Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. Bruttius Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters vonMakedonien mit seiner Handvoll Leute und wenigen zusammen- gerafften Schiffen ab und besetzte sogar die Insel Skiathos; aber er konnte nicht verhindern, dass der Feind im eigentlichen Grie- chenland sich festsetzte. Auch hier wirkte Mithradates nicht bloss mit den Waffen, sondern zugleich mit der nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug für Athen war ein gewisser Aristion, seiner Ge- burt nach ein attischer Sklave, seines Handwerkes ehemals Schul- meister der epikurischen Philosophie, jetzt Günstling Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetaeros, der durch die glänzende Carriere, die er bei Hof gemacht, zu blenden und mit Aplomb zu ver- sichern verstand, dass aus dem seit beiläufig sechzig Jahren in Schutt liegenden Karthago schon für Mithradat die Hülfe unter- wegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles und durch die Zusage Mithradats den Athenern die früher besessene Insel Delos wieder einzuräumen ward es erreicht, dass die wenigen Verstän- digen aus Athen entwichen, der Pöbel aber und ein paar tollge- wordene Litteraten den Römern förmlich absagten. So ward aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der gestützt auf seine pontische Escorte ein Schand- und Blutregiment begann, und aus dem Peiraeeus ein pontischer Landungsplatz. So wie Mithra- dates Truppen auf dem griechischen Continent standen, fielen die meisten der kleinen Freistaaten ihnen zu, Achaeer, Lako- ner, Boeoter, bis hinauf nach Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstärkung herangezogen hatte, rückte in Boeotien ein um dem belagerten Thespiae Hülfe zu bringen, und schlug bei Chaeroneia in dreitägigen Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie führten zu keiner Entscheidung und Sura musste zurückgehen, als die pontischen Verstärkungen aus dem Peloponnes sich näherten (Ende 666. Anf. 667). -- So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, dass eine Bot- schaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte einen Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals bereits verloren und der König wies das Ansinnen zurück. Die Lage der römischen Regierung fing an bedenklich zu VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. Bruttius Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters vonMakedonien mit seiner Handvoll Leute und wenigen zusammen- gerafften Schiffen ab und besetzte sogar die Insel Skiathos; aber er konnte nicht verhindern, daſs der Feind im eigentlichen Grie- chenland sich festsetzte. Auch hier wirkte Mithradates nicht bloſs mit den Waffen, sondern zugleich mit der nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug für Athen war ein gewisser Aristion, seiner Ge- burt nach ein attischer Sklave, seines Handwerkes ehemals Schul- meister der epikurischen Philosophie, jetzt Günstling Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetaeros, der durch die glänzende Carriere, die er bei Hof gemacht, zu blenden und mit Aplomb zu ver- sichern verstand, daſs aus dem seit beiläufig sechzig Jahren in Schutt liegenden Karthago schon für Mithradat die Hülfe unter- wegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles und durch die Zusage Mithradats den Athenern die früher besessene Insel Delos wieder einzuräumen ward es erreicht, daſs die wenigen Verstän- digen aus Athen entwichen, der Pöbel aber und ein paar tollge- wordene Litteraten den Römern förmlich absagten. So ward aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der gestützt auf seine pontische Escorte ein Schand- und Blutregiment begann, und aus dem Peiraeeus ein pontischer Landungsplatz. So wie Mithra- dates Truppen auf dem griechischen Continent standen, fielen die meisten der kleinen Freistaaten ihnen zu, Achaeer, Lako- ner, Boeoter, bis hinauf nach Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstärkung herangezogen hatte, rückte in Boeotien ein um dem belagerten Thespiae Hülfe zu bringen, und schlug bei Chaeroneia in dreitägigen Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie führten zu keiner Entscheidung und Sura muſste zurückgehen, als die pontischen Verstärkungen aus dem Peloponnes sich näherten (Ende 666. Anf. 667). — So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, daſs eine Bot- schaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte einen Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals bereits verloren und der König wies das Ansinnen zurück. Die Lage der römischen Regierung fing an bedenklich zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0286" n="276"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.</fw><lb/> Bruttius Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von<lb/> Makedonien mit seiner Handvoll Leute und wenigen zusammen-<lb/> gerafften Schiffen ab und besetzte sogar die Insel Skiathos; aber<lb/> er konnte nicht verhindern, daſs der Feind im eigentlichen Grie-<lb/> chenland sich festsetzte. Auch hier wirkte Mithradates nicht bloſs<lb/> mit den Waffen, sondern zugleich mit der nationalen Propaganda.