Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE SULLANISCHE VERFASSUNG. Kraft und Intelligenz weniger als je im Senate zu finden. Wie un-brauchbar durchgängig das aristokratische Vollblut und wie wenig Sulla darüber im Unklaren war, beweist die Thatsache, dass mit Ausnahme des ihm verschwägerten Quintus Metellus er sich seine Werkzeuge sämmtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und den Ueberläufern aus dem demokratischen Lager -- so Lucius Flaccus, Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang -- wie hätte er sonst überhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? --, aber doch besser als seine Partei, welchen ungeheuren Schwie- rigkeiten dieses Restaurationswerk unterlag. Als unumgänglich betrachtete er theils umfassende Concessionen, so weit Nach- giebigkeit möglich war, ohne das Wesen der Oligarchie anzu- tasten, theils die Herstellung eines energischen Repressiv- und Präventivsystems; und er sah es deutlich, dass der Senat wie er war jede Concession verweigern oder verstümmeln, jeden syste- matischen Neubau parlamentarisch ruiniren werde. Hatte Sulla schon nach der sulpicischen Revolution ohne viel zu fragen in der einen und der andern Richtung durchgesetzt, was er für nöthig erachtete, so war er auch jetzt unter weit schärferen und gespannteren Verhältnissen entschlossen die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der Oligarchen auf eigene Hand zu restauriren. Sulla aber war nicht wie damals Consul, sondern bloss mit pro- consularischer, das heisst rein militärischer Gewalt ausgestattet; desshalb liess er jetzt nothgedrungen diejenige ausserordentliche Gewalt, die es ihm möglich machte Freunden und Feinden seine Reform zu octroyiren, unter möglichst strenger Einhaltung der verfassungsmässigen Formen sich übertragen. In einem Schrei- ben an den Senat eröffnete er demselben, dass es ihm unum- gänglich scheine die Ordnung des Staates in die Hände eines einzigen mit unumschränkter Machtvollkommenheit ausgerüsteten Mannes zu legen und dass er sich für geeignet halte diese schwie- rige Aufgabe zu erfüllen. Dieser Vorschlag, so unbequem er Vie- len kam, war unter den obwaltenden Umständen ein Befehl. Im Auftrag des Senats brachte der Vormann desselben, der Zwi- schenkönig Lucius Valerius Flaccus der Vater, als interimistischer Inhaber der höchsten Gewalt bei der Bürgerschaft den Antrag ein, dass dem Proconsul Lucius Cornelius Sulla für die Vergangenheit die nachträgliche Billigung aller von ihm als Consul und Procon- sul vollzogenen Amtshandlungen, für die Zukunft aber das Recht 21*
DIE SULLANISCHE VERFASSUNG. Kraft und Intelligenz weniger als je im Senate zu finden. Wie un-brauchbar durchgängig das aristokratische Vollblut und wie wenig Sulla darüber im Unklaren war, beweist die Thatsache, daſs mit Ausnahme des ihm verschwägerten Quintus Metellus er sich seine Werkzeuge sämmtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und den Ueberläufern aus dem demokratischen Lager — so Lucius Flaccus, Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang — wie hätte er sonst überhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? —, aber doch besser als seine Partei, welchen ungeheuren Schwie- rigkeiten dieses Restaurationswerk unterlag. Als unumgänglich betrachtete er theils umfassende Concessionen, so weit Nach- giebigkeit möglich war, ohne das Wesen der Oligarchie anzu- tasten, theils die Herstellung eines energischen Repressiv- und Präventivsystems; und er sah es deutlich, daſs der Senat wie er war jede Concession verweigern oder verstümmeln, jeden syste- matischen Neubau parlamentarisch ruiniren werde. Hatte Sulla schon nach der sulpicischen Revolution ohne viel zu fragen in der einen und der andern Richtung durchgesetzt, was er für nöthig erachtete, so war er auch jetzt unter weit schärferen und gespannteren Verhältnissen entschlossen die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der Oligarchen auf eigene Hand zu restauriren. Sulla