Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.CINNA UND SULLA. wirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordver-suchen gegen Sulla, dem zum Theil oppositionellen Ausfall der Consulwahlen für 667. Der Name des Mannes, den die Missver- gnügten an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius Cor- nelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, ausser als einer der Offiziere, die im Bundesgenossenkrieg sich hervorge- than hatten. Ueber Cinnas Persönlichkeit und seine ursprüng- lichen Absichten sind wir weniger unterrichtet als über die irgend eines anderen Parteiführers in der römischen Revolution; die Ursache ist allem Anschein nach keine andere als dass er ein ganz gemeiner und durch den niedrigsten Egoismus geleiteter Gesell war. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, dass er gegen ein tüchtiges Stück Geld sich den Neubürgern und der Coterie des Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich aus; wäre sie aber auch falsch, so bleibt es nichts desto weniger charakteristisch, dass ein Verdacht, wie er nie gegen Saturninus und Sulpicius geäussert worden war, an Cinna haften konnte. In der That hat die Bewegung, an deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit sowohl der Beweggründe wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer Partei aus als von einer Anzahl Missvergnügter ohne eigentlich politische Zwecke und nennenswerthen Rückhalt, die hauptsäch- lich die Rückberufung der Verbannten in gesetzlicher oder un- gesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint in die Verschwörung nur nachträglich und desshalb hinein- gezogen zu sein, weil die Intrigue, die in Folge der Beschränkung der tribunicischen Gewalt zur Vorbringung ihrer Anträge einen Consul brauchte, unter den Consularcandidaten für 667 in ihm das geeignetste Werkzeug ersah und dann als Consul ihn vor- schob. Unter den in zweiter Linie erscheinenden Leitern der Be- wegung fanden sich einige fähigere Köpfe; so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stürmische Volksbered- samkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus Sertorius, einer der talentvollsten römischen Offiziere und in jeder Hinsicht ein vorzüglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das Volkstribunat mit Sulla persönlich verfeindet und durch diesen Hader in die Reihen der Missvergnügten geführt worden war, wohin er seiner Art nach keineswegs gehörte. Der Procon- sul Strabo aber, obwohl mit der Regierung gespannt, war den- noch weit entfernt mit dieser Faction sich einzulassen. Sie ver- hielt aus guten Gründen sich leidend, so lange Sulla in Italien stand. Als indess dieser, nicht den Mahnungen des Consuls Cinna, CINNA UND SULLA. wirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordver-suchen gegen Sulla, dem zum Theil oppositionellen Ausfall der Consulwahlen für 667. Der Name des Mannes, den die Miſsver- gnügten an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius Cor- nelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, auſser als einer der Offiziere, die im Bundesgenossenkrieg sich hervorge- than hatten. Ueber Cinnas Persönlichkeit und seine ursprüng- lichen Absichten sind wir weniger unterrichtet als über die irgend eines anderen Parteiführers in der römischen Revolution; die Ursache ist allem Anschein nach keine andere als daſs er ein ganz gemeiner und durch den niedrigsten Egoismus geleiteter Gesell war. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, daſs er gegen ein tüchtiges Stück Geld sich den Neubürgern und der Coterie des Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich aus; wäre sie aber auch falsch, so bleibt es nichts desto weniger charakteristisch, daſs ein Verdacht, wie er nie gegen Saturninus und Sulpicius geäuſsert worden war, an Cinna haften konnte. In der That hat die Bewegung, an deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit sowohl der Beweggründe wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer Partei aus als von einer Anzahl Miſsvergnügter ohne eigentlich politische Zwecke und nennenswerthen Rückhalt, die hauptsäch- lich die Rückberufung der Verbannten in gesetzlicher oder un- gesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint in die Verschwörung nur nachträglich und deſshalb hinein- gezogen zu sein, weil die Intrigue, die in Folge der Beschränkung der tribunicischen Gewalt zur Vorbringung ihrer Anträge einen Consul brauchte, unter den Consularcandidaten für 667 in ihm das geeignetste Werkzeug ersah und dann als Consul ihn vor- schob. Unter den in zweiter Linie erscheinenden Leitern der Be- wegung fanden sich einige fähigere Köpfe; so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stürmische Volksbered- samkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus Sertorius, einer der talentvollsten römischen Offiziere und in jeder Hinsicht ein vorzüglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das Volkstribunat mit Sulla persönlich verfeindet und durch diesen Hader in die Reihen der Miſsvergnügten geführt worden war, wohin er seiner Art nach keineswegs gehörte. Der Procon- sul Strabo aber, obwohl mit der Regierung gespannt, war den- noch weit entfernt mit dieser Faction sich einzulassen. Sie ver- hielt aus guten Gründen sich leidend, so lange Sulla in Italien stand. Als indeſs dieser, nicht den Mahnungen des Consuls Cinna, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0303" n="293"/><fw place="top" type="header">CINNA UND SULLA.