<lb/> Sein Hauptwerkzeug für Athen war ein gewisser Aristion, seiner Ge-<lb/> burt nach ein attischer Sklave, seines Handwerkes ehemals Schul-<lb/> meister der epikurischen Philosophie, jetzt Günstling Mithradats;<lb/> ein vortrefflicher Peisthetaeros, der durch die glänzende Carriere,<lb/> die er bei Hof gemacht, zu blenden und mit Aplomb zu ver-<lb/> sichern verstand, daſs aus dem seit beiläufig sechzig Jahren in<lb/> Schutt liegenden Karthago schon für Mithradat die Hülfe unter-<lb/> wegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles und durch die<lb/> Zusage Mithradats den Athenern die früher besessene Insel Delos<lb/> wieder einzuräumen ward es erreicht, daſs die wenigen Verstän-<lb/> digen aus Athen entwichen, der Pöbel aber und ein paar tollge-<lb/> wordene Litteraten den Römern förmlich absagten. So ward aus<lb/> dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der gestützt auf seine<lb/> pontische Escorte ein Schand- und Blutregiment begann, und<lb/> aus dem Peiraeeus ein pontischer Landungsplatz. So wie Mithra-<lb/> dates Truppen auf dem griechischen Continent standen, fielen<lb/> die meisten der kleinen Freistaaten ihnen zu, Achaeer, Lako-<lb/> ner, Boeoter, bis hinauf nach Thessalien. Sura, nachdem er aus<lb/> Makedonien einige Verstärkung herangezogen hatte, rückte in<lb/> Boeotien ein um dem belagerten Thespiae Hülfe zu bringen, und<lb/> schlug bei Chaeroneia in dreitägigen Gefechten mit Archelaos<lb/> und Aristion; aber sie führten zu keiner Entscheidung und Sura<lb/> muſste zurückgehen, als die pontischen Verstärkungen aus dem<lb/> Peloponnes sich näherten (Ende 666. Anf. 667). — So gebietend<lb/> war die Stellung Mithradats vor allem zur See, daſs eine Bot-<lb/> schaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte einen<lb/> Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war<lb/> damals bereits verloren und der König wies das Ansinnen zurück.</p><lb/> <p>Die Lage der römischen Regierung fing an bedenklich zu<lb/> werden. Kleinasien und Hellas waren verloren, Makedonien zum<lb/> guten Theil in Feindeshand. Die Seeherrschaft des pontischen<lb/> Königs war so entschieden, daſs im J. 667 seine Flotte schon<lb/> sich westlich vom malischen Vorgebirge blicken lieſs und auf Za-<lb/> kynthos Truppen ans Land setzte. Dazu kam die italische Insur-<lb/> rection, die zwar im Ganzen zu Boden geschlagen war, aber noch<lb/> in weiten Gebieten Italiens unbestritten die Herrschaft führte;<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [276/0286]
VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
Bruttius Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von
Makedonien mit seiner Handvoll Leute und wenigen zusammen-
gerafften Schiffen ab und besetzte sogar die Insel Skiathos; aber
er konnte nicht verhindern, daſs der Feind im eigentlichen Grie-
chenland sich festsetzte. Auch hier wirkte Mithradates nicht bloſs
mit den Waffen, sondern zugleich mit der nationalen Propaganda.
Sein Hauptwerkzeug für Athen war ein gewisser Aristion, seiner Ge-
burt nach ein attischer Sklave, seines Handwerkes ehemals Schul-
meister der epikurischen Philosophie, jetzt Günstling Mithradats;
ein vortrefflicher Peisthetaeros, der durch die glänzende Carriere,
die er bei Hof gemacht, zu blenden und mit Aplomb zu ver-
sichern verstand, daſs aus dem seit beiläufig sechzig Jahren in
Schutt liegenden Karthago schon für Mithradat die Hülfe unter-
wegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles und durch die
Zusage Mithradats den Athenern die früher besessene Insel Delos
wieder einzuräumen ward es erreicht, daſs die wenigen Verstän-
digen aus Athen entwichen, der Pöbel aber und ein paar tollge-
wordene Litteraten den Römern förmlich absagten. So ward aus
dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der gestützt auf seine
pontische Escorte ein Schand- und Blutregiment begann, und
aus dem Peiraeeus ein pontischer Landungsplatz. So wie Mithra-
dates Truppen auf dem griechischen Continent standen, fielen
die meisten der kleinen Freistaaten ihnen zu, Achaeer, Lako-
ner, Boeoter, bis hinauf nach Thessalien. Sura, nachdem er aus
Makedonien einige Verstärkung herangezogen hatte, rückte in
Boeotien ein um dem belagerten Thespiae Hülfe zu bringen, und
schlug bei Chaeroneia in dreitägigen Gefechten mit Archelaos
und Aristion; aber sie führten zu keiner Entscheidung und Sura
muſste zurückgehen, als die pontischen Verstärkungen aus dem
Peloponnes sich näherten (Ende 666. Anf. 667). — So gebietend
war die Stellung Mithradats vor allem zur See, daſs eine Bot-
schaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte einen
Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war
damals bereits verloren und der König wies das Ansinnen zurück.
Die Lage der römischen Regierung fing an bedenklich zu
werden. Kleinasien und Hellas waren verloren, Makedonien zum
guten Theil in Feindeshand. Die Seeherrschaft des pontischen
Königs war so entschieden, daſs im J. 667 seine Flotte schon
sich westlich vom malischen Vorgebirge blicken lieſs und auf Za-
kynthos Truppen ans Land setzte. Dazu kam die italische Insur-
rection, die zwar im Ganzen zu Boden geschlagen war, aber noch
in weiten Gebieten Italiens unbestritten die Herrschaft führte;
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |