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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL X.
dentlichen Richtern, die den beiden Prätoren, zwei Marktrichtern,
die den curulischen Aedilen entsprechen. Die Censurgeschäfte,
die wie in Rom von fünf zu fünf Jahren sich erneuerten und
allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung der Gemeinde-
bauten bestanden, wurden von den höchsten Gemeindebeamten,
also den beiden ordentlichen Gerichtsherren mit übernommen,
welche in diesem Fall den auszeichnenden Titel ,der Gerichts-
herren mit censorischer oder Fünfjahrgewalt' annahmen. Die
Gemeindekasse verwalteten zwei Quästoren. Für das Sacral-
wesen sorgten zunächst die beiden der ältesten latinischen Ver-
fassung allein bekannten Collegien priesterlicher Sachverständigen,
die municipalen Pontifices und Augurn. -- Was das Verhältniss
dieses secundären politischen Organismus zu dem primären des
Staates anlangt, so standen im Allgemeinen alle politischen Be-
fugnisse jenem wie diesem zu und band also der Gemeindebe-
schluss und das Imperium der Gemeindebeamten die Gemeinde-
glieder ebenso wie der Volksschluss und das consularische Im-
perium den Römer; allein im Collisionsfall wich die Gemeinde
dem Staate, brach also der Volksschluss den Stadtschluss, hatte
bei der Volksschätzung und Volksbesteurung jeder Stadtbürger
von Rechtswegen sich zu melden und zu steuern, ohne dass die
etwanigen städtischen Steuern und Schätzungen dabei berück-
sichtigt worden wären, durften öffentliche Bauten sowohl von
den römischen Beamten in ganz Italien als auch von den städti-
schen in ihrem Sprengel angeordnet werden und was dessen
mehr ist. Eine förmliche Competenztheilung fand wohl nur in
der Rechtspflege statt, wo das reine Concurrenzsystem zu der
grössten Verwirrung geführt haben würde; hier wurden im Cri-
minalprozess vermuthlich alle Capitalsachen, im Civilverfahren die
schwereren und ein selbstständiges Auftreten des dirigirenden
Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstädtischen Behör-
den und Geschwornen reservirt und die italischen Stadtgerichte
auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr drin-
genden Rechtshändel beschränkt. -- Die Entstehung dieses ita-
lischen Gemeindewesens ist nicht überliefert. Es ist wahrschein-
lich, dass sie in einzelnen Anfängen und Ausnahmsbestimmun-
gen zurückgeht auf die grossen Bürgercolonien, die am Ende des
sechsten Jahrhunderts gegründet wurden (I, 609), wenigstens deu-
ten einzelne an sich bedeutungslose formelle Differenzen zwischen
Bürgercolonien und Bürgermunicipien darauf hin, dass die neue
damals praktisch an die Stelle der latinischen tretende Bürger-
colonie doch staatsrechtlich noch etwas anderes war als ein von

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dentlichen Richtern, die den beiden Prätoren, zwei Marktrichtern,
die den curulischen Aedilen entsprechen. Die Censurgeschäfte,
die wie in Rom von fünf zu fünf Jahren sich erneuerten und
allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung der Gemeinde-
bauten bestanden, wurden von den höchsten Gemeindebeamten,
also den beiden ordentlichen Gerichtsherren mit übernommen,
welche in diesem Fall den auszeichnenden Titel ‚der Gerichts-
herren mit censorischer oder Fünfjahrgewalt‘ annahmen. Die
Gemeindekasse verwalteten zwei Quästoren. Für das Sacral-
wesen sorgten zunächst die beiden der ältesten latinischen Ver-
fassung allein bekannten Collegien priesterlicher Sachverständigen,
die municipalen Pontifices und Augurn. — Was das Verhältniſs
dieses secundären politischen Organismus zu dem primären des
Staates anlangt, so standen im Allgemeinen alle politischen Be-
fugnisse jenem wie diesem zu und band also der Gemeindebe-
schluſs und das Imperium der Gemeindebeamten die Gemeinde-
glieder ebenso wie der Volksschluſs und das consularische Im-
perium den Römer; allein im Collisionsfall wich die Gemeinde
dem Staate, brach also der Volksschluſs den Stadtschluſs, hatte
bei der Volksschätzung und Volksbesteurung jeder Stadtbürger
von Rechtswegen sich zu melden und zu steuern, ohne daſs die
etwanigen städtischen Steuern und Schätzungen dabei berück-
sichtigt worden wären, durften öffentliche Bauten sowohl von
den römischen Beamten in ganz Italien als auch von den städti-
schen in ihrem Sprengel angeordnet werden und was dessen
mehr ist. Eine förmliche Competenztheilung fand wohl nur in
der Rechtspflege statt, wo das reine Concurrenzsystem zu der
gröſsten Verwirrung geführt haben würde; hier wurden im Cri-
minalprozeſs vermuthlich alle Capitalsachen, im Civilverfahren die
schwereren und ein selbstständiges Auftreten des dirigirenden
Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstädtischen Behör-
den und Geschwornen reservirt und die italischen Stadtgerichte
auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr drin-
genden Rechtshändel beschränkt. — Die Entstehung dieses ita-
lischen Gemeindewesens ist nicht überliefert. Es ist wahrschein-
lich, daſs sie in einzelnen Anfängen und Ausnahmsbestimmun-
gen zurückgeht auf die groſsen Bürgercolonien, die am Ende des
sechsten Jahrhunderts gegründet wurden (I, 609), wenigstens deu-
ten einzelne an sich bedeutungslose formelle Differenzen zwischen
Bürgercolonien und Bürgermunicipien darauf hin, daſs die neue
damals praktisch an die Stelle der latinischen tretende Bürger-
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[346/0356] VIERTES BUCH. KAPITEL X. dentlichen Richtern, die den beiden Prätoren, zwei Marktrichtern, die den curulischen Aedilen entsprechen. Die Censurgeschäfte, die wie in Rom von fünf zu fünf Jahren sich erneuerten und allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung der Gemeinde- bauten bestanden, wurden von den höchsten Gemeindebeamten, also den beiden ordentlichen Gerichtsherren mit übernommen, welche in diesem Fall den auszeichnenden Titel ‚der Gerichts- herren mit censorischer oder Fünfjahrgewalt‘ annahmen. Die Gemeindekasse verwalteten zwei Quästoren. Für das Sacral- wesen sorgten zunächst die beiden der ältesten latinischen Ver- fassung allein bekannten Collegien priesterlicher Sachverständigen, die municipalen Pontifices und Augurn. — Was das Verhältniſs dieses secundären politischen Organismus zu dem primären des Staates anlangt, so standen im Allgemeinen alle politischen Be- fugnisse jenem wie diesem zu und band also der Gemeindebe- schluſs und das Imperium der Gemeindebeamten die Gemeinde- glieder ebenso wie der Volksschluſs und das consularische Im- perium den Römer; allein im Collisionsfall wich die Gemeinde dem Staate, brach also der Volksschluſs den Stadtschluſs, hatte bei der Volksschätzung und Volksbesteurung jeder Stadtbürger von Rechtswegen sich zu melden und zu steuern, ohne daſs die etwanigen städtischen Steuern und Schätzungen dabei berück- sichtigt worden wären, durften öffentliche Bauten sowohl von den römischen Beamten in ganz Italien als auch von den städti- schen in ihrem Sprengel angeordnet werden und was dessen mehr ist. Eine förmliche Competenztheilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo das reine Concurrenzsystem zu der gröſsten Verwirrung geführt haben würde; hier wurden im Cri- minalprozeſs vermuthlich alle Capitalsachen, im Civilverfahren die schwereren und ein selbstständiges Auftreten des dirigirenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstädtischen Behör- den und Geschwornen reservirt und die italischen Stadtgerichte auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr drin- genden Rechtshändel beschränkt. — Die Entstehung dieses ita- lischen Gemeindewesens ist nicht überliefert. Es ist wahrschein- lich, daſs sie in einzelnen Anfängen und Ausnahmsbestimmun- gen zurückgeht auf die groſsen Bürgercolonien, die am Ende des sechsten Jahrhunderts gegründet wurden (I, 609), wenigstens deu- ten einzelne an sich bedeutungslose formelle Differenzen zwischen Bürgercolonien und Bürgermunicipien darauf hin, daſs die neue damals praktisch an die Stelle der latinischen tretende Bürger- colonie doch staatsrechtlich noch etwas anderes war als ein von

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/356>, abgerufen am 23.11.2024.