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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
in der That gelang es durch Geschütze und Minen einen Theil
der gewaltigen perikleischen Mauern in Bresche zu legen und so-
fort schritten die Römer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen
und als er wiederholt ward, fanden sich hinter den eingestürzten
Mauertheilen halbmondförmige Verschanzungen errichtet, aus
denen die Eindringenden sich von drei Seiten beschossen und
zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die Belagerung
auf und begnügte sich mit einer Blokade. In Athen waren indess
die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die Besatzung ver-
suchte eine Capitulation zu Stande zu bringen, aber Sulla wies
ihre redefertigen Boten zurück mit dem Bedeuten, dass er nicht
als Student, sondern als General vor ihnen stehe und nur unbe-
dingte Unterwerfung annehme. Als Aristion, wohl wissend, wel-
ches Schicksal dann ihm bevorstand, damit zögerte, wurden die
Leitern angelegt und die kaum noch vertheidigte Stadt erstürmt
(1. März 668), worauf Aristion in der Akropolis sich ergab. Der
römische Feldherr liess die Soldatesca morden und plündern
und die angeseheneren Rädelsführer des Abfalls hinrichten; die
Stadt selbst aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzun-
gen, sogar das von Mithradates ihr geschenkte Delos zurück und
ward also noch einmal gerettet durch ihre herrlichen Todten. --
Ueber den epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt;
indess Sullas Lage blieb im höchsten Grade peinlich, ja verzwei-
felt. Mehr als ein Jahr stand er nun im Felde ohne irgend einen
nennenswerthen Schritt vorwärts gekommen zu sein; ein einzi-
ger Hafenplatz spottete all seiner Anstrengungen, während Asien
gänzlich sich selbst überlassen, die Eroberung Makedoniens von
Mithradats Statthaltern kürzlich durch die Einnahme von Amphi-
polis vollendet war. Ohne Flotte -- dies zeigte sich immer deut-
licher -- war es nicht bloss unmöglich die Verbindungen und die
Zufuhr vor den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu
sichern, sondern auch nicht einmal den Peiraeeus, geschweige
denn Asien und die Inseln wiederzugewinnen; und doch liess
sich nicht absehen, wie man zu Kriegsschiffen gelangen wollte.
Schon im Winter 667/8 hatte Sulla einen seiner fähigsten und
gewandtesten Offiziere, Lucius Licinius Lucullus in die östlichen
Gewässer entsandt um dort wo möglich Schiffe aufzutreiben. Mit
sechs offenen Böten, die er von den Rhodiern und andern klei-
nen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief Lucullus aus; einem
Piratengeschwader, das die meisten seiner Böte aufbrachte, ent-
ging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten Schiffen
den Feind täuschend gelangte er über Kreta und Kyrene nach

DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
in der That gelang es durch Geschütze und Minen einen Theil
der gewaltigen perikleischen Mauern in Bresche zu legen und so-
fort schritten die Römer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen
und als er wiederholt ward, fanden sich hinter den eingestürzten
Mauertheilen halbmondförmige Verschanzungen errichtet, aus
denen die Eindringenden sich von drei Seiten beschossen und
zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die Belagerung
auf und begnügte sich mit einer Blokade. In Athen waren indeſs
die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die Besatzung ver-
suchte eine Capitulation zu Stande zu bringen, aber Sulla wies
ihre redefertigen Boten zurück mit dem Bedeuten, daſs er nicht
als Student, sondern als General vor ihnen stehe und nur unbe-
dingte Unterwerfung annehme. Als Aristion, wohl wissend, wel-
ches Schicksal dann ihm bevorstand, damit zögerte, wurden die
Leitern angelegt und die kaum noch vertheidigte Stadt erstürmt
(1. März 668), worauf Aristion in der Akropolis sich ergab. Der
römische Feldherr lieſs die Soldatesca morden und plündern
und die angeseheneren Rädelsführer des Abfalls hinrichten; die
Stadt selbst aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzun-
gen, sogar das von Mithradates ihr geschenkte Delos zurück und
ward also noch einmal gerettet durch ihre herrlichen Todten. —
Ueber den epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt;
indeſs Sullas Lage blieb im höchsten Grade peinlich, ja verzwei-
felt. Mehr als ein Jahr stand er nun im Felde ohne irgend einen
nennenswerthen Schritt vorwärts gekommen zu sein; ein einzi-
ger Hafenplatz spottete all seiner Anstrengungen, während Asien
gänzlich sich selbst überlassen, die Eroberung Makedoniens von
Mithradats Statthaltern kürzlich durch die Einnahme von Amphi-
polis vollendet war. Ohne Flotte — dies zeigte sich immer deut-
licher — war es nicht bloſs unmöglich die Verbindungen und die
Zufuhr vor den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu
sichern, sondern auch nicht einmal den Peiraeeus, geschweige
denn Asien und die Inseln wiederzugewinnen; und doch lieſs
sich nicht absehen, wie man zu Kriegsschiffen gelangen wollte.
Schon im Winter 667/8 hatte Sulla einen seiner fähigsten und
gewandtesten Offiziere, Lucius Licinius Lucullus in die östlichen
Gewässer entsandt um dort wo möglich Schiffe aufzutreiben. Mit
sechs offenen Böten, die er von den Rhodiern und andern klei-
nen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief Lucullus aus; einem
Piratengeschwader, das die meisten seiner Böte aufbrachte, ent-
ging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten Schiffen
den Feind täuschend gelangte er über Kreta und Kyrene nach

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[279/0289] DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. in der That gelang es durch Geschütze und Minen einen Theil der gewaltigen perikleischen Mauern in Bresche zu legen und so- fort schritten die Römer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen und als er wiederholt ward, fanden sich hinter den eingestürzten Mauertheilen halbmondförmige Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden sich von drei Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die Belagerung auf und begnügte sich mit einer Blokade. In Athen waren indeſs die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die Besatzung ver- suchte eine Capitulation zu Stande zu bringen, aber Sulla wies ihre redefertigen Boten zurück mit dem Bedeuten, daſs er nicht als Student, sondern als General vor ihnen stehe und nur unbe- dingte Unterwerfung annehme. Als Aristion, wohl wissend, wel- ches Schicksal dann ihm bevorstand, damit zögerte, wurden die Leitern angelegt und die kaum noch vertheidigte Stadt erstürmt (1. März 668), worauf Aristion in der Akropolis sich ergab. Der römische Feldherr lieſs die Soldatesca morden und plündern und die angeseheneren Rädelsführer des Abfalls hinrichten; die Stadt selbst aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzun- gen, sogar das von Mithradates ihr geschenkte Delos zurück und ward also noch einmal gerettet durch ihre herrlichen Todten. — Ueber den epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indeſs Sullas Lage blieb im höchsten Grade peinlich, ja verzwei- felt. Mehr als ein Jahr stand er nun im Felde ohne irgend einen nennenswerthen Schritt vorwärts gekommen zu sein; ein einzi- ger Hafenplatz spottete all seiner Anstrengungen, während Asien gänzlich sich selbst überlassen, die Eroberung Makedoniens von Mithradats Statthaltern kürzlich durch die Einnahme von Amphi- polis vollendet war. Ohne Flotte — dies zeigte sich immer deut- licher — war es nicht bloſs unmöglich die Verbindungen und die Zufuhr vor den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu sichern, sondern auch nicht einmal den Peiraeeus, geschweige denn Asien und die Inseln wiederzugewinnen; und doch lieſs sich nicht absehen, wie man zu Kriegsschiffen gelangen wollte. Schon im Winter 667/8 hatte Sulla einen seiner fähigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius Licinius Lucullus in die östlichen Gewässer entsandt um dort wo möglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Böten, die er von den Rhodiern und andern klei- nen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Böte aufbrachte, ent- ging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten Schiffen den Feind täuschend gelangte er über Kreta und Kyrene nach

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/289>, abgerufen am 25.11.2024.