</fw><lb/> wirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordver-<lb/> suchen gegen Sulla, dem zum Theil oppositionellen Ausfall der<lb/> Consulwahlen für 667. Der Name des Mannes, den die Miſsver-<lb/> gnügten an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius Cor-<lb/> nelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, auſser als<lb/> einer der Offiziere, die im Bundesgenossenkrieg sich hervorge-<lb/> than hatten. Ueber Cinnas Persönlichkeit und seine ursprüng-<lb/> lichen Absichten sind wir weniger unterrichtet als über die irgend<lb/> eines anderen Parteiführers in der römischen Revolution; die<lb/> Ursache ist allem Anschein nach keine andere als daſs er ein ganz<lb/> gemeiner und durch den niedrigsten Egoismus geleiteter Gesell<lb/> war. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, daſs er<lb/> gegen ein tüchtiges Stück Geld sich den Neubürgern und der<lb/> Coterie des Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht<lb/> sehr glaublich aus; wäre sie aber auch falsch, so bleibt es nichts<lb/> desto weniger charakteristisch, daſs ein Verdacht, wie er nie<lb/> gegen Saturninus und Sulpicius geäuſsert worden war, an Cinna<lb/> haften konnte. In der That hat die Bewegung, an deren Spitze<lb/> er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit sowohl<lb/> der Beweggründe wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer<lb/> Partei aus als von einer Anzahl Miſsvergnügter ohne eigentlich<lb/> politische Zwecke und nennenswerthen Rückhalt, die hauptsäch-<lb/> lich die Rückberufung der Verbannten in gesetzlicher oder un-<lb/> gesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna<lb/> scheint in die Verschwörung nur nachträglich und deſshalb hinein-<lb/> gezogen zu sein, weil die Intrigue, die in Folge der Beschränkung<lb/> der tribunicischen Gewalt zur Vorbringung ihrer Anträge einen<lb/> Consul brauchte, unter den Consularcandidaten für 667 in ihm<lb/> das geeignetste Werkzeug ersah und dann als Consul ihn vor-<lb/> schob. Unter den in zweiter Linie erscheinenden Leitern der Be-<lb/> wegung fanden sich einige fähigere Köpfe; so der Volkstribun<lb/> Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stürmische Volksbered-<lb/> samkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus<lb/> Sertorius, einer der talentvollsten römischen Offiziere und in jeder<lb/> Hinsicht ein vorzüglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung<lb/> um das Volkstribunat mit Sulla persönlich verfeindet und durch<lb/> diesen Hader in die Reihen der Miſsvergnügten geführt worden<lb/> war, wohin er seiner Art nach keineswegs gehörte. Der Procon-<lb/> sul Strabo aber, obwohl mit der Regierung gespannt, war den-<lb/> noch weit entfernt mit dieser Faction sich einzulassen. Sie ver-<lb/> hielt aus guten Gründen sich leidend, so lange Sulla in Italien<lb/> stand. Als indeſs dieser, nicht den Mahnungen des Consuls Cinna,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [293/0303]
CINNA UND SULLA.
wirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordver-
suchen gegen Sulla, dem zum Theil oppositionellen Ausfall der
Consulwahlen für 667. Der Name des Mannes, den die Miſsver-
gnügten an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius Cor-
nelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, auſser als
einer der Offiziere, die im Bundesgenossenkrieg sich hervorge-
than hatten. Ueber Cinnas Persönlichkeit und seine ursprüng-
lichen Absichten sind wir weniger unterrichtet als über die irgend
eines anderen Parteiführers in der römischen Revolution; die
Ursache ist allem Anschein nach keine andere als daſs er ein ganz
gemeiner und durch den niedrigsten Egoismus geleiteter Gesell
war. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, daſs er
gegen ein tüchtiges Stück Geld sich den Neubürgern und der
Coterie des Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht
sehr glaublich aus; wäre sie aber auch falsch, so bleibt es nichts
desto weniger charakteristisch, daſs ein Verdacht, wie er nie
gegen Saturninus und Sulpicius geäuſsert worden war, an Cinna
haften konnte. In der That hat die Bewegung, an deren Spitze
er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit sowohl
der Beweggründe wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer
Partei aus als von einer Anzahl Miſsvergnügter ohne eigentlich
politische Zwecke und nennenswerthen Rückhalt, die hauptsäch-
lich die Rückberufung der Verbannten in gesetzlicher oder un-
gesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna
scheint in die Verschwörung nur nachträglich und deſshalb hinein-
gezogen zu sein, weil die Intrigue, die in Folge der Beschränkung
der tribunicischen Gewalt zur Vorbringung ihrer Anträge einen
Consul brauchte, unter den Consularcandidaten für 667 in ihm
das geeignetste Werkzeug ersah und dann als Consul ihn vor-
schob. Unter den in zweiter Linie erscheinenden Leitern der Be-
wegung fanden sich einige fähigere Köpfe; so der Volkstribun
Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stürmische Volksbered-
samkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus
Sertorius, einer der talentvollsten römischen Offiziere und in jeder
Hinsicht ein vorzüglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung
um das Volkstribunat mit Sulla persönlich verfeindet und durch
diesen Hader in die Reihen der Miſsvergnügten geführt worden
war, wohin er seiner Art nach keineswegs gehörte. Der Procon-
sul Strabo aber, obwohl mit der Regierung gespannt, war den-
noch weit entfernt mit dieser Faction sich einzulassen. Sie ver-
hielt aus guten Gründen sich leidend, so lange Sulla in Italien
stand. Als indeſs dieser, nicht den Mahnungen des Consuls Cinna,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |