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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL I.
mittel verabfolgt. Als im Hauptquartier vor Utica die gesammte
Gerusia von Karthago erschien um die weiteren Befehle entgegen
zu nehmen, begehrten die Consuln zunächst die Entwaffnung der
Stadt. Auf die Frage der Karthager, wer sie sodann auch nur gegen
ihre eigenen Ausgewanderten, gegen die auf 20000 Mann ange-
schwollene Armee des dem Todesurtheil entronnenen Hasdrubal
beschützen solle, ward ihnen erwiedert, dass dies die Sorge der
Römer sein werde. Mit allem Flottenmaterial, allen Kriegsvorrä-
then der öffentlichen Zeughäuser, allen im Privatbesitz befindli-
chen Waffen -- man zählte 3000 Wurfgeschütze und 200000
volle Rüstungen -- erschien demnach der Rath der Stadt gehor-
sam vor den Consuln und fragte an, ob noch Weiteres begehrt
werde. Da erhob sich der Consul Lucius Marcius Censorinus
und eröffnete dem Rath, dass in Gemässheit der vom Senat erlas-
senen Instruction die bisherige Stadt der Karthager zerstört wer-
den müsse, den Bewohnern aber freistehen solle sich wo sie sonst
wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Mei-
len vom Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fürchter-
liche Befehl rüttelte in den Phönikern die ganze soll man sagen
hochherzige oder wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die
Tyrier gegen Alexander und später die Juden gegen Vespasian
bewiesen. Beispiellos wie die Geduld war, mit der diese Nation
Knechtschaft und Druck zu ertragen vermochte, ebenso beispiel-
los war jetzt, wo es sich nicht um Staat und Freiheit handelte,
sondern um den eigenen geliebten Boden der Vaterstadt und die
altgewohnte theure Meeresheimath, die rasende Empörung der
kaufmännischen und seefahrenden Bevölkerung. Von Hoffnung
und Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand
gebot ohne Frage auch jetzt sich zu fügen -- aber wie der Ruf
des Fährmannes im Orkan verscholl die Stimme der Wenigen,
welche mahnten das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, in dem
brausenden Wuthgeheul der Menge, die in ihrem wahnsinnigen
Toben theils an den Beamten der Stadt sich vergriff, welche zur
Auslieferung der Geisseln und Waffen gerathen hatten, theils die
unschuldigen Träger der Botschaft, so viele von ihnen überhaupt
heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten
liess, theils die zufällig in der Stadt verweilenden Italiker zerriss,
um wenigstens an diesen Rache zu nehmen für die Vernichtung
der Heimath. Man beschloss nicht, sich zu wehren; wehrlos wie
man war verstand sich dies von selbst. Die Thore wurden ge-
schlossen, auf die von Wurfgeschossen entblössten Mauerzinnen
Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal den Tochtersohn

VIERTES BUCH. KAPITEL I.
mittel verabfolgt. Als im Hauptquartier vor Utica die gesammte
Gerusia von Karthago erschien um die weiteren Befehle entgegen
zu nehmen, begehrten die Consuln zunächst die Entwaffnung der
Stadt. Auf die Frage der Karthager, wer sie sodann auch nur gegen
ihre eigenen Ausgewanderten, gegen die auf 20000 Mann ange-
schwollene Armee des dem Todesurtheil entronnenen Hasdrubal
beschützen solle, ward ihnen erwiedert, daſs dies die Sorge der
Römer sein werde. Mit allem Flottenmaterial, allen Kriegsvorrä-
then der öffentlichen Zeughäuser, allen im Privatbesitz befindli-
chen Waffen — man zählte 3000 Wurfgeschütze und 200000
volle Rüstungen — erschien demnach der Rath der Stadt gehor-
sam vor den Consuln und fragte an, ob noch Weiteres begehrt
werde. Da erhob sich der Consul Lucius Marcius Censorinus
und eröffnete dem Rath, daſs in Gemäſsheit der vom Senat erlas-
senen Instruction die bisherige Stadt der Karthager zerstört wer-
den müsse, den Bewohnern aber freistehen solle sich wo sie sonst
wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Mei-
len vom Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fürchter-
liche Befehl rüttelte in den Phönikern die ganze soll man sagen
hochherzige oder wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die
Tyrier gegen Alexander und später die Juden gegen Vespasian
bewiesen. Beispiellos wie die Geduld war, mit der diese Nation
Knechtschaft und Druck zu ertragen vermochte, ebenso beispiel-
los war jetzt, wo es sich nicht um Staat und Freiheit handelte,
sondern um den eigenen geliebten Boden der Vaterstadt und die
altgewohnte theure Meeresheimath, die rasende Empörung der
kaufmännischen und seefahrenden Bevölkerung. Von Hoffnung
und Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand
gebot ohne Frage auch jetzt sich zu fügen — aber wie der Ruf
des Fährmannes im Orkan verscholl die Stimme der Wenigen,
welche mahnten das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, in dem
brausenden Wuthgeheul der Menge, die in ihrem wahnsinnigen
Toben theils an den Beamten der Stadt sich vergriff, welche zur
Auslieferung der Geiſseln und Waffen gerathen hatten, theils die
unschuldigen Träger der Botschaft, so viele von ihnen überhaupt
heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten
lieſs, theils die zufällig in der Stadt verweilenden Italiker zerriſs,
um wenigstens an diesen Rache zu nehmen für die Vernichtung
der Heimath. Man beschloſs nicht, sich zu wehren; wehrlos wie
man war verstand sich dies von selbst. Die Thore wurden ge-
schlossen, auf die von Wurfgeschossen entblöſsten Mauerzinnen
Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal den Tochtersohn

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[26/0036] VIERTES BUCH. KAPITEL I. mittel verabfolgt. Als im Hauptquartier vor Utica die gesammte Gerusia von Karthago erschien um die weiteren Befehle entgegen zu nehmen, begehrten die Consuln zunächst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten, gegen die auf 20000 Mann ange- schwollene Armee des dem Todesurtheil entronnenen Hasdrubal beschützen solle, ward ihnen erwiedert, daſs dies die Sorge der Römer sein werde. Mit allem Flottenmaterial, allen Kriegsvorrä- then der öffentlichen Zeughäuser, allen im Privatbesitz befindli- chen Waffen — man zählte 3000 Wurfgeschütze und 200000 volle Rüstungen — erschien demnach der Rath der Stadt gehor- sam vor den Consuln und fragte an, ob noch Weiteres begehrt werde. Da erhob sich der Consul Lucius Marcius Censorinus und eröffnete dem Rath, daſs in Gemäſsheit der vom Senat erlas- senen Instruction die bisherige Stadt der Karthager zerstört wer- den müsse, den Bewohnern aber freistehen solle sich wo sie sonst wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Mei- len vom Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fürchter- liche Befehl rüttelte in den Phönikern die ganze soll man sagen hochherzige oder wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander und später die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen vermochte, ebenso beispiel- los war jetzt, wo es sich nicht um Staat und Freiheit handelte, sondern um den eigenen geliebten Boden der Vaterstadt und die altgewohnte theure Meeresheimath, die rasende Empörung der kaufmännischen und seefahrenden Bevölkerung. Von Hoffnung und Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne Frage auch jetzt sich zu fügen — aber wie der Ruf des Fährmannes im Orkan verscholl die Stimme der Wenigen, welche mahnten das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, in dem brausenden Wuthgeheul der Menge, die in ihrem wahnsinnigen Toben theils an den Beamten der Stadt sich vergriff, welche zur Auslieferung der Geiſseln und Waffen gerathen hatten, theils die unschuldigen Träger der Botschaft, so viele von ihnen überhaupt heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten lieſs, theils die zufällig in der Stadt verweilenden Italiker zerriſs, um wenigstens an diesen Rache zu nehmen für die Vernichtung der Heimath. Man beschloſs nicht, sich zu wehren; wehrlos wie man war verstand sich dies von selbst. Die Thore wurden ge- schlossen, auf die von Wurfgeschossen entblöſsten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal den Tochtersohn

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/36>, abgerufen am 24.11.2024.