ver- gönnt war. Wenig über ein Jahr nach seinem Rücktritt, im sech- zigsten Lebensjahr, frisch an Körper und Geist ward er vom Tode ereilt; nach kurzem Krankenlager -- noch zwei Tage vor seinem Tode schrieb er an seiner Selbstbiographie -- raffte ein Blut- sturz * ihn hinweg (676). Sein getreues Glück verliess ihn auch im Tode nicht. Er konnte nicht wünschen noch einmal in den widerwärtigen Strudel der Parteikämpfe hineingezogen zu werden und seine alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution führen zu müssen; und nach dem Stande der Dinge bei seinem Tode in Spanien und in Italien hätte bei längerem Leben ihm dies kaum erspart bleiben können. Schon jetzt, da von seiner feierlichen Bestattung in der Hauptstadt die Rede war, erhoben sich dort zahlreiche Stimmen, die bei seinen Lebzeiten geschwie- gen hatten, gegen die letzte Ehre, die man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. Aber noch war die Erinnerung zu frisch und die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig: es wurde be-
* Nicht die Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfa- chen Grunde, dass eine solche Krankheit nur in der Phantasie existirt.
VIERTES BUCH. KAPITEL X.
Washington genannt zu werden; aber es ist doch ein Unterschied, ob man aus Bürgersinn nicht herrschen mag oder aus Blasirtheit das Scepter wegwirft.
Wie er nun aber war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem Gusse. Sein ganzes Leben zeugt von dem inner- lichen Gleichgewicht seines Wesens; in den verschiedensten La- gen blieb Sulla unverändert derselbe. Es war derselbe Sinn, der nach den glänzenden Erfolgen in Africa ihn wieder den haupt- städtischen Müssiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden lieſs in seiner cumanischen Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, daſs ihm die öffentlichen Geschäfte eine Last seien, die er abwarf, so wie er durfte und konnte. Auch nach der Resignation blieb er völlig sich gleich, ohne Unmuth und ohne Affectation, froh der öffentlichen Geschäfte entledigt zu sein und dennoch hie und da eingreifend, wo die Gelegenheit sich bot. Jagd und Fischfang und die Abfassung seiner Memoiren füllten seine müssigen Stun- den; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen Bürger die inneren Verhältnisse der benachbarten Colonie Puteoli ebenso sorgfältig und rasch wie früher die Verhältnisse der Haupt- stadt. Seine letzte Thätigkeit auf dem Krankenlager bezog sich auf die Beitreibung eines Zuschusses zu dem Wiederaufbau des capi- tolinischen Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr ver- gönnt war. Wenig über ein Jahr nach seinem Rücktritt, im sech- zigsten Lebensjahr, frisch an Körper und Geist ward er vom Tode ereilt; nach kurzem Krankenlager — noch zwei Tage vor seinem Tode schrieb er an seiner Selbstbiographie — raffte ein Blut- sturz * ihn hinweg (676). Sein getreues Glück verlieſs ihn auch im Tode nicht. Er konnte nicht wünschen noch einmal in den widerwärtigen Strudel der Parteikämpfe hineingezogen zu werden und seine alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution führen zu müssen; und nach dem Stande der Dinge bei seinem Tode in Spanien und in Italien hätte bei längerem Leben ihm dies kaum erspart bleiben können. Schon jetzt, da von seiner feierlichen Bestattung in der Hauptstadt die Rede war, erhoben sich dort zahlreiche Stimmen, die bei seinen Lebzeiten geschwie- gen hatten, gegen die letzte Ehre, die man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. Aber noch war die Erinnerung zu frisch und die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig: es wurde be-
* Nicht die Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfa- chen Grunde, daſs eine solche Krankheit nur in der Phantasie existirt.
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VIERTES BUCH. KAPITEL X.
Washington genannt zu werden; aber es ist doch ein Unterschied,
ob man aus Bürgersinn nicht herrschen mag oder aus Blasirtheit
das Scepter wegwirft.
Wie er nun aber war, dieser Don Juan der Politik war ein
Mann aus einem Gusse. Sein ganzes Leben zeugt von dem inner-
lichen Gleichgewicht seines Wesens; in den verschiedensten La-
gen blieb Sulla unverändert derselbe. Es war derselbe Sinn, der
nach den glänzenden Erfolgen in Africa ihn wieder den haupt-
städtischen Müssiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der
absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden lieſs in seiner
cumanischen Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, daſs
ihm die öffentlichen Geschäfte eine Last seien, die er abwarf, so
wie er durfte und konnte. Auch nach der Resignation blieb er
völlig sich gleich, ohne Unmuth und ohne Affectation, froh der
öffentlichen Geschäfte entledigt zu sein und dennoch hie und da
eingreifend, wo die Gelegenheit sich bot. Jagd und Fischfang
und die Abfassung seiner Memoiren füllten seine müssigen Stun-
den; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen
Bürger die inneren Verhältnisse der benachbarten Colonie Puteoli
ebenso sorgfältig und rasch wie früher die Verhältnisse der Haupt-
stadt. Seine letzte Thätigkeit auf dem Krankenlager bezog sich auf
die Beitreibung eines Zuschusses zu dem Wiederaufbau des capi-
tolinischen Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr ver-
gönnt war. Wenig über ein Jahr nach seinem Rücktritt, im sech-
zigsten Lebensjahr, frisch an Körper und Geist ward er vom Tode
ereilt; nach kurzem Krankenlager — noch zwei Tage vor seinem
Tode schrieb er an seiner Selbstbiographie — raffte ein Blut-
sturz * ihn hinweg (676). Sein getreues Glück verlieſs ihn auch
im Tode nicht. Er konnte nicht wünschen noch einmal in den
widerwärtigen Strudel der Parteikämpfe hineingezogen zu werden
und seine alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution
führen zu müssen; und nach dem Stande der Dinge bei seinem
Tode in Spanien und in Italien hätte bei längerem Leben ihm
dies kaum erspart bleiben können. Schon jetzt, da von seiner
feierlichen Bestattung in der Hauptstadt die Rede war, erhoben
sich dort zahlreiche Stimmen, die bei seinen Lebzeiten geschwie-
gen hatten, gegen die letzte Ehre, die man dem Tyrannen zu
erweisen gedachte. Aber noch war die Erinnerung zu frisch und
die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig: es wurde be-
* Nicht die Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfa-
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/368>, abgerufen am 24.11.2024.
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