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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
Rittercensus genommen; nur für das Schaftgericht wurden von
jedem der fünfunddreissig Bezirke nach freier Wahl drei Ge-
schworne ernannt und aus diesen hundertundfünf Männern der Hof
zusammengesetzt. -- Sullas Reformen waren hauptsächlich drei-
facher Art. Einmal vermehrte er die Zahl der Geschwornenhöfe
sehr beträchtlich. Es gab fortan besondere Geschwornencommis-
sionen für Erpressung; für Mord mit Einschluss von Brandstiftung
und falschem Zeugniss; für Wahlbestechung; ferner für Hochverrath
und jede Entehrung des römischen Namens; für Ehebruch; für
die schwersten Betrugsfälle: Testaments- und Münzfälschung;
für die schwersten Ehrverletzungen, namentlich Realinjurien und
Störung des Hausfriedens; vielleicht auch für Unterschlagung öf-
fentlicher Gelder, für Zinswucher und andere Vergehen; und für
jeden dieser alten oder neuen Gerichtshöfe ward von Sulla eine
besondere Criminal- und Criminalprozessordnung erlassen. Uebri-
gens blieb es den Behörden unbenommen vorkommenden Falls
für einzelne Gruppen von Verbrechen Specialhöfe zu bestellen.
Folgeweise wurden hiedurch theils die Volksgerichte, theils der
ordentliche Geschwornenprozess wesentlich beschränkt, indem
zum Beispiel jenen die Hochverrathsprozesse, diesem die schwe-
reren Fälschungen und Injurien entzogen wurden; hievon abge-
sehen indess ward an beiden Instituten nichts geändert. Was zwei-
tens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie schon
erwähnt ward, jetzt für die Leitung der verschiedenen Geschwor-
nenhöfe sechs Prätoren zur Disposition; die dennoch leer blei-
benden Posten wurden mit besonders ernannten Dirigenten oder
auf andere Weise besetzt. In die Geschwornenstellen traten drit-
tens statt der gracchischen Ritter wieder die Senatoren ein; nur
in dem Schaftgericht blieb, so viel wir wissen, durchaus die bis-
herige Ordnung. -- Der politische Zweck dieser Verfügungen,
der bisherigen Mitregierung der Ritter ein Ende zu machen, liegt
klar zu Tage; aber ebenso wenig lässt es sich verkennen, dass die-
selben nicht bloss politische Tendenzmassregeln waren, sondern
hier der erste Versuch gemacht wurde dem seit den ständischen
Kämpfen gründlich verwilderten römischen Criminalprozess und
Criminalrecht wieder aufzuhelfen. Von dieser sullanischen Ge-
setzgebung datirt sich die dem ältern Recht wesentlich unbe-
kannte Scheidung von Criminal- und Civilsachen in dem Sinn,
den wir noch heute damit verbinden, und die Gesammtheit der
sullanischen Quaestionenordnungen lässt sich zugleich als das
erste römische Gesetzbuch nach den zwölf Tafeln und als das
erste überhaupt je besonders erlassene Criminalgesetzbuch be-

DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
Rittercensus genommen; nur für das Schaftgericht wurden von
jedem der fünfunddreiſsig Bezirke nach freier Wahl drei Ge-
schworne ernannt und aus diesen hundertundfünf Männern der Hof
zusammengesetzt. — Sullas Reformen waren hauptsächlich drei-
facher Art. Einmal vermehrte er die Zahl der Geschwornenhöfe
sehr beträchtlich. Es gab fortan besondere Geschwornencommis-
sionen für Erpressung; für Mord mit Einschluſs von Brandstiftung
und falschem Zeugniſs; für Wahlbestechung; ferner für Hochverrath
und jede Entehrung des römischen Namens; für Ehebruch; für
die schwersten Betrugsfälle: Testaments- und Münzfälschung;
für die schwersten Ehrverletzungen, namentlich Realinjurien und
Störung des Hausfriedens; vielleicht auch für Unterschlagung öf-
fentlicher Gelder, für Zinswucher und andere Vergehen; und für
jeden dieser alten oder neuen Gerichtshöfe ward von Sulla eine
besondere Criminal- und Criminalprozeſsordnung erlassen. Uebri-
gens blieb es den Behörden unbenommen vorkommenden Falls
für einzelne Gruppen von Verbrechen Specialhöfe zu bestellen.
