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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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den neuen Einrichtungen zwar manches, namentlich in der Co-
lonisirung, noch zurück, aber doch das Meiste und Wichtigste
vollendet war, so liess er den Wahlen für 675 freien Lauf, lehnte
die Wiederwahl zum Consulat als mit seinen eigenen Ordnungen
unvereinbar ab, und legte, bald nachdem die neuen Consuln Pu-
blius Servilius und Appius Claudius ihr Amt angetreten hatten,
im Anfang des J. 675 die Regentschaft nieder. Es ergriff selbst
starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit dem Leben und
dem Eigenthum von Millionen nach Willkür geschaltet hatte, auf
dessen Wink so viele Häupter gefallen waren, dem in jeder Gasse
der Capitale, in jeder Stadt Italiens Todtfeinde wohnten, und der
ohne einen ebenbürtigen Verbündeten, ja genau genommen ohne
den Rückhalt einer festen Partei sein tausend Interessen und
Meinungen verletzendes Werk der Reorganisation des Staates zu
Ende geführt hatte, als dieser Mann auf den Marktplatz der Haupt-
stadt trat, sich seiner Machtfülle freiwillig begab, seine bewaff-
neten Begleiter verabschiedete, seine Gerichtsdiener entliess und
die dichtgedrängte Bürgerschaft aufforderte zu reden, wenn einer
von ihm Rechenschaft begehre. Alles schwieg; Sulla stieg herab
von der Rednerbühne und zu Fuss, nur von den Seinigen be-
gleitet, ging er mitten durch eben jenen Pöbel, der ihm vor acht
Jahren das Haus geschleift hatte, zurück nach seiner Wohnung.

Die Nachwelt hat weder Sulla selbst noch seinem Reorgani-
sationswerk volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, wie sie denn
unbillig zu sein pflegt gegen die Persönlichkeiten, die dem Strom
der Zeiten sich entgegenstemmen. In der That ist Sulla eine von
den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen eine einzige Er-
scheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein San-
guiniker, blauäugig, blond, von auffallend weisser, aber bei jeder
leidenschaftlichen Bewegung sich röthender Gesichtsfarbe, übri-
gens ein schöner, feurig blickender Mann, schien er nicht eben
bestimmt dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, die seit sei-
nes Grossvaters Grossvater Publius Cornelius Rufinus (Consul
464. 477), einem der angesehensten Feldherrn und zugleich dem
prunkliebendsten Mann der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zwei-
ten Ranges verharrt hatten. Er begehrte vom Leben nichts als
heiteren Genuss. Aufgewachsen in dem Raffinement des gebil-
deten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den minder reichen
senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemächtigte er
rasch und behend sich der ganzen Fülle sinnlich geistiger Ge-
nüsse, welche die Verbindung hellenischer Feinheit und römi-
schen Reichthums zu gewähren vermochten. Im adlichen Salon

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den neuen Einrichtungen zwar manches, namentlich in der Co-
lonisirung, noch zurück, aber doch das Meiste und Wichtigste
vollendet war, so lieſs er den Wahlen für 675 freien Lauf, lehnte
die Wiederwahl zum Consulat als mit seinen eigenen Ordnungen
unvereinbar ab, und legte, bald nachdem die neuen Consuln Pu-
blius Servilius und Appius Claudius ihr Amt angetreten hatten,
im Anfang des J. 675 die Regentschaft nieder. Es ergriff selbst
starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit dem Leben und
dem Eigenthum von Millionen nach Willkür geschaltet hatte, auf
dessen Wink so viele Häupter gefallen waren, dem in jeder Gasse
der Capitale, in jeder Stadt Italiens Todtfeinde wohnten, und der
ohne einen ebenbürtigen Verbündeten, ja genau genommen ohne
den Rückhalt einer festen Partei sein tausend Interessen und
Meinungen verletzendes Werk der Reorganisation des Staates zu
Ende geführt hatte, als dieser Mann auf den Marktplatz der Haupt-
stadt trat, sich seiner Machtfülle freiwillig begab, seine bewaff-
neten Begleiter verabschiedete, seine Gerichtsdiener entlieſs und
die dichtgedrängte Bürgerschaft aufforderte zu reden, wenn einer
von ihm Rechenschaft begehre. Alles schwieg; Sulla stieg herab
von der Rednerbühne und zu Fuſs, nur von den Seinigen be-
gleitet, ging er mitten durch eben jenen Pöbel, der ihm vor acht
Jahren das Haus geschleift hatte, zurück nach seiner Wohnung.

Die Nachwelt hat weder Sulla selbst noch seinem Reorgani-
sationswerk volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, wie sie denn
unbillig zu sein pflegt gegen die Persönlichkeiten, die dem Strom
der Zeiten sich entgegenstemmen. In der That ist Sulla eine von
den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen eine einzige Er-
scheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein San-
guiniker, blauäugig, blond, von auffallend weiſser, aber bei jeder
leidenschaftlichen Bewegung sich röthender Gesichtsfarbe, übri-
gens ein schöner, feurig blickender Mann, schien er nicht eben
bestimmt dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, die seit sei-
nes Groſsvaters Groſsvater Publius Cornelius Rufinus (Consul
464. 477), einem der angesehensten Feldherrn und zugleich dem
prunkliebendsten Mann der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zwei-
ten Ranges verharrt hatten. Er begehrte vom Leben nichts als
heiteren Genuſs. Aufgewachsen in dem Raffinement des gebil-
deten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den minder reichen
senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemächtigte er
rasch und behend sich der ganzen Fülle sinnlich geistiger Ge-
nüsse, welche die Verbindung hellenischer Feinheit und römi-
schen Reichthums zu gewähren vermochten. Im adlichen Salon

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[350/0360] VIERTES BUCH. KAPITEL X. den neuen Einrichtungen zwar manches, namentlich in der Co- lonisirung, noch zurück, aber doch das Meiste und Wichtigste vollendet war, so lieſs er den Wahlen für 675 freien Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Consulat als mit seinen eigenen Ordnungen unvereinbar ab, und legte, bald nachdem die neuen Consuln Pu- blius Servilius und Appius Claudius ihr Amt angetreten hatten, im Anfang des J. 675 die Regentschaft nieder. Es ergriff selbst starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit dem Leben und dem Eigenthum von Millionen nach Willkür geschaltet hatte, auf dessen Wink so viele Häupter gefallen waren, dem in jeder Gasse der Capitale, in jeder Stadt Italiens Todtfeinde wohnten, und der ohne einen ebenbürtigen Verbündeten, ja genau genommen ohne den Rückhalt einer festen Partei sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk der Reorganisation des Staates zu Ende geführt hatte, als dieser Mann auf den Marktplatz der Haupt- stadt trat, sich seiner Machtfülle freiwillig begab, seine bewaff- neten Begleiter verabschiedete, seine Gerichtsdiener entlieſs und die dichtgedrängte Bürgerschaft aufforderte zu reden, wenn einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles schwieg; Sulla stieg herab von der Rednerbühne und zu Fuſs, nur von den Seinigen be- gleitet, ging er mitten durch eben jenen Pöbel, der ihm vor acht Jahren das Haus geschleift hatte, zurück nach seiner Wohnung. Die Nachwelt hat weder Sulla selbst noch seinem Reorgani- sationswerk volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, wie sie denn unbillig zu sein pflegt gegen die Persönlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich entgegenstemmen. In der That ist Sulla eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen eine einzige Er- scheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein San- guiniker, blauäugig, blond, von auffallend weiſser, aber bei jeder leidenschaftlichen Bewegung sich röthender Gesichtsfarbe, übri- gens ein schöner, feurig blickender Mann, schien er nicht eben bestimmt dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, die seit sei- nes Groſsvaters Groſsvater Publius Cornelius Rufinus (Consul 464. 477), einem der angesehensten Feldherrn und zugleich dem prunkliebendsten Mann der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zwei- ten Ranges verharrt hatten. Er begehrte vom Leben nichts als heiteren Genuſs. Aufgewachsen in dem Raffinement des gebil- deten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den minder reichen senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemächtigte er rasch und behend sich der ganzen Fülle sinnlich geistiger Ge- nüsse, welche die Verbindung hellenischer Feinheit und römi- schen Reichthums zu gewähren vermochten. Im adlichen Salon

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/360>, abgerufen am 23.11.2024.