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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL X.
wenn überhaupt auf etwas, man ja doch auf nichts spannen
konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zuge der Zeit zu-
gleich dem Unglauben und dem Aberglauben sich zu ergeben
folgte auch er. Seine wunderliche Gläubigkeit ist nichts als der
gewöhnliche Glaube an das Absurde, der bei jedem von dem Ver-
trauen auf eine zusammenhängende Ordnung der Dinge durch
und durch zurückgekommenen Menschen sich einstellt. Sein
Glaube ist nicht der plebejische Köhlerglaube des Marius, der
von dem Pfaffen für Geld sich wahrsagen und seine Handlungen
durch ihn bestimmen lässt, noch weniger der finstere Verhäng-
nissglaube des Fanatikers, sondern der Aberglaube des glückli-
chen Spielers, der sich vom Schicksal privilegirt erachtet jedes-
mal und überall die rechte Nummer zu werfen. In praktischen
Fragen verstand Sulla sehr wohl mit den Anforderungen der Re-
ligion ironisch sich abzufinden. Als er die Schatzkammern der
griechischen Tempel leerte, äusserte er, dass es demjenigen nim-
mermehr fehlen könne, dem die Götter selber die Kasse füllten.
Als die delphischen Priester ihm sagen liessen, dass sie sich scheu-
ten die verlangten Schätze zu senden, da die Zither des Gottes
hell geklungen, als man sie berührt, liess er ihnen zurücksagen,
dass man sie nun um so mehr schicken möge, denn offenbar
stimme der Gott seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er
nicht weniger gern sich in dem Gedanken der auserwählte Lieb-
ling der Götter zu sein, vor allem jener, der er bis in seine spä-
ten Jahre vor allen den Preis gab, der Aphrodite. In seinen
Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie rühmte er sich
vielfach des Verkehrs, den in Träumen und Anzeichen die Un-
sterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig Andere ein
Recht auf seine Thaten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber
stolz auf sein einzig treues Glück. Er pflegte wohl zu sagen, dass
jedes improvisirte Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das
planmässig angelegte, und eine seiner wunderlichsten Marotten, die
Zahl der in den Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regel-
mässig als null anzugeben, ist doch auch nichts als die Kinderei
eines Glückskindes. Es war nur der Ausdruck der ihm natürlichen
Stimmung, als er auf dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt und
all seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe unter sich sehend,
die Bezeichnung des Glücklichen, Sulla Felix, als förmlichen Bei-
namen annahm und auch seinen Kindern entsprechende Benen-
nungen beilegte. -- Nichts lag Sulla ferner als der planmässige
Ehrgeiz. Er war zu gescheit um gleich den Dutzendaristokraten
seiner Zeit die Verzeichnung seines Namens in die consularischen

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wenn überhaupt auf etwas, man ja doch auf nichts spannen
konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zuge der Zeit zu-
gleich dem Unglauben und dem Aberglauben sich zu ergeben
folgte auch er. Seine wunderliche Gläubigkeit ist nichts als der
gewöhnliche Glaube an das Absurde, der bei jedem von dem Ver-
trauen auf eine zusammenhängende Ordnung der Dinge durch
und durch zurückgekommenen Menschen sich einstellt. Sein
Glaube ist nicht der plebejische Köhlerglaube des Marius, der
von dem Pfaffen für Geld sich wahrsagen und seine Handlungen
durch ihn bestimmen läſst, noch weniger der finstere Verhäng-
niſsglaube des Fanatikers, sondern der Aberglaube des glückli-
chen Spielers, der sich vom Schicksal privilegirt erachtet jedes-
mal und überall die rechte Nummer zu werfen. In praktischen
Fragen verstand Sulla sehr wohl mit den Anforderungen der Re-
ligion ironisch sich abzufinden. Als er die Schatzkammern der
griechischen Tempel leerte, äuſserte er, daſs es demjenigen nim-
mermehr fehlen könne, dem die Götter selber die Kasse füllten.