Folgeweise wurden hiedurch theils die Volksgerichte, theils der
ordentliche Geschwornenprozeſs wesentlich beschränkt, indem
zum Beispiel jenen die Hochverrathsprozesse, diesem die schwe-
reren Fälschungen und Injurien entzogen wurden; hievon abge-
sehen indeſs ward an beiden Instituten nichts geändert. Was zwei-
tens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie schon
erwähnt ward, jetzt für die Leitung der verschiedenen Geschwor-
nenhöfe sechs Prätoren zur Disposition; die dennoch leer blei-
benden Posten wurden mit besonders ernannten Dirigenten oder
auf andere Weise besetzt. In die Geschwornenstellen traten drit-
tens statt der gracchischen Ritter wieder die Senatoren ein; nur
in dem Schaftgericht blieb, so viel wir wissen, durchaus die bis-
herige Ordnung. — Der politische Zweck dieser Verfügungen,
der bisherigen Mitregierung der Ritter ein Ende zu machen, liegt
klar zu Tage; aber ebenso wenig läſst es sich verkennen, daſs die-
selben nicht bloſs politische Tendenzmaſsregeln waren, sondern
hier der erste Versuch gemacht wurde dem seit den ständischen
Kämpfen gründlich verwilderten römischen Criminalprozeſs und
Criminalrecht wieder aufzuhelfen. Von dieser sullanischen Ge-
setzgebung datirt sich die dem ältern Recht wesentlich unbe-
kannte Scheidung von Criminal- und Civilsachen in dem Sinn,
den wir noch heute damit verbinden, und die Gesammtheit der
sullanischen Quaestionenordnungen läſst sich zugleich als das
erste römische Gesetzbuch nach den zwölf Tafeln und als das
erste überhaupt je besonders erlassene Criminalgesetzbuch be-

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[343/0353] DIE SULLANISCHE VERFASSUNG. Rittercensus genommen; nur für das Schaftgericht wurden von jedem der fünfunddreiſsig Bezirke nach freier Wahl drei Ge- schworne ernannt und aus diesen hundertundfünf Männern der Hof zusammengesetzt. — Sullas Reformen waren hauptsächlich drei- facher Art. Einmal vermehrte er die Zahl der Geschwornenhöfe sehr beträchtlich. Es gab fortan besondere Geschwornencommis- sionen für Erpressung; für Mord mit Einschluſs von Brandstiftung und falschem Zeugniſs; für Wahlbestechung; ferner für Hochverrath und jede Entehrung des römischen Namens; für Ehebruch; für die schwersten Betrugsfälle: Testaments- und Münzfälschung; für die schwersten Ehrverletzungen, namentlich Realinjurien und Störung des Hausfriedens; vielleicht auch für Unterschlagung öf- fentlicher Gelder, für Zinswucher und andere Vergehen; und für jeden dieser alten oder neuen Gerichtshöfe ward von Sulla eine besondere Criminal- und Criminalprozeſsordnung erlassen. Uebri- gens blieb es den Behörden unbenommen vorkommenden Falls für einzelne Gruppen von Verbrechen Specialhöfe zu bestellen. Folgeweise wurden hiedurch theils die Volksgerichte, theils der ordentliche Geschwornenprozeſs wesentlich beschränkt, indem zum Beispiel jenen die Hochverrathsprozesse, diesem die schwe- reren Fälschungen und Injurien entzogen wurden; hievon abge- sehen indeſs ward an beiden Instituten nichts geändert. Was zwei- tens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie schon erwähnt ward, jetzt für die Leitung der verschiedenen Geschwor- nenhöfe sechs Prätoren zur Disposition; die dennoch leer blei- benden Posten wurden mit besonders ernannten Dirigenten oder auf andere Weise besetzt. In die Geschwornenstellen traten drit- tens statt der gracchischen Ritter wieder die Senatoren ein; nur in dem Schaftgericht blieb, so viel wir wissen, durchaus die bis- herige Ordnung. — Der politische Zweck dieser Verfügungen, der bisherigen Mitregierung der Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebenso wenig läſst es sich verkennen, daſs die- selben nicht bloſs politische Tendenzmaſsregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde dem seit den ständischen Kämpfen gründlich verwilderten römischen Criminalprozeſs und Criminalrecht wieder aufzuhelfen. Von dieser sullanischen Ge- setzgebung datirt sich die dem ältern Recht wesentlich unbe- kannte Scheidung von Criminal- und Civilsachen in dem Sinn, den wir noch heute damit verbinden, und die Gesammtheit der sullanischen Quaestionenordnungen läſst sich zugleich als das erste römische Gesetzbuch nach den zwölf Tafeln und als das erste überhaupt je besonders erlassene Criminalgesetzbuch be-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/353>, abgerufen am 23.11.2024.