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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
Dictatur eine vielfach beschränkte (I, 162. 185), so diese neue
eine vollständige Wiederaufnahme der königlichen Gewalt war.
So fiel denn seltsamer Weise Sullas Weg auch hier zusammen
mit dem, den in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus einge-
schlagen hatte. Auch hier musste die conservative Partei von
ihren Gegnern borgen, der Schirmherr der oligarchischen Ver-
fassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig drohende Ty-
rannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem letzten
Siege der Oligarchie.

Sulla hatte die schwierige und grauenvolle Arbeit des Re-
staurationswerkes nicht gesucht und nicht gewünscht; da ihm
aber keine andere Wahl blieb, als sie gänzlich unfähigen Händen
zu überlassen oder sie selber zu übernehmen, griff er sie an
mit rücksichtsloser Energie. Vor allen Dingen musste eine Fest-
stellung hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla
war an sich zum Verzeihen geneigt. Sanguinischen Tempera-
ments wie er war, konnte er wohl zornig aufbrausen und der
mochte sich hüten, der sein Auge flammen und seine Wange
sich färben sah; aber die kaltblütige Rachsucht, wie sie Marius
in seiner greisenhaften Verbitterung eigen war, war seinem
leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloss nach der Revo-
lution von 666 war er mit verhältnissmässig grosser Milde auf-
getreten (S. 249); auch durch die zweite, die so furchtbare
Gräuel verübt und ihn persönlich so empfindlich getroffen hatte,
hatte er sein Gleichgewicht nicht verloren. In derselben Zeit,
wo der Henker die Körper seiner Freunde durch die Strassen der
Hauptstadt schleifte, hatte er dem blutbefleckten Fimbria das
Leben zu retten gesucht und da dieser freiwillig den Tod nahm,
Befehl gegeben seine Leiche anständig zu bestatten. Bei der Lan-
dung in Italien hatte er ernstlich sich erboten zu vergeben und
zu vergessen und keiner, der seinen Frieden zu machen kam, war
zurückgewiesen worden. In diesem Sinn hatte noch nach den
ersten Erfolgen er mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutions-
partei war es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloss ab-
gebrochen, sondern nach denselben, im letzten Augenblicke vor
ihrem Sturz, die Mordthaten abermals und grauenvoller als je
wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung der Stadt Rom mit dem
uralten Landesfeind sich verschworen hatte. Nun war es genug.
Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklärte Sulla unmittelbar nach
Uebernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlandes für vogel-
frei sämmtliche Civil- und Militärbeamte, welche nach dem, Sullas
Behauptung zufolge rechtsbeständig abgeschlossenen, Vertrag mit

DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
Dictatur eine vielfach beschränkte (I, 162. 185), so diese neue
eine vollständige Wiederaufnahme der königlichen Gewalt war.
So fiel denn seltsamer Weise Sullas Weg auch hier zusammen
mit dem, den in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus einge-
schlagen hatte. Auch hier muſste die conservative Partei von
ihren Gegnern borgen, der Schirmherr der oligarchischen Ver-
fassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig drohende Ty-
rannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem letzten
Siege der Oligarchie.

Sulla hatte die schwierige und grauenvolle Arbeit des Re-
staurationswerkes nicht gesucht und nicht gewünscht; da ihm
aber keine andere Wahl blieb, als sie gänzlich unfähigen Händen
zu überlassen oder sie selber zu übernehmen, griff er sie an
mit rücksichtsloser Energie. Vor allen Dingen muſste eine Fest-
stellung hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla
war an sich zum Verzeihen geneigt. Sanguinischen Tempera-
ments wie er war, konnte er wohl zornig aufbrausen und der
mochte sich hüten, der sein Auge flammen und seine Wange
sich färben sah; aber die kaltblütige Rachsucht, wie sie Marius
in seiner greisenhaften Verbitterung eigen war, war seinem
leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloſs nach der Revo-
lution von 666 war er mit verhältniſsmäſsig groſser Milde auf-
getreten (S. 249); auch durch die zweite, die so furchtbare
Gräuel verübt und ihn persönlich so empfindlich getroffen hatte,
hatte er sein Gleichgewicht nicht verloren. In derselben Zeit,
wo der Henker die Körper seiner Freunde durch die Straſsen der
Hauptstadt schleifte, hatte er dem blutbefleckten Fimbria das
Leben zu retten gesucht und da dieser freiwillig den Tod nahm,
Befehl gegeben seine Leiche anständig zu bestatten. Bei der Lan-
dung in Italien hatte er ernstlich sich erboten zu vergeben und
zu vergessen und keiner, der seinen Frieden zu machen kam, war
zurückgewiesen worden. In diesem Sinn hatte noch nach den
ersten Erfolgen er mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutions-
partei war es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloſs ab-
gebrochen, sondern nach denselben, im letzten Augenblicke vor
ihrem Sturz, die Mordthaten abermals und grauenvoller als je
wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung der Stadt Rom mit dem
uralten Landesfeind sich verschworen hatte. Nun war es genug.
Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklärte Sulla unmittelbar nach
Uebernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlandes für vogel-
frei sämmtliche Civil- und Militärbeamte, welche nach dem, Sullas
Behauptung zufolge rechtsbeständig abgeschlossenen, Vertrag mit

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[325/0335] DIE SULLANISCHE VERFASSUNG. Dictatur eine vielfach beschränkte (I, 162. 185), so diese neue eine vollständige Wiederaufnahme der königlichen Gewalt war. So fiel denn seltsamer Weise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus einge- schlagen hatte. Auch hier muſste die conservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr der oligarchischen Ver- fassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig drohende Ty- rannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem letzten Siege der Oligarchie. Sulla hatte die schwierige und grauenvolle Arbeit des Re- staurationswerkes nicht gesucht und nicht gewünscht; da ihm aber keine andere Wahl blieb, als sie gänzlich unfähigen Händen zu überlassen oder sie selber zu übernehmen, griff er sie an mit rücksichtsloser Energie. Vor allen Dingen muſste eine Fest- stellung hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war an sich zum Verzeihen geneigt. Sanguinischen Tempera- ments wie er war, konnte er wohl zornig aufbrausen und der mochte sich hüten, der sein Auge flammen und seine Wange sich färben sah; aber die kaltblütige Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloſs nach der Revo- lution von 666 war er mit verhältniſsmäſsig groſser Milde auf- getreten (S. 249); auch durch die zweite, die so furchtbare Gräuel verübt und ihn persönlich so empfindlich getroffen hatte, hatte er sein Gleichgewicht nicht verloren. In derselben Zeit, wo der Henker die Körper seiner Freunde durch die Straſsen der Hauptstadt schleifte, hatte er dem blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und da dieser freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben seine Leiche anständig zu bestatten. Bei der Lan- dung in Italien hatte er ernstlich sich erboten zu vergeben und zu vergessen und keiner, der seinen Frieden zu machen kam, war zurückgewiesen worden. In diesem Sinn hatte noch nach den ersten Erfolgen er mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutions- partei war es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloſs ab- gebrochen, sondern nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordthaten abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung der Stadt Rom mit dem uralten Landesfeind sich verschworen hatte. Nun war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklärte Sulla unmittelbar nach Uebernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlandes für vogel- frei sämmtliche Civil- und Militärbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung zufolge rechtsbeständig abgeschlossenen, Vertrag mit

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/335>, abgerufen am 25.11.2024.