aber war nicht wie damals Consul, sondern bloſs mit pro- consularischer, das heiſst rein militärischer Gewalt ausgestattet; deſshalb lieſs er jetzt nothgedrungen diejenige auſserordentliche Gewalt, die es ihm möglich machte Freunden und Feinden seine Reform zu octroyiren, unter möglichst strenger Einhaltung der verfassungsmäſsigen Formen sich übertragen. In einem Schrei- ben an den Senat eröffnete er demselben, daſs es ihm unum- gänglich scheine die Ordnung des Staates in die Hände eines einzigen mit unumschränkter Machtvollkommenheit ausgerüsteten Mannes zu legen und daſs er sich für geeignet halte diese schwie- rige Aufgabe zu erfüllen. Dieser Vorschlag, so unbequem er Vie- len kam, war unter den obwaltenden Umständen ein Befehl. Im Auftrag des Senats brachte der Vormann desselben, der Zwi- schenkönig Lucius Valerius Flaccus der Vater, als interimistischer Inhaber der höchsten Gewalt bei der Bürgerschaft den Antrag ein, daſs dem Proconsul Lucius Cornelius Sulla für die Vergangenheit die nachträgliche Billigung aller von ihm als Consul und Procon- sul vollzogenen Amtshandlungen, für die Zukunft aber das Recht 21*
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DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
Kraft und Intelligenz weniger als je im Senate zu finden. Wie un-
brauchbar durchgängig das aristokratische Vollblut und wie wenig
Sulla darüber im Unklaren war, beweist die Thatsache, daſs mit
Ausnahme des ihm verschwägerten Quintus Metellus er sich seine
Werkzeuge sämmtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und
den Ueberläufern aus dem demokratischen Lager — so Lucius
Flaccus, Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla
war die Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie
nur dem leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er
begriff wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang — wie
hätte er sonst überhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? —,
aber doch besser als seine Partei, welchen ungeheuren Schwie-
rigkeiten dieses Restaurationswerk unterlag. Als unumgänglich
betrachtete er theils umfassende Concessionen, so weit Nach-
giebigkeit möglich war, ohne das Wesen der Oligarchie anzu-
tasten, theils die Herstellung eines energischen Repressiv- und
Präventivsystems; und er sah es deutlich, daſs der Senat wie er
war jede Concession verweigern oder verstümmeln, jeden syste-
matischen Neubau parlamentarisch ruiniren werde. Hatte Sulla
schon nach der sulpicischen Revolution ohne viel zu fragen in
der einen und der andern Richtung durchgesetzt, was er für
nöthig erachtete, so war er auch jetzt unter weit schärferen und
gespannteren Verhältnissen entschlossen die Oligarchie nicht mit,
sondern trotz der Oligarchen auf eigene Hand zu restauriren.
Sulla aber war nicht wie damals Consul, sondern bloſs mit pro-
consularischer, das heiſst rein militärischer Gewalt ausgestattet;
deſshalb lieſs er jetzt nothgedrungen diejenige auſserordentliche
Gewalt, die es ihm möglich machte Freunden und Feinden seine
Reform zu octroyiren, unter möglichst strenger Einhaltung der
verfassungsmäſsigen Formen sich übertragen. In einem Schrei-
ben an den Senat eröffnete er demselben, daſs es ihm unum-
gänglich scheine die Ordnung des Staates in die Hände eines
einzigen mit unumschränkter Machtvollkommenheit ausgerüsteten
Mannes zu legen und daſs er sich für geeignet halte diese schwie-
rige Aufgabe zu erfüllen. Dieser Vorschlag, so unbequem er Vie-
len kam, war unter den obwaltenden Umständen ein Befehl. Im
Auftrag des Senats brachte der Vormann desselben, der Zwi-
schenkönig Lucius Valerius Flaccus der Vater, als interimistischer
Inhaber der höchsten Gewalt bei der Bürgerschaft den Antrag ein,
daſs dem Proconsul Lucius Cornelius Sulla für die Vergangenheit
die nachträgliche Billigung aller von ihm als Consul und Procon-
sul vollzogenen Amtshandlungen, für die Zukunft aber das Recht
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