Als die delphischen Priester ihm sagen lieſsen, daſs sie sich scheu-
ten die verlangten Schätze zu senden, da die Zither des Gottes
hell geklungen, als man sie berührt, lieſs er ihnen zurücksagen,
daſs man sie nun um so mehr schicken möge, denn offenbar
stimme der Gott seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er
nicht weniger gern sich in dem Gedanken der auserwählte Lieb-
ling der Götter zu sein, vor allem jener, der er bis in seine spä-
ten Jahre vor allen den Preis gab, der Aphrodite. In seinen
Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie rühmte er sich
vielfach des Verkehrs, den in Träumen und Anzeichen die Un-
sterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig Andere ein
Recht auf seine Thaten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber
stolz auf sein einzig treues Glück. Er pflegte wohl zu sagen, daſs
jedes improvisirte Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das
planmäſsig angelegte, und eine seiner wunderlichsten Marotten, die
Zahl der in den Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regel-
mäſsig als null anzugeben, ist doch auch nichts als die Kinderei
eines Glückskindes. Es war nur der Ausdruck der ihm natürlichen
Stimmung, als er auf dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt und
all seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe unter sich sehend,
die Bezeichnung des Glücklichen, Sulla Felix, als förmlichen Bei-
namen annahm und auch seinen Kindern entsprechende Benen-
nungen beilegte. — Nichts lag Sulla ferner als der planmäſsige
Ehrgeiz. Er war zu gescheit um gleich den Dutzendaristokraten
seiner Zeit die Verzeichnung seines Namens in die consularischen

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[352/0362] VIERTES BUCH. KAPITEL X. wenn überhaupt auf etwas, man ja doch auf nichts spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zuge der Zeit zu- gleich dem Unglauben und dem Aberglauben sich zu ergeben folgte auch er. Seine wunderliche Gläubigkeit ist nichts als der gewöhnliche Glaube an das Absurde, der bei jedem von dem Ver- trauen auf eine zusammenhängende Ordnung der Dinge durch und durch zurückgekommenen Menschen sich einstellt. Sein Glaube ist nicht der plebejische Köhlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen für Geld sich wahrsagen und seine Handlungen durch ihn bestimmen läſst, noch weniger der finstere Verhäng- niſsglaube des Fanatikers, sondern der Aberglaube des glückli- chen Spielers, der sich vom Schicksal privilegirt erachtet jedes- mal und überall die rechte Nummer zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl mit den Anforderungen der Re- ligion ironisch sich abzufinden. Als er die Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, äuſserte er, daſs es demjenigen nim- mermehr fehlen könne, dem die Götter selber die Kasse füllten. Als die delphischen Priester ihm sagen lieſsen, daſs sie sich scheu- ten die verlangten Schätze zu senden, da die Zither des Gottes hell geklungen, als man sie berührt, lieſs er ihnen zurücksagen, daſs man sie nun um so mehr schicken möge, denn offenbar stimme der Gott seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem Gedanken der auserwählte Lieb- ling der Götter zu sein, vor allem jener, der er bis in seine spä- ten Jahre vor allen den Preis gab, der Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie rühmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Träumen und Anzeichen die Un- sterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig Andere ein Recht auf seine Thaten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf sein einzig treues Glück. Er pflegte wohl zu sagen, daſs jedes improvisirte Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmäſsig angelegte, und eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regel- mäſsig als null anzugeben, ist doch auch nichts als die Kinderei eines Glückskindes. Es war nur der Ausdruck der ihm natürlichen Stimmung, als er auf dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt und all seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe unter sich sehend, die Bezeichnung des Glücklichen, Sulla Felix, als förmlichen Bei- namen annahm und auch seinen Kindern entsprechende Benen- nungen beilegte. — Nichts lag Sulla ferner als der planmäſsige Ehrgeiz. Er war zu gescheit um gleich den Dutzendaristokraten seiner Zeit die Verzeichnung seines Namens in die consularischen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/362>, abgerufen am 27.11.2024.