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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
und unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als ange-
nehmer Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe
Bekannte fanden in ihm den theilnehmenden Freund und den be-
reitwilligen Helfer in der Noth, der sein Gold weit lieber seinem
bedrängten Genossen als seinem reichen Gläubiger gönnte. Lei-
denschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den
Frauen; selbst in seinen späteren Jahren war er nicht mehr Re-
gent, wenn er nach vollbrachtem Tagesgeschäft sich zur Tafel
setzte. Ein Zug der Ironie, man könnte vielleicht sagen der Bouf-
fonerie, geht durch seine ganze Natur. Noch als Regent befahl
er, während er die Versteigerung der Güter der Geächteten lei-
tete, für ein ihm überreichtes schlechtes Gedicht zu seinem Preise
dem Verfasser eine Verehrung aus der Beute zu verabreichen unter
der Bedingung, dass er gelobe ihn niemals wieder zu besingen.
Als er vor der Bürgerschaft Ofellas Hinrichtung rechtfertigte,
geschah es, indem er den Leuten eine Fabel erzählte von dem
Ackersmann und den Läusen. Es ist bezeichnend, dass er seine
Gesellen gern unter den Schauspielern sich auswählte und es
liebte nicht bloss mit Quintus Roscius, dem römischen Talma,
sondern auch mit viel geringeren Bühnenleuten beim Weine zu
sitzen, wie er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur
Aufführung für seinen Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in
diesen lustigen Bacchanalien ihm weder die körperliche noch die
geistige Spannkraft verloren; noch in der ländlichen Musse seiner
letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob und dass er aus dem er-
oberten Athen die aristotelischen Schriften nach Rom brachte,
beweist doch wohl für sein Interesse auch an ernsterer Lectüre.
Das specifische Römerthum stiess ihn eher ab. Von der plumpen
Morgue, die die römischen Grossen gegenüber den Griechen zu ent-
wickeln liebten, und von der Feierlichkeit beschränkter grosser Män-
ner hatte Sulla nichts, vielmehr liess er gern sich gehen und machte
sich nichts daraus zum Scandal mancher seiner Landsleute in
griechischen Städten in griechischer Tracht zu erscheinen oder
auch seine Freunde zu veranlassen bei den Spielen selber die
Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den halb
patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in
Ländern freier Verfassung jede jugendliche Capacität auf den po-
litischen Tummelplatz locken; in einem Leben, wie das seine
war, schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr
als nüchternem Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen.
Wünschen und Streben mochte ihm eine Thorheit erscheinen in
einer Welt, die doch unbedingt vom Zufall regiert ward und wo

DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
und unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als ange-
nehmer Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe
Bekannte fanden in ihm den theilnehmenden Freund und den be-
reitwilligen Helfer in der Noth, der sein Gold weit lieber seinem
bedrängten Genossen als seinem reichen Gläubiger gönnte. Lei-
denschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den
Frauen; selbst in seinen späteren Jahren war er nicht mehr Re-
gent, wenn er nach vollbrachtem Tagesgeschäft sich zur Tafel
setzte. Ein Zug der Ironie, man könnte vielleicht sagen der Bouf-
fonerie, geht durch seine ganze Natur. Noch als Regent befahl
er, während er die Versteigerung der Güter der Geächteten lei-
tete, für ein ihm überreichtes schlechtes Gedicht zu seinem Preise
dem Verfasser eine Verehrung aus der Beute zu verabreichen unter
der Bedingung, daſs er gelobe ihn niemals wieder zu besingen.
Als er vor der Bürgerschaft Ofellas Hinrichtung rechtfertigte,
geschah es, indem er den Leuten eine Fabel erzählte von dem
Ackersmann und den Läusen. Es ist bezeichnend, daſs er seine
Gesellen gern unter den Schauspielern sich auswählte und es
liebte nicht bloſs mit Quintus Roscius, dem römischen Talma,
sondern auch mit viel geringeren Bühnenleuten beim Weine zu
sitzen, wie er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur
Aufführung für seinen Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in
diesen lustigen Bacchanalien ihm weder die körperliche noch die
geistige Spannkraft verloren; noch in der ländlichen Muſse seiner
letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob und daſs er aus dem er-
oberten Athen die aristotelischen Schriften nach Rom brachte,
beweist doch wohl für sein Interesse auch an ernsterer Lectüre.
Das specifische Römerthum stieſs ihn eher ab. Von der plumpen
Morgue, die die römischen Groſsen gegenüber den Griechen zu ent-
wickeln liebten, und von der Feierlichkeit beschränkter groſser Män-
ner hatte Sulla nichts, vielmehr lieſs er gern sich gehen und machte
sich nichts daraus zum Scandal mancher seiner Landsleute in
griechischen Städten in griechischer Tracht zu erscheinen oder
auch seine Freunde zu veranlassen bei den Spielen selber die
Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den halb
patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in
Ländern freier Verfassung jede jugendliche Capacität auf den po-
litischen Tummelplatz locken; in einem Leben, wie das seine
war, schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr
als nüchternem Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen.
Wünschen und Streben mochte ihm eine Thorheit erscheinen in
einer Welt, die doch unbedingt vom Zufall regiert ward und wo

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[351/0361] DIE SULLANISCHE VERFASSUNG. und unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als ange- nehmer Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe Bekannte fanden in ihm den theilnehmenden Freund und den be- reitwilligen Helfer in der Noth, der sein Gold weit lieber seinem bedrängten Genossen als seinem reichen Gläubiger gönnte. Lei- denschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den Frauen; selbst in seinen späteren Jahren war er nicht mehr Re- gent, wenn er nach vollbrachtem Tagesgeschäft sich zur Tafel setzte. Ein Zug der Ironie, man könnte vielleicht sagen der Bouf- fonerie, geht durch seine ganze Natur. Noch als Regent befahl er, während er die Versteigerung der Güter der Geächteten lei- tete, für ein ihm überreichtes schlechtes Gedicht zu seinem Preise dem Verfasser eine Verehrung aus der Beute zu verabreichen unter der Bedingung, daſs er gelobe ihn niemals wieder zu besingen. Als er vor der Bürgerschaft Ofellas Hinrichtung rechtfertigte, geschah es, indem er den Leuten eine Fabel erzählte von dem Ackersmann und den Läusen. Es ist bezeichnend, daſs er seine Gesellen gern unter den Schauspielern sich auswählte und es liebte nicht bloſs mit Quintus Roscius, dem römischen Talma, sondern auch mit viel geringeren Bühnenleuten beim Weine zu sitzen, wie er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur Aufführung für seinen Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in diesen lustigen Bacchanalien ihm weder die körperliche noch die geistige Spannkraft verloren; noch in der ländlichen Muſse seiner letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob und daſs er aus dem er- oberten Athen die aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist doch wohl für sein Interesse auch an ernsterer Lectüre. Das specifische Römerthum stieſs ihn eher ab. Von der plumpen Morgue, die die römischen Groſsen gegenüber den Griechen zu ent- wickeln liebten, und von der Feierlichkeit beschränkter groſser Män- ner hatte Sulla nichts, vielmehr lieſs er gern sich gehen und machte sich nichts daraus zum Scandal mancher seiner Landsleute in griechischen Städten in griechischer Tracht zu erscheinen oder auch seine Freunde zu veranlassen bei den Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in Ländern freier Verfassung jede jugendliche Capacität auf den po- litischen Tummelplatz locken; in einem Leben, wie das seine war, schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nüchternem Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wünschen und Streben mochte ihm eine Thorheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom Zufall regiert ward und wo

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/361>, abgerufen am 27.11